Bestimmen Gen-Tests künftig den Speiseplan?

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Von Philipp Grätzel von Grätz

BERLIN. Die Beschäftigung mit Genen hat bekanntlich zu vielen neuen Disziplinen geführt, die alle auf -omics enden. Zu Genomics, Proteomics, Transcriptomics und Pharmacogenomics gesellt sich jetzt die Nutrigenomics (Nutrigenomik). Das Konzept: Menschen sollen durch eine auf die individuellen Gene maßgeschneiderte Ernährung vor Krankheiten geschützt werden.

Zugegeben: Die Sache klingt ein wenig esoterisch. Nutrigenomiker sind im Moment sicher nicht die Speerspitzen der Gen-Test-Bewegung. Es gibt sie dennoch, und wer will, kann sich bereits heute nach einem gezielten Gentest ein durch eine "Speisekarte" ergänztes Genprofil kommerziell erstellen lassen.

Wer an die Firma Genelex in Seattle im Staat Washington 395 Dollar überweist, erhält ein Test-Kit für einen Wangenabstrich sowie einen Lifestyle-Fragebogen zum Ausfüllen. Beides wird an das Unternehmen zurückgesandt. Dort untersuchen Wissenschaftler den Wangenabstrich auf zur Zeit 19 Gene und erstellen daraus einen 35seitigen Bericht. Geordert werden kann online.

Das Unternehmen Sciona in Boulder in Colorado, an der auch die BASF mit Venture-Kapital beteiligt ist, macht es dezenter und verlangt die Konsultation eines kooperierenden Arztes. Der zuständige Arzt für einen Kunden aus Berlin sitzt in Griechenland, doch der Sciona-Mitarbeiter am Telefon kann beruhigen: "Sie müssen da nicht persönlich hin. Senden Sie mir eine E-Mail mit Ihrer Adresse. Alles Nötige schickt Ihnen der Arzt dann per Post."

Die Nutrigenomik als Geschäftemacherei dubioser Unternehmen abzuqualifizieren, griffe freilich entschieden zu kurz. Wie die Pharmakogenomik, bei der es um eine Individualisierung der medikamentösen Therapie geht, ist auch die Nutrigenomik eine seriöse Disziplin. Nutrigenomische Projekte werden in Deutschland zum Beispiel vom Forschungsministerium gefördert.

Nutrigenomiker untersuchen Gene, um herauszufinden, wer von bestimmten Nahrungsmitteln oder Nährstoffen besonders profitiert und von anderen lieber die Finger lassen sollte, um gesund zu bleiben. Wissenschaftlich gesprochen geht es also um die Wechselwirkung zwischen Genen und Nahrungsbestandteilen.

Eines der am besten beschriebenen Beispiele dafür ist das Gen für die Methylentetrahydrofolatreduktase (MTHFR), ein Enzym im Folsäurestoffwechsel. Etwa zehn Prozent der Europäer haben an einer ganz bestimmten Stelle dieses Gens den Baustein Thymin anstelle von Cytosin. Sind beide Allele betroffen, kommt es besonders dann zu einer Hyperhomocysteinämie, wenn wenig Folsäure aufgenommen wird. Eine Hyperhomocysteinämie gilt als Risikofaktor für Herz-Kreislauf-Erkrankungen, so daß die Empfehlung zur vermehrten Aufnahme von Folsäure bei Menschen mit einem homozygot-mutierten MTHFR-Gen medizinisch relevant sein könnte.

Ähnliche Daten gibt es für den Zusammenhang zwischen HDL-Cholesterin-Gehalt im Blut und dem Gen für das Fettstoffwechseleiweiß Apolipoprotein A1. Menschen mit bestimmten Polymorphismen in diesem Gen, also mit Genvarianten, scheinen überdurchschnittlich von einer Diät zu profitieren, die reich ist an ungesättigten Fettsäuren. Auch hier könnte eine entsprechende Ernährungsempfehlung medizinisch sinnvoll sein. Was fehlt, sind prospektive Studien, die belegen würden, daß Menschen, die die Ernährungsempfehlungen umsetzen, weniger krank sind oder länger leben.

Wer sich den beispielhaften Bericht von Genelex im Internet ansieht, wird noch etwas feststellen: Die Empfehlungen decken sich weitgehend mit dem, was ernährungsmedizinisch interessierte Ärzte ohnehin empfehlen, unabhängig vom Genotyp. Das muß nicht so bleiben.

Wenn Nutrigenomiker zeigen können, daß bestimmte Nährstoffe bei bestimmten Genkonstellationen schädlich sind, oder wenn sie bei bestimmten Genkonstellationen Nahrungsempfehlungen geben können, die mehr sind als nur Modifikationen des gängigen Verständnisses von gesunder Ernährung, dann werden auch nutrigenomische Gen-Tests für die Medizin interessant.

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