Allein gelassen: Menschen mit hohem Diabetesrisiko

Wie können die vielen Übergewichtigen mit hohem Diabetesrisiko einen gesunden Lebensstil erlernen? Diabetologen fordern hierfür strukturierte Programme, in die sie Patienten vermitteln können. Verfügbare Angebote sind oft nicht hilfreich, wie Beispiele belegen.

Wolfgang GeisselVon Wolfgang Geissel Veröffentlicht:
Kämpft für Diabetiker: Privatdozent Sven Dietrich (li) mit seinem Patienten Andreas Uhlig.

Kämpft für Diabetiker: Privatdozent Sven Dietrich (li) mit seinem Patienten Andreas Uhlig.

© Kietzmann / Brand Associates

BERLIN. Ein Lebensstil mit gesunder Kost und möglichst viel Bewegung ist die Basis jeder Diabetes-Therapie. Doch wie können es Patienten und Gefährdete lernen, ungesundes Verhalten und lebenslange schlechte Essgewohnheiten zu verändern?

"Betroffene werden damit weitgehend allein gelassen", kritisiert Privatdozent Sven Diederich vom Endokrinologikum in Berlin und betont: "Wir brauchen strukturierte Angebote, in die wir gefährdete Patienten vermitteln können."

Bei der Veranstaltungsreihe "Patient Journey" - einer Initiative vom Unternehmen Lilly und der Charité Universitätsmedizin - haben der Diabetologe und seine Kollegen des Ärztezentrums die Probleme mit Hilfe von drei Patienten verdeutlicht.

Erfolgreich bei Mara: Therapie und Adipositas-Programm

Da ist zunächst die 13-jährige Mara, bei der die Ärzte schon vor einem Jahr einen Typ-2-Diabetes diagnostiziert haben. Weil ihr Übergewicht rasant angewachsen war, sollte in dem Zentrum ein Verdacht auf Hormonstörungen abgeklärt werden.

Unter anderem wurde auch ein oraler Glukosetoleranztest (oGTT) gemacht, bei dem der Blutzucker stark anstieg; es ergab sich zudem eine massive Insulin-Überproduktion.

Die Ärzte behandeln das Mädchen seither mit Metformin und konnten sie zudem in ein Adipositas-Programm im Stadtteilladen von Berlin-Wedding vermitteln. Über ein Jahr lang hat sie dort einmal in der Woche Sport mit fünf anderen betroffenen Kindern gemacht; außerdem wird die Familie bei einem weiteren Termin in der Woche zu gesunder Ernährung geschult.

Mit Erfolg: Der Blutzucker wurde normalisiert, die Insulinresistenz hat sich verringert und das Mädchen hat etwas abgenommen: Bei einer Körpergröße von 162 cm wiegt sie heute 87 kg (BMI 33). "Solche Programme müsste es eigentlich für jeden Patienten geben, sie sind aber die Ausnahme", sagt Diederich dazu.

Ein schlechtes Beispiel: Leona wird nicht wirklich geholfen

Was in der Regel Risiko-Patienten angeboten wird, verdeutlicht der Fall der 16-jährigen Leona. Bei einer Körpergröße von 160 cm bringt das Mädchen bereits 113 kg auf die Waage, sie ist mit einem BMI von 44 also schon hochgradig adipös. Die Untersuchung im Endokrinologikum ergibt zum Glück noch keinen manifesten Diabetes.

Die Jugendliche hat aber eine Hypercholesterinämie und eine Hyperurikämie. Außerdem ergibt der oGTT erste Hinweise für eine prädiabetische Situation.

Das massive Übergewicht ist offenbar vor allem durch einen ungesunden Lebensstil bedingt; auch ihre Mutter und andere Familienmitglieder sind übergewichtig. Das Mädchen hat zudem ein erhöhtes Risiko, weil ihre Großeltern Typ-2-Diabetes haben.

Die Krankenkasse mauert

Die Krankenkasse der Patientin erkennt schwere Adipositas aber nicht als Erkrankung an. "Viele Kassen werben zwar immer wieder mit Programmen gegen Adipositas in ihren Patientenzeitschriften", so Diederich. Seine Erfahrung ist aber: "Die Angebote sind bei Bedarf in der Regel nicht verfügbar".

Für die 16-Jährige und ihre Familie wird eine fünfstündige Gruppenberatung zur Ernährung genehmigt, was auch nicht selbstverständlich ist. Dies reicht aber offenbar nicht aus.

Auch Reha-Programme oft nicht tauglich

Dass aber auch Programme zu Rehabilitation oft nicht zweckdienlich sind, verdeutlicht die Krankengeschichte von Andreas Uhlig, einem 46-jährigen Lkw-Fahrer mit Typ-2-Diabetes. Nach der Diagnose vor acht Jahren wurde er zunehmend intensiv mit oralen Antidiabetika und Mischinsulin behandelt.

Der anstrengende Job mit viel Stress, Zwölf-Stunden-Arbeitstagen, wenig Bewegung und häufig ungesundem Essen in Raststätten erschwert die Therapie. Wegen der Gefahr von Hypoglykämien wurde er schließlich mit einer Insulin-Pumpe versorgt. Er bekommt zudem einen GLP-1-Agonisten, der ihn beim Abnehmen unterstützt.

Uhlig hat in einer Klinik einen Gleichaltrigen kennengelernt, der wegen Diabetes-Folgekrankheiten schon auf einen Rollator angewiesen ist. Dieses Schicksal möchte er sich ersparen und lebt seither gesund. Über 20 kg Gewicht hat er abgenommen, und sein HbA1c liegt jetzt bei optimalen 6,4 Prozent.

Die Motivation des Patienten ist aber bei einem kürzlichen Aufenthalt in einer Reha-Klinik deutlich gedämpft worden. Der Arzt dort - kein Diabetologe, sondern ein Anästhesist - hält eine Insulinpumpe bei Typ-2-Diabetes für übertrieben.

Die Kasse will den GLP-1-Agonisten nicht mehr bezahlen, weil Uhlig an "keiner lebensbedrohlichen Krankheit leidet". Zudem hat man ihm dort eine Berufsunfähigkeit bescheinigt, und der Lkw-Fahrer hat seinen Job verloren.

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