Pathologen profitieren von Molekularbiologie

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Philipp Grätzel von Grätz

Jeder Arzt hat zumindest einige davon einmal auswendig gelernt. Niemand hat es gern gemacht. Die Rede ist von den bekannten TNM-Tabellen für das Tumor-Staging, die je nach Art der Krebserkrankung in den Lehrbüchern einen kleinen Absatz einnehmen oder ganze Seiten füllen. In der klassischen Onkologie dienen die Tabellen dazu, die Prognose eines Patienten abzuschätzen und Therapieentscheidungen zu treffen.

Für Dr. Thomas Henkel, Leiter des Bereichs Biomedizinische Forschung am Institut für Pathologie des Klinikums Kassel, sind die Tage des klassischen Tumor-Stagings gezählt: "Die Onkologie ist gerade dabei, sich auf die molekulare Ebene zu begeben. Morphologische und histologische Kriterien bilden allenfalls noch ein grobes Raster", sagt er.

Die Bestimmung des Wachstumsfaktor-Rezeptors HER 2, die sich bei Brustkrebspatientinnen zunehmend durchsetzt, ist für ihn nur ein erster, zaghafter Schritt. Und die Kategorie "HER 2-positiv" für Frauen, deren Tumorgewebe den Rezeptor hat und die deswegen für eine Behandlung mit dem Antikörper Trastuzumab in Frage kommen, ist ihm noch viel zu grob.

Aus den gesammelten Tumorgeweben von den 15 000 Patientinnen in der seit einem Jahr laufenden Trastuzumab-Studie HERA, für die Henkels Institut das weltweite Referenzzentrum ist, möchte der Biologe mit Gen-Chips und gezielter molekularer Diagnostik Hinweise auf weitere Subgruppen erhalten. "Nicht alle Frauen mit dem HER-2-Rezeptor sprechen auf eine Therapie mit Trastuzumab an. Es muß noch andere Gene und Genprodukte geben, die dabei ein Wort mitzureden haben", so Henkel zur "Ärzte Zeitung".

Das Mittel der Wahl, um diese Moleküle zu finden, ist für Henkel die Gen-Chip-Analyse, mit der sich zeigen läßt, welche Gene im Tumorgewebe besonders aktiv sind und welche nicht. Beispiel Brustkrebs: Die Arbeitsgruppe um Dr. René Bernards vom Krebsinstitut in Amsterdam, die hier weltweit eine Vorreiterrolle einnimmt, hat zeigen können, daß Ärzte bei Brustkrebspatientinnen eine viel präzisere Prognose über den Verlauf der Erkrankung stellen können, wenn sie sich die Genaktivität ansehen (NEJM 347, 2002, 1999).

"Die gleiche Gruppe macht jetzt eine prospektive Studie mit über 5000 Patientinnen. Wenn sich die Ergebnisse bestätigen, dann wird die Onkologie sich umorientieren müssen", glaubt Henkel, der sich sicher ist: "In fünf Jahren ist die Chipdiagnostik bei Krebspatienten Routine".

Der genetische Tumorabdruck wird dabei nicht nur die individuelle ärztliche Prognose auf neue Füße stellen, sondern vor allem auch die Behandlung auf eine heute noch undenkbare Weise diversifizieren. "Wir sehen das in Ansätzen beim Brustkrebs, aber auch bei den Lymphomen, wo die Zahl der voneinander abgrenzbaren Patientengruppen weiter steigt", so Henkel. Doch eilt der Fortschritt in der Diagnostik einer Erweiterung der Therapie-Optionen noch weit voraus. Die Zahl der identifizierbaren Subgruppen übersteigt weit die Zahl der Therapieschemata.

Hierin liegt die große Herausforderung für Onkologen und Arzneimittelhersteller gleichermaßen. Denn führen Gen-Chips in der Onkologie nicht dazu, daß die immer teureren Medikamente bei immer kleineren Patientengruppen eingesetzt werden? Kommen die Arzneimittelhersteller deshalb irgendwann nicht mehr auf ihre Kosten?

Henkel: "Auf einer gemeinsamen Konferenz der amerikanischen und europäischen Krebsforschungsgesellschaften waren sich alle einig: Eine mögliche Lösung des Problems liegt in einer Ausweitung der Indikation eines Krebsmedikaments".

Das für eine Subgruppe von Patienten mit chronischer myeloischer Leukämie entwickelte Imatinib etwa wirke auch bei Patienten mit gastrointestinalen Stromatumoren und möglicherweise bei einigen Patienten mit Glioblastom. Um so etwas aber schneller erkennen zu können, muß das Zulassungsverfahren zumindest bei Krebsmitteln vereinfacht und beschleunigt werden. "Die Gespräche darüber laufen", weiß Henkel.



STICHWORT

Genchips

Die aus Tumorgewebe gewonnene Boten-RNA ist ein ungefähres Maß für die Genaktivität im Tumor. Das nutzen Genchips aus, die die relative Häufigkeit der Nukleinsäurefragmente mit Fluoreszenzfarbstoffen lesbar machen. Genchips erkennen im Moment bis zu 30 000 verschiedene DNA-Sequenzen und kosten einige hundert Euro. Für eine aussagekräftige Analyse der Genaktivität muß der Chiptest mehrfach wiederholt werden.

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