Rentenanspruch auch bei fehlender Impfempfehlung

KASSEL (fl). Bei einem Impfschaden können Patienten auch dann Anspruch auf eine Beschädigtenrente haben, wenn die Impfung nicht mehr empfohlen war. Wie das Bundessozialgericht (BSG) in Kassel in einem am Donnerstag gefällten Urteil entschieden hat, müsse dabei offensichtlich sein, dass der Patient überzeugt gewesen ist, dass die Impfung weiter empfohlen wird.

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Sei der Patient überzeugt gewesen, so die Richter, dann sei von einem so genannten Rechtsschein auszugehen. Und wenn ein solcher Rechtsschein vorhanden sei, dann könne ein Anspruch auf Rente bestehen.

Im verhandelten Fall hatte der heute 30-jährige Kläger aus dem Raum Koblenz im Dezember 1998 eine Polio-Schluckimpfung mit Lebendviren erhalten. Die Ständige Impfkommission beim Robert-Koch-Institut hatte zuvor im März diese Art der Impfung nicht mehr empfohlen. Stattdessen wird wegen Impfrisiken ein Vakzin mit inaktiven Polioviren befürwortet.

Als Folge der Impfung hatte der Kläger beim Versorgungsamt angegeben, dass er infolge der Impfung unter dauerhaften psychischen Störungen wie Halluzinationen leidet. Die Behörde lehnte den Antrag auf eine Beschädigtenrente ab, da die Polio-Schluckimpfung mit Lebendviren nicht mehr empfohlen war. Außerdem sei nicht bewiesen, dass der angeführte Gesundheitsschaden auf die Schluckimpfung zurückzuführen sei.

Der 9. Senat verwies den verhandelten Fall zur weiteren Sachaufklärung an das Landessozialgericht zurück. Beim Kläger liege es nahe, dass er von einer gültigen Empfehlung für die Polio-Schluckimpfung überzeugt gewesen war. Denn die Impfung werde vom Robert-Koch-Institut weiterhin empfohlen. Nur die Art der Impfung habe sich geändert. Das LSG muss nunœ ermitteln, ob ein solcher Rechtsschein tatsächlich vorlag und, wenn ja, ob die angegebenen psychischen Probleme tatsächlich auf die Impfung zurückzuführen sind.

Az.: B 9/9a VJ 1/07

Impfviren lösten Poliomyelitis aus

Durch die Schluckimpfung ging in den 1960er Jahren die Zahl der Polio-Erkrankungen in Deutschland drastisch zurück. Die Lebend-Impfung hatte jedoch ihren Preis: Jedes Jahr bekamen ein bis zwei Menschen bei uns durch die Impfviren Poliomyelitis. Darunter waren sowohl frisch Geimpfte als auch Kontaktpersonen, die sich fäkal-oral bei Impflingen angesteckt hatten. Da es seit den 1990er Jahren keine Wildvirus-Infektion in Deutschland mehr gab, waren die Impfschäden nicht mehr zu akzeptieren. Daher wird bei uns seit 1998 der inaktivierte Totimpfstoff verwendet. (eis)

Lesen Sie dazu auch den Kommentar: Letzte Schatten der Schluckimpfung

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