Diabetes

Mit Smartphones im Kampf gegen Blindheit

In Südindien ist rund jeder zehnte Mensch zuckerkrank. Jeder Dritte davon lediet an einer diabetischen Retinopathie. Bonner Augenärzte haben nun ein neues Screening-Verfahren getestet.

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Wegen der Gefäße-Lecks sehen Patienten mit Diabetischer Retinopathie verschwommen, doppelt, kontrastarm, flottierende Flecken.

Wegen der Gefäße-Lecks sehen Patienten mit Diabetischer Retinopathie verschwommen, doppelt, kontrastarm, flottierende Flecken.

© Arteria Photography

BONN/BANGALORE. Vier Wochen lang testete Dr. Maximilian Wintergerst, Arzt an der Augenklinik des Universitätsklinikums Bonn, in Südindien ein neues Screening-Verfahren, um Diabetes-bedingte Retinopathien frühzuerkennen. Seine Bilanz: 2000 Aufnahmen der Netzhaut, 400 untersuchte Augen von 200 an Diabetes erkrankten Menschen in 13 Screening-Camps und bei etwa jedem Fünften eine neu diagnostizierte Retinopathie.

"Der erhöhte Zuckergehalt im Blut bei Diabetes schädigt kleine Blutgefäße im Auge - unbehandelt eine Gefahr für die Sehkraft. Da aber viele Menschen in Indien nur schwer Zugang zu einer medizinischen Versorgung haben, wäre ein erschwingliches und leicht durchführbares Screening-Verfahren zur Früherkennung sehr hilfreich", erklärt Wintergerst.

Daher besuchte der Bonner Augenspezialist für die Pilotstudie das Sankara Eye Center in Bangalore, der drittgrößten Stadt Indiens. Im Gepäck hatte er Smartphones und spezielle Aufsätze. Vor hatte er damit schnell und leicht einen funktionierenden Augenspiegel, ein so genanntes Ophthalmoskop, zur Hand.

Umrüstung eines Smartphones für weniger als ein Euro

"Bei dem Screening nutzen wir die Kamera des Smartphones, um ins Auge zu sehen", sagt Dr. Wintergerst. Bei zwei der mitgebrachten Mobiltelefone fokussieren zwei unterschiedliche Adapter den Strahl vom Kamera-Blitzlicht so, dass beide Geräte als direktes Ophthalmoskop eingesetzt werden können. Bei einer anderen Variante verwandelt eine zusätzliche Linse das Smartphone in einen indirekten Augenspiegel, bei dem der Betrachter ein vergrößertes, aber umgekehrtes Bild der Netzhaut sieht. Die Kosten liegen bei allen drei Lösungen jeweils bei wenigen hundert Euro.

Einen noch viel günstigeren Ansatz, um direkt mit einem Lichtstrahl ins Auge sehen zu können, entwickelten die Augenärzte am Sankara Eye Center in Bangalore selbst. Dazu bringen sie anstelle eines Adapters ein kleines LED-Licht ganz dicht an die Kamera des Mobiltelefons an. "Zusätzlich zu dem Smartphone brauchen sie nur eine LED, eine Batterie und ein Klebeband für etwa 50 Rupien, also weniger als ein Euro", sagt Dr. Wintergerst.

Zudem sind alle vier Lösungen schnell und einfach zusammengebaut, so dass geschultes, nicht-ärztliches Personal fernab eines medizinischen Zentrums Aufnahmen von einer Netzhaut machen kann. Ein Augenarzt kann die Bilder dann später auswerten.

So für den Praxistest ausgerüstet machte sich das etwa zehnköpfige Team auf den Weg in eines der insgesamt 13 Screening-Camps, die in den Slums von Bangalore und auf dem Land stattfanden. Zusätzlich mit dabei war immer eine in Arztpraxen übliche Funduskamera zur Farbfotografie der Netzhaut, damit die Qualität der Aufnahmen der Smartphone-Varianten gegen den Goldstandard geprüft werden kann. "Alle Lösungen funktionieren und gerade die günstige indische Variante muss sich wirklich nicht verstecken", sagt Dr. Wintergerst.

Vier Smartphone-Lösungen auf dem Prüfstand

Insgesamt 200 Patienten mit Diabetes nahmen an den Screenings teil. Jedes Mal musste dafür alles in den speziell eingerichteten Camps aufgebaut werden. Vor allem die Energieversorgung war ein großes Problem, denn es gab öfter lang anhaltende Stromausfälle. "Als Lösung hatten wir große Akkus dabei", sagt Dr. Wintergerst. Die wartenden Patienten wurden registriert. Nach Voruntersuchungen, wie einem Sehtest, kontrollierte das Team jeweils beide Augen der Patienten an verschiedenen Stationen mit allen vier Smartphone-Augenspiegeln und der Funduskamera. "Wir bekamen sehr viel positive Resonanz", sagt Dr. Wintergerst. Sehr spannend fand er, einmal nicht auf deutschem Niveau zu arbeiten, auch wenn einmal eine als Screening-Camp genutzte Grundschule von einer Horde wilder Affen okkupiert wurde.

Umfangreiches Datenmaterial wird nun ausgewertet

Die insgesamt 2.000 Aufnahmen wertet Dr. Wintergerst zusammen mit den Kooperationspartnern in Indien jetzt nach und nach aus. "Es ist bereits offensichtlich, dass wir ein leicht zugängliches sowie sehr kostengünstiges Screening-Verfahren gefunden haben", freut er sich Dr. Wintergerst. Jetzt müsse der Datenvergleich klären, welche der Smartphone-Lösungen die Beste sei. "Die hat das Potential, die Situation von Menschen mit Diabetes in Gegenden mit unzureichender medizinischer Versorgung wie in Indien oder Afrika erheblich zu verbessern."

(eb)

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