Flucht über das Mittelmeer
Seenotrettung: „Ärzte ohne Grenzen“ reicht EU-Beschwerde ein
Ein neues italienisches Gesetz erlaubt Hilfsorganisationen nur eine Rettungsaktion pro Einsatz. „Ärzte ohne Grenzen“ sieht darin eine Behinderung der Seenotrettung - und reicht Beschwerde ein.
Veröffentlicht:Brüssel/Berlin. „Ärzte ohne Grenzen“ hat gemeinsam mit vier weiteren Nichtregierungsorganisationen Beschwerde bei der Europäischen Kommission eingereicht. Es geht um die Praxis der italienischen Behörden und das dazugehörende Gesetz, Häfen für die Ausschiffung zuzuweisen, die weit von dem Gebiet entfernt sind, in dem die Menschen gerettet wurden.
Laut einer Mitteilung von Donnerstag bezweifeln die Organisationen, dass das Gesetz mit dem einschlägigen EU-Recht und den völkerrechtlichen Verpflichtungen der EU-Mitgliedstaaten in Bezug auf Such- und Rettungsmaßnahmen auf See vereinbar ist.
Flüchtlinge zahlen den Preis
„Jeder Tag, den wir nicht in der Such- und Rettungsregion verbringen, weil wir festsitzen oder auf dem Weg zu einem weit entfernten Hafen sind, gefährdet Leben“, sagt Djoen Besselink, Einsatzleiter von „Ärzte ohne Grenzen“. „Das Gesetz zielt auf Nichtregierungsorganisationen ab, aber den wahren Preis zahlen die Menschen, die über das Mittelmeer fliehen und sich in einem Boot in Seenot befinden.“
Das entsprechende Dekret hatte Italien im Januar 2023 eingeführt, Gesetz wurde es im März (15/2023). Es verbietet Such- und Rettungsschiffen, mehr als eine Rettungsaktion pro Einsatz durchzuführen, da sie nach einer Rettung unverzüglich den zugewiesenen Hafen ansteuern sollten. Das bedeutet, dass die Schiffe keine Hilfe für andere Boote in Not leisten dürften.
Das Gesetz verpflichtet zudem die Kapitäne, italienischen Behörden nicht näher spezifizierte Informationen über durchgeführte Rettungsaktionen zu übermitteln, was in der Praxis dazu geführt hat, dass extrem viele Daten angefordert wurden.
Erste Rettungsschiffe saßen fest
Am 23. Februar 2023 wurde das Rettungsschiff von „Ärzte ohne Grenzen“ zum ersten Mal für 20 Tage festgesetzt. Außerdem wurde eine Geldstrafe verhängt, weil spezielle Informationen nicht zur Verfügung gestellt werden konnten, nach denen nie zuvor gefragt wurde. Seitdem haben die italienischen Behörden vier weitere Such- und Rettungsschiffe für jeweils 20 Tage festgesetzt. Damit haben sie insgesamt 100 Tage verloren, während die gefährlichen Überfahrten und Schiffbrüche weitergingen.
Verschärft werde das Gesetz durch die Praxis der italienischen Behörden, weit entfernte Häfen in Norditalien für die Ausschiffung von Überlebenden nach Rettungsaktionen zuzuweisen. Das sei eine Zumutung für die geretteten Menschen, die häufig in einem schlechten physischen und psychischen Zustand seien, heißt es. Negativ wirkten sich auch die größeren Entfernungen, da die Organisation die erhöhten Treibstoffkosten tragen müssten.
„Die Bundesregierung muss gegenüber Italien auf die Einhaltung von europäischem Recht drängen”, sagt Felix Braunsdorf, politischer Referent von „Ärzte ohne Grenzen Deutschland“. „Das italienische Gesetz behindert Seenotrettung auf dem zentralen Mittelmeer und kostet Menschenleben. Es verstößt aus unserer Sicht klar gegen EU-Recht.” (kaha)