Ernährungsteam setzt auf intensive Beratung

Der Essener Hausarzt Dr. Lutz Tünnermann hat sich auf ernährungsmedizinische Fragen spezialisiert. Das ist inzwischen weit über die Stadtgrenze hinaus bekannt.

Von Anja Krüger Veröffentlicht:
Ernährungstherapeutisches Team: Der Internist und Ernährungsmediziner Dr. Lutz Tünnermann und die Diätassistentin und Ernährungsberaterin DGE Andrea Scheidacker arbeiten Hand in Hand.

Ernährungstherapeutisches Team: Der Internist und Ernährungsmediziner Dr. Lutz Tünnermann und die Diätassistentin und Ernährungsberaterin DGE Andrea Scheidacker arbeiten Hand in Hand.

© Fotos: akr

Zwar liegt die Praxis des Hausarztes Dr. Lutz Tünnermann mitten im Ruhrgebiet, trotzdem wirkt der Essener Stadtteil Burgaltendorf erstaunlich ländlich. Wenn der Ernährungsmediziner hier in einer Seitenstraße in den Räumen eines ehemaligen Geschäfts in Kürze eine Anlaufstelle für Ernährungsberatung eröffnet, wird das sicher für Aufsehen sorgen.

Wenige Häuser weiter praktiziert Tünnermann in einer Praxisgemeinschaft mit seinem Kollegen Dr. Torsten Hartmann. Als er sich 2003 niederließ und die Räume seines Vorgängers übernahm, waren in der Tür Löcher. Dort hing früher ein Schild, auf dem "Akupunktur" stand. "Ich habe überlegt, was ich für ein Schild an die Tür hängen könnte und mich für Ernährungsmedizin entschieden", sagt er schmunzelnd. Als Assistenz- und späterer Oberarzt bei Professor Udo Rabast in der Abteilung für Innere Medizin und Gastroenterologie der Katholischen Kliniken Ruhrhalbinsel hatte er viele Erfahrungen auf diesem Gebiet gesammelt, vor allem mit enteraler Ernährung und gastroenteraler Diätetik.

Eigene Fortbildung am Praxisbedarf ausrichten

Die Patienten registrierten das neue Schild mit Interesse. Allerdings hatte die Ernährungsmedizin in der Klinik eine andere Ausrichtung als die in der eigenen Praxis. "Ich habe schnell gemerkt, dass ich den Patienten damit keine angemessene Ernährungsmedizin anbieten kann", sagt er. Also wählte er nun seine Fortbildungen systematisch nach dem Bedarf in der Praxis aus. Die Patienten hat er damals oft an Kollegen und Kliniken verwiesen. "Ich habe einige Jahre gebraucht, um mich einzuarbeiten", sagt der 48-Jährige.

Bei einer Fortbildung lernte Tünnermann die Diätassistentin Andrea Scheidacker kennen. Gemeinsam entwickelten sie ein Konzept für die ernährungsmedizinische Praxis, seit 2006 arbeiten sie zusammen. Im Jahr 2007 wurde diese dann als Schwerpunktpraxis Ernährungsmedizin vom Bundesverband Deutscher Ernährungsmediziner (BDEM) zertifiziert. Die Arbeitsteilung zwischen dem Ernährungsmediziner DAEM/DGEM und der Ernährungsberaterin DGE ist bis heute sehr strikt. "Ich stelle die Diagnose und die Indikation", sagt Tünnermann. Die Ernährungsberatung übernimmt dann Scheidacker.

Mund-zu-Mund-Propaganda ist die beste Empfehlung

Anfangs hat der Arzt die Interessenten für sein ernährungsmedizinisches Angebot vor allem aus dem eigenen Patientenbestand rekrutiert. Seit einem halben Jahr kommen zunehmend Patienten von außen, auch aus umliegenden Großstädten. Manche suchen ihn auf den Rat anderer Ärzte hin auf, die meisten aber aus eigenem Antrieb. Sie haben über Mundpropaganda von der Praxis gehört oder sind im Internet auf den BDEM-Seiten auf sie aufmerksam geworden. Bei etwa der Hälfte der neuen Patienten findet nach dem ersten Beratungsgespräch nochmals eine Diagnostik statt.

Ist der Hausarzt Tünnermann der Überzeugung, für einen seiner Patienten ist eine ernährungsmedizinische Leistung interessant, gibt er diesem eine schriftliche Information mit den Angeboten der Ernährungsmedizin und -beratung. Diese reichen von der Präventionsberatung über die gezielte ernährungsmedizinische Diagnostik und Therapie sowie individuelle und Gruppenschulungen für Diabetiker bis zur Langzeitbetreuung Adipöser. Auch der Hinweis "Ernährungsmedizinische Leistungen sind Selbstzahlerleistungen" fehlt nicht. Das Blatt wird außerdem im Wartezimmer der Praxisgemeinschaft ausgelegt.

Auf der Information finden die Patienten die Telefonnummer des "Ernährungsteams". Unter dieser Nummer meldet sich ein Anrufbeantworter, den Andrea Scheidacker regelmäßig abhört. "Ich rufe innerhalb von 48 Stunden zurück", sagt sie. "Dieses System hat sich bewährt." Pro Woche ist die 41-Jährige rund 15 Stunden in der Praxis tätig. Anfangs hatte der Arzt selbst den Kontakt zwischen dem jeweiligen Patienten und der Diätassistentin hergestellt.

Doch das war sehr aufwändig und nicht immer erfolgreich. Jetzt melden sich nur Patienten bei Scheidacker, wenn sie wirklich Interesse haben. "Sie können sich in Ruhe klar werden, was sie wollen", sagt der Arzt. Auch sollen die Patienten sich bewusst machen, dass sie die Kosten für die Ernährungsberatung selbst tragen müssen. Nur in Einzelfällen übernehmen Krankenkassen diese teilweise. Sie liegen für ein Einzelgespräch bei 60-minütigem Erstkontakt zwischen 60 und 75 Euro, bei 30- bis 45-minütigen Folgekontakten zwischen 30 und 50 Euro.

Einzel- und Gruppenangebote - die Mischung macht‘s

Die ernährungsmedizinischen Beratungen und Kurse werden nach dem Abschluss der Renovierungsarbeiten in den neuen Räumen einige Häuser weiter stattfinden. Bis dahin bietet das Team sie in der Praxis, aber außerhalb der Sprechstunden an.

Knapp 70 Prozent der Patienten, die eine ernährungsmedizinische Beratung in Anspruch nehmen, sind übergewichtig oder adipös. Von ihnen leiden wiederum zwei Drittel an einem manifesten oder neu entdeckten Diabetes mellitus. Weitere 20 Prozent haben Magen-Darm-Erkrankungen, etwa zehn Prozent kommen mit den Zeichen einer Malnutrition in die Praxis, berichtet Tünnermann. Je nach individuellem Problem brauchen die Patienten eine unterschiedlich intensive Betreuung. Bei manchen reicht eine einmalige Beratung, andere kommen regelmäßig über Wochen und Monate. Übergewichtigen benötigen meist eine Langzeitbetreuung, damit die erforderliche Verhaltenserhaltensänderung langfristig beibehalten wird.

Anfangs haben die Patienten überwiegend Einzelberatungen nachgefragt. Jetzt bietet das Team auch Kurse an, beispielsweise für Menschen mit nur geringem Übergewicht. "Die Präventionskurse haben maximal 16 Teilnehmer", sagt Scheidacker. Die dafür nötigen Schulungsräume und eine Lehrküche sind vorhanden. In den Präventionskursen vermittelt Scheidacker den Teilnehmern grundlegendes Wissen über eine gesunde Ernährung und Informationen zur Lebensmittelauswahl.

Dabei sollen die Teilnehmer auch etwas über sich selbst lernen, etwa ob und wann sie aus Frust essen und welche Erwartungen und Ziele sie haben. Ein Kurs beinhaltet einen Informationsabend, zehn Treffen sowie ein Folgetreffen und kostet die Teilnehmer zwischen 175 und 200 Euro, hinzu kommen die Ausgaben für Sachmittel etwa wenn die Lehrküche genutzt wird. Der Präventionskurs liegt in Scheidackers Händen, aber der Arzt nimmt am ersten Abend teil. Viel Wert legt das Team auf eine angenehme Atmosphäre. Dem Mediziner und der Diätassistentin geht es nicht darum, Patienten mit erhobenem Zeigefinger einzuschüchtern. "Ernährung ist etwas, was zum täglichen Leben gehört und Spaß machen soll", sagt Tünnermann.

Künftig will Tünnermann außerdem an einem Vormittag in der Woche eine spezielle Sprechstunde anbieten. Wer auf dem Gebiet der Ernährungsmedizin tätig ist, muss sich Zeit für die Hilfesuchenden nehmen, weiß er. "Man muss erst mal eine halbe Stunde zuhören." Denn viele Patienten mit Ernährungsproblemen haben eine lange Leidensgeschichte hinter sich.

AUF EINEN BLICK

Die Praxis von Dr. Lutz Tünnermann in Essen

Dr. Lutz Tünnermann führt seine Hausarztpraxis in einer Praxisgemeinschaft mit Dr. Torsten Hartmann.

Die Praxis befindet sich am Stadtrand von Essen im Stadtteil Burgaltendorf.

Pro Quartal betreut die Praxisgemeinschaft etwa 2000 Kassenpatienten und 400 Privatpatienten.

Das ernährungsmedizinische Team besteht aus zwei Personen. Der Mediziner Dr. Lutz Tünnermann ist für die Diagnostik und Indikationsstellung verantwortlich.

Diätassistentin und Ernährungsberaterin DGE Andrea Scheidacker bietet die Beratungen und Kurse an.

Zu den Kooperationspartnern zählen:

Verein für Gesundheitssport und Sporttherapie an der Universität Duisburg-Essen

Lehrklinik für Ernährungsmedizin DAEM der Katholischen Kliniken Ruhrhalbinsel

Abteilung für Allgemeine und Viszeralchirurgie am Alfried Krupp Krankenhaus Essen (für bariatrische Operationen)

niedergelassene Psychologen

mehrere Selbsthilfegruppen

Schlagworte:
Mehr zum Thema

Hauptstadtdiabetologinnen

Ein Netzwerk für Diabetologinnen

Möglicher Langzeiteffekt bei älteren Frauen

Supplementation von Calcium und Vitamin D könnte Krebsmortalität senken

Unabhängig vom BMI

Frauen mit Bauchspeck häufiger infertil

Kommentare
Vorteile des Logins

Über unser kostenloses Login erhalten Ärzte und Ärztinnen sowie andere Mitarbeiter der Gesundheitsbranche Zugriff auf mehr Hintergründe, Interviews und Praxis-Tipps.

Haben Sie schon unsere Newsletter abonniert?

Von Diabetologie bis E-Health: Unsere praxisrelevanten Themen-Newsletter.

Das war der Tag: Der tägliche Nachrichtenüberblick mit den neuesten Infos aus Gesundheitspolitik, Medizin, Beruf und Praxis-/Klinikalltag.

Eil-Meldungen: Erhalten Sie die wichtigsten Nachrichten direkt zugestellt!

Newsletter bestellen »

Top-Meldungen

Tierexperiment: Neuer Signalweg identifiziert

Essen in Sicht? Die Leber ist schon aktiv!

Lesetipps
Wo lang im Gesundheitswesen? Der SVR Gesundheit und Pflege empfiehlt mehr Richtungspfeile für alle Akteure.

© StefanieBaum / stock.adobe.com

Sachverständigenrat Gesundheit und Pflege

Gesundheitsweise empfehlen Primärversorgung für alle – und Quotierung der Weiterbildung

„Wenn die Politik Wissenschaftlern sagen würde, wir wollen dieses oder jenes Ergebnis, ist das Propaganda.“ Klaus Überla – hier im Treppenhaus seines Instituts – über Einmischungen aus der Politik.

© Patty Varasano für die Ärzte Zeitung

Interview

STIKO-Chef Überla: RSV-Empfehlung kommt wohl bis Sommer