Mehnert-Kolumne

Bei Sulfonylharnstoffen droht Unterzuckerung

Metformin und/oder Sulfonylharnstoffe werden als Initialtherapie bei Typ-2-Diabetes empfohlen. Mit den DPP4-Hemmern, GLP1-Agonisten und SGLT2-Hemmern gibt es aber wichtige Substanzen, die die alten Präparate zum Teil bereits abgelöst haben.

Von Prof. Hellmut Mehnert Veröffentlicht:

Prof. Hellmut Mehnert

Arbeitsschwerpunkte: Diabetologie, Ernährungs- und Stoffwechselleiden: Diesen Themen widmet sich Prof. Hellmut Mehnert seit über 50 Jahren.

Erfahrungen: 1967 hat er die weltweit größte Diabetes-Früherfassungsaktion gemacht sowie das erste und größte Schulungszentrum für Diabetiker in Deutschland gegründet.

Ehrung: Er ist Träger der Paracelsus-Medaille, der höchsten Auszeichnung der Deutschen Ärzteschaft.

Sulfonylharnstoffe (SuH), vor allem Glibenclamid und Glimepirid, sind die stärksten oralen Antidiabetika. Die Substanzen sind äußerst preisgünstig und werden etwa in den DMP und in den Nationalen Versorgungsleitlinien der Allgemeinärzte als primär einzusetzende Substanzen empfohlen.

Was spricht bei diesen Vorteilen denn überhaupt gegen die Empfehlung? Leider übertreffen die Nachteile der SuH die aufgezeigten Vorteile bei Weitem: Glimepirid und besonders Glibenclamid erhöhen das Körpergewicht, bedingen kardiovaskuläre Schäden (etwa im Vergleich mit Metformin) und sie führen häufig zu schweren, ja tödlichen Hypoglykämien. Nach Gallwitz und Nauck verursachen SuH in Deutschland etwa 40 bis 80 Todesfälle pro Jahr.

Diese Zahlen sind an sich bereits bedenklich. Sie müssen aber offenbar noch erheblich nach oben korrigiert werden.

Das legen italienische Daten nahe, die beim EASD-Kongress vorgestellt worden sind: In einem Einzugsgebiet von 12 Millionen (!) Menschen wurden dort in einem Jahr 3500 Hypoglykämie-Patienten auf Notfallstationen behandelt, und zwar knapp jeder Zweite wegen SuH. 9,8 Prozent davon sind gestorben!

Zwar muss man wohl bei einer größeren Zahl von Patienten andere Todesursachen als die Unterzuckerung unterstellen. Trotzdem käme man bei vorsichtiger Schätzung - hochgerechnet auf Deutschland - auf ein Vielfaches der Zahlen von Gallwitz und Nauck!

Bemerkenswert ist darüber hinaus die erhöhte Sturzgefahr infolge von Unterzuckerungen. Das übliche Ausmaß wird hierdurch bei alten Patienten um 50 Prozent übertroffen.

Bei 5,5 Prozent der Betroffenen kommt es in Folge zu einem langwierigen (und kostspieligen!) stationären Aufenthalt.

Es gibt sichere Alternativen zu Sufonylharnstoffen

DPP4-Hemmer oder GLP1-Agonisten führen trotz insulinotroper Effekte nicht zu Hypoglykämien. Kann man angesichts der sicheren Alternativen noch mit gutem Gewissen SuH verordnen? Leider zwingen Budget-Probleme immer wieder dazu.

Selbst bei unbefriedigend eingestellten Patienten (jeder zweite Typ-2-Diabetiker hat HbA1c-Werte über 8,5 bis 9 Prozent ) bei denen Unterzuckerungen nicht zu erwarten sind, bleiben die kardiovaskulären Nachteile und die Gewichtszunahme als Probleme erhalten.

Und wie sieht es bei den normnah mit SuH eingestellten Patienten aus, die bisher keine Hypoglykämie erlitten haben? Gerade diese Patienten sind durch SuH besonders gefährdet: schon eine weggelassene Mahlzeit, vermehrte körperliche Aktivität oder Alkoholgenuss können zu Unterzuckerungen führen.

Wird ein SuH-Patient mit Unterzuckerung bewusstlos, besteht die höchste Alarmstufe: Mindestens 48 Stunden lang muss dann (stationär) Glucose infundiert werden. SuH zirkulieren - im Gegensatz zu Insulin - noch längere Zeit im Blut, es gelangt dann ständig noch körpereigenes Insulin zur Ausschüttung.

Es ist daher ein Kunstfehler, wenn solche Patienten nur einmalig Glucose gespritzt bekommen und dann sofort entlassen werden! Kein Zweifel also, dass man mit den Inkretin-basierten Arzneien ein solches Dilemma vermeiden kann.

Eine Insulinausschüttung und eine konsekutive Blutzuckersenkung findet bei diesen Substanzen nur dann statt, wenn der Blutzuckerspiegel erhöht ist.

Übrigens: Bei einer schriftlichen Befragung von bisher 343Ärzten (Stand Ende Oktober 2013 ) konnte Professor Stephan Jacob feststellen, dass sich im Bedarfsfalle gerade fünf (!) Kollegen einen SuH als erstes Therapeutikum verordnen würden!

Metformin hat eine große Palette an Vorteilen

Ebenfalls - und in diesem Fall zu Recht - wird in den DMP und in allen Leitlinien Metformin zur initialen Behandlung empfohlen. Das Biguanid hemmt die Gluconeogenese und senkt damit den Blutzucker nicht insulinotrop.

Metformin wirkt überdies lipidsenkend, Inkretin-stimulierend, Appetit-hemmend und Gewicht-reduzierend sowie antikarzinogen und günstig bei chronischer Herzinsuffizienz. Wahrlich eine großartige Palette von Vorteilen gegenüber anderen Substanzen!

Die Metformin-Problematik liegt weniger in den Dosis-abhängigen und meist vermeidbaren gastrointestinalen Nebenwirkungen als in der immer wieder diskutierten Gefahr von Lactazidosen bei niereninsuffizienten Metformin-Patienten.

Deshalb hat man in Deutschland eine GFR von weniger als 60 ml/min als Kontraindikation festgelegt. In den USA gilt als Grenzwert hingegen 30 ml/min.

Wer hat nun Recht? Eigentlich beide, da einerseits bei großen Statistiken unter Metformin im Vergleich zu anderen Therapieformen nicht vermehrt Lactazidosen aufgetreten sind und dies in der Tat ohne besondere zusätzliche Ereignisse auch für eine GFR unter 60 gilt.

Andererseits können eben solche besonderen Ereignisse (zum Beispiel ein gastrointestinaler Infekt mit Exsikkose) bei nur mäßig ausgeprägter Niereninsuffizienz plötzlich zur Lactazidose führen! Dies wird von Klinikärzten aus Notfallstationen immer wieder bestätigt.

Kombitherapie schon 1958 beschrieben

Was also tun? Schon aus juristischen Gründen sollte in Deutschland der Grenzwert von 60 unbedingt beachtet werden. Ob man etwa bei einem optimal mit einer GFR von 55 ml/min eingestellten, gut geschulten, zuverlässigen Patienten, der regelmäßig seine Kreatininwerte kontrollieren lässt und regelmäßig den Arzt aufsucht, bei sorgfältiger Dokumentation ausnahmsweise die Metformin-Behandlung beibehält, ist fast eine Ermessensfrage.

Übrigens: Die Kombinationstherapie von SuH und Biguaniden haben wir als erste schon 1958 beschrieben. Vorläufige Daten der UKPDS von 1998 schienen dabei eine vermehrte Mortalität auszuweisen, was sich aber bei einer späteren Analyse nicht bestätigt hat (EASD 2013).

Dennoch sollte heutzutage als ideale Kombination die gemeinsame Gabe von Metformin mit DPP4-Hemmern oder GLP1-Agonisten oder aber mit SGLT2-Rezeptoren-Hemmern angeraten werden. Die vor allem in den USA eingeführte "Triple therapy" mit allen drei Substanzgruppen ist in Deutschland (noch) nicht etabliert.

Das liegt letztlich wohl auch an den Kosten von mehr als vier Euro für die Tagestherapie.

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