„Enorme Veränderungen“
Wie ein Hausarzt KI in seiner Praxis einsetzt
Künstliche Intelligenz kommt mittlerweile in vielen Feldern zum Einsatz – jetzt auch in der Hausarztpraxis. Wolfgang von Meißner berichtet, wie er und sein Team KI im Praxisalltag nutzen – und welche Arbeitsweisen sich dadurch verändert haben.
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Der Einsatz von KI verändert einiges. „Ich verstehe als Arzt nur das, was ich verstehen will, stecke Patienten unbewusst in Schubladen und nach einem langen Tag höre ich auch nicht mehr so gut zu. Ganz anders die KI“, berichtet Hausarzt Professor Wolfgang von Meißner.
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Der Einsatz von Künstlicher Intelligenz (KI) im Alltag ist nicht mehr wegzudenken. Und auch im medizinischen Bereich ist Künstliche Intelligenz schon fest verankert, sei es in Dermatologie, Onkologie oder Radiologie.
Neu ist der Einsatz von KI in der hausärztlichen Praxis. Wie das funktionieren kann, zeigt Hausarzt Professor Wolfgang von Meißner von der Praxis am Spritzenhaus in Baiersbronn im Schwarzwald. Er testet seit einigen Wochen KI bei der täglichen Arbeit. Die Veränderung sei enorm, wie er berichtet.
Die Praxis nutzt bereits seit einigen Monaten eine App, über die Patienten Termine ausmachen oder Rezepte bestellen können. Hinzugekommen ist jetzt ein KI-Sprachmodell, auch Large Language Model (LLM) genannt, das sich auf verschiedene Art und Weise nutzen lässt. „Es zeichnet Patientengespräche auf und fasst sie intelligent zusammen.
Sprachsystem nimmt Anruf an
Patienten können auch unseren MedicBot anrufen und ein Rezept bestellen. Das Sprachsystem nimmt diesen Anruf an, zeichnet ihn als Audio-Datei auf und die KI transkribiert zeitgleich das Gespräch. Der MedicBot, wie die KI bei von Meißner genannt wird, macht eine Zusammenfassung des Gesprächs.
Dazu kann die KI auch auf Daten, wie Patientendaten, Dauerdiagnosen und den Medikamentenplan, aus dem PVS zugreifen, und bereitet die Bestellung für den Arzt vor“, erklärt Daniel Teigland von MediTech, der die Praxis-App mit KI gemeinsam mit Hausarzt von Meißner entwickelt hat.
Diese Rezeptbestellung geht dann auf den Signierstapel im PVS, das Rezept kann vom Arzt freigegeben werden und der Patient es einlösen. „Dabei kann der Patient über die App in Echtzeit jeden Schritt verfolgen, der in der Praxis passiert und was der Stand seiner Rezeptbestellung ist“, sagt Teigland. Eine Mitarbeiterin, die den Anruf annimmt, sei nicht mehr notwendig.
Künstliche Intelligenz
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MedicBot bereitet Rezeptbestelltung vor
Der MedicBot kontrolliert im Vorfeld die Rezeptbestellung, ob das Medikament und Dosierung zum Patienten passt oder der Anrufer vielleicht nicht deutlich gesprochen hat und noch einmal nachjustiert werden muss.
„Es wird alles von dem MedicBot so vorbereitet, dass am Ende der Arzt final das Medikament noch einmal kontrolliert und freigibt. Wenn etwas nicht passen sollte oder nicht verstanden wurde, teilt der MedicBot das mit“, sagt Teigland.

Hausarzt Wolfgang von Meißner in seiner Praxis am Spritzenhaus in Baiersbronn im Schwarzwald.
© Ines Rudel
Die zweite Anwendung der KI ist das Aufzeichnen des Arzt-Patienten-Gesprächs in der Praxis. Von Meißner „versteckt sich nicht mehr hinter seinem Computer“ und tippt bei dem Gespräch mit dem Patienten den Befund mit. Bei ihm liegt das Smartphone auf dem Tisch und zeichnet die Unterhaltung über die Praxis-App auf.
Der Vorteil: Der Arzt kann seinem Patienten in die Augen schauen, genau zuhören, und ihn auch wieder körperlich untersuchen. Von Meißner. „Ich bin wieder näher am Patienten, dank KI.“
„Die KI kann sich alles merken“
Beim Einsatz der KI komme man als Arzt dazu, sein persönliches Selbstverständnis infrage zu stellen, so von Meißner. Denn die KI höre besser zu. „Ich verstehe als Arzt nur das, was ich verstehen will, stecke Patienten unbewusst in Schubladen und nach einem langen Tag höre ich auch nicht mehr so gut zu.
Ganz anders die KI. So kann es passieren, dass ich die Zusammenfassung der KI lese und nachfrage, ob der Patient das wirklich gesagt hat, weil ich mich nicht daran erinnern kann. Die KI kann sich alles merken und vergisst nichts, wie eine Art Co-Pilot des Arztes.“
Während eines solchen Arzt-Patienten-Gesprächs könne der MedicBot in Zukunft eingreifen und dem Arzt sagen, in welcher Richtung er noch einmal nachfragen soll. Die KI kann gezielt auch Hinweise geben. Dafür brauche sie aber aktuell noch mehr Daten, so von Meißner.
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Zusammenfassung für Patienten
Eine Zusammenfassung gibt es nach dem Gespräch nicht nur für den Arzt, sondern auch für die Patienten nach ihrem Arztbesuch. „Die Zusammenfassung des Gesprächs, die die KI für den Patienten erstellt, kann aber bereits jetzt eine deutliche Entlastung im hausärztlichen Alltag sein“, sagt von Meißner.
„Die Patienten geben positive Rückmeldung, da sie klare Hinweise erhalten, wie sie ein neues Medikament einnehmen oder bei welchen Symptomen sie sich wieder melden sollen.“
Das Projekt werde wissenschaftlich begleitet: „Wir sind Gründungsmitglied des Supraregional Health Service Research Network (SHRN) des Instituts für Allgemeinmedizin an der Universität zu Lübeck und kooperieren beim Thema KI mit der Abteilung Allgemeinmedizin und Versorgungsforschung der Universität Heidelberg.“
Den Hausarzt, der auf dem Land gemeinsam mit seinen Patienten alt werde, der mit beim Stammtisch sitze und über die Affären im Dorf Bescheid wisse, werde es nicht mehr geben, ist von Meißner überzeugt.
Gehören „Multibehandlerpraxen“ die Zukunft?
Es werde in Zukunft immer häufiger „Multibehandlerpraxen“ geben, mit Physician Assistants (PA), VERAHs, MFA und mehreren Ärzten. Diese werden weniger über die Patienten wissen. Hier könne KI ergänzen und unterstützen, damit der Patient zur richtigen Zeit beim richtigen Behandler ist.
KI sei dabei ein Praxismitarbeiter, der keine Verantwortung trägt, aber etwa eine komplette Patientenakte in kurzer Zeit lesen und zusammenfassen könne. Das schaffe kein Arzt in ein paar Minuten. Und die KI lerne mit, wenn man die Zusammenfassung nachbessern muss, so von Meißner.
Nicht-ärztliche Mitarbeiter können Anamnese mit KI vorbereiten
„Ich kann als Arzt eine Frage an die KI stellen und bekomme aus der Akte eine Antwort und nicht nur eine Auflistung eines gesuchten Wortes“, sagt von Meißner. Auch könne sich die KI künftig aus den Daten daran erinnern, dass der Patient beispielsweise vor einem Jahr eine Koloskopie hatte und Polypen entfernt wurden.
Wenn der Patient ein Jahr später wieder mit Bauchschmerzen in die Praxis kommt, kann die KI dem Arzt dann entscheidende Hinweise geben. Auch könne eine KI wissen, dass der Bruder vor einigen Jahren an Magenkrebs gestorben ist und so den behandelnden Arzt auf die Sorgen des Patienten aufmerksam machen, so von Meißner.
Ein weiterer Pluspunkt ist, dass die KI nicht nur die vorhandenen Patientendaten aus PVS, App und Gespräch nutzt, sondern auch gleich wieder neue Daten in gut strukturierter Form in die Patientenakte schreibt, auf die dann zugegriffen werden kann, so Teigland.
Zudem könnten in Zukunft auch nicht-ärztliche Mitarbeiter eine hochwertige Anamnese mit KI vorbereiten. Ebenso sei denkbar, das Vorgespräch mit einem Bot bereits zu Hause stattfinden zu lassen, so Teigland.
Ein großes Problem bei LLM sei die Nachvollziehbarkeit der Programme. Beim MedicBot, der bei von Meißner in der Praxis zum Einsatz kommen soll, sei jeder Schritt transparent und nachvollziehbar, auch für Laien, so Teigland.
„Wir dürfen das Feld nicht den großen Unternehmen überlassen. Alle Fachgesellschaften sollten sich zusammentun und es sollte keine Geheimnisse bei KI geben“, sagt von Meißner. „Wichtig ist beim Trainieren der KI, dass wir Open Source Daten verwenden und nicht etwa von der Pharmabranche Daten bekommen. Wir wollen definieren, wie Modelle trainiert werden.“
„KI ist extrem dumm“
Dabei gehe es nicht darum, die KI nur mit Leitlinien oder wissenschaftlichen Studien zu füttern, sondern mit konkreten Gesprächsbeispielen, an der sie lernen kann. Und das müssen viele unterschiedliche Beispiele sein. Das ist aufwendig und teuer. „Denn KI ist extrem dumm.“
Bei den Daten, mit denen die KI trainiert wird, müssen Biases mitgedacht werden. „Das Internet und die Datengrundlage sind tendenziell frauenfeindlich und rassistisch.“ Das sollte man im Kopf haben, so der Hausarzt.
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Sobald die KI in der Lage sei, konkret und regelhaft Diagnosen vorzuschlagen, muss sie als Medizinprodukt zertifiziert werden. Aktuell sei der MedicBot eine Dokumentationsunterstützung und nicht ein Diagnosetool. „Die Geschwindigkeit, in der wir uns mit KI bewegen ist rasant“, sagt von Meißner.
Wichtig ist bei der Anwendung von KI, dass die Daten sicher sind. „Unsere Daten liegen alle entweder auf privaten dezentralen Servern oder die Daten werden direkt in der Praxis gespeichert“, sagt Teigland. „Es gibt ein umfassendes Sicherheitskonzept.“
Ein anderes Level an Flexibilität
Die App ist End-to-End verschlüsselt. Praxismitarbeiter und Ärzte können auch ohne VPN arbeiten. „Mit der App ist die Praxis in der Tasche des Arztes. Es ist ein anderes Level an Flexibilität“, sagt von Meißner.
KI wird in Zukunft jeden Bereich der Praxis unterstützen, etwa wenn ein Arzt in der Praxis ausfällt und Termine neu organisiert werden müssen, so können Patienten automatisch angerufen werden und die Termine neu an Ärzte in der Praxis verteilt werden. Dafür muss keine MFA Patienten abtelefonieren, da alles aus dem System funktioniert.
„Die KI wird keine Ärzte ersetzen, aber irgendwann die Ärzte, die keine KI nutzen – da gehen Patienten nicht mehr hin“, so von Meißner.