IM GESPRÄCH

Der Bauchumfang sagt mehr aus über das kardiovaskuläre Risiko als der Body-Mass-Index

Von Thomas Müller Veröffentlicht:

Wie kann man Menschen mit einem hohen Risiko für kardiovaskuläre Ereignisse oder Stoffwechselerkrankungen gut erkennen? Skalen wie der Framingham- oder der Procam-Score liefern oft ein ungenaues Bild. Ein Blick auf den Bauch und die Triglyzerid-Werte kann die Risikoabschätzung sehr einfach ergänzen.

"Wer zeigen will, daß er ein guter Arzt ist, trägt oft ein Stethoskop um den Hals. Wer zeigen will, daß er ein kompetenter Arzt ist, sollte sich auch ein Maßband um den Hals legen." Mit diesem Satz wies Dr. Jean-Pierre Després aus Quebec in Kanada darauf hin, was nach seiner Ansicht zu jedem Gesundheits-Check gehört: Ein Blick auf den Bauch des Patienten - oder genauer: Ein Blick auf das Maßband, das um den Bauch liegt. Ein solcher Blick könne mitunter mehr über das kardiovaskuläre und metabolische Risiko verraten als das alleinige Betrachten von BMI, Cholesterinspiegeln und Nüchtern-Glukosewerten, so Després auf einer Veranstaltung von Sanofi-Aventis in Paris. Denn der Bauchumfang ist ein gutes Maß für die Menge an intraabdominellem Fett.

Bei übergewichtigen und adipösen Patienten kommt es bekanntlich nicht nur darauf an, wieviel sie wiegen, sondern auch, wo die überschüssigen Pfunde sitzen. Und besonders ungünstig ist eben das Bauchfett.

Viel viszerales Fett bedeutet auch hohe Blutzucker-Werte

Nach Studiendaten sagt die Menge an intraabdominellem Fett mehr über das kardiovaskuläre Risiko aus als etwa der BMI. Wer viel Bauchfett hat, daran erinnerte Després, hat oft auch erhöhte Triglyzerid-Werte, erhöhte Blutzucker-Werte und eine verringerte Insulin-Sensitivität. Solche Risikofaktoren werden jedoch mit vielen Punkteskalen nicht erfaßt. Després nannte als Beispiel einen nicht rauchenden 53jährigen Mann mit folgenden Laborwerten: Nüchtern-Glukose knapp unter 100 mg /dl, Blutdruck 124/76 mmHg, Gesamtcholesterin 5,1 mmol / l (197 mg / dl), Triglyzeride 2,4 mmol / l (210 mg / dl), HDL 0,7 mmol / l (27 mg / dl) und Bauchumfang 101 cm. Nach dem Framingham-Score gibt es für den niedrigen HDL-Wert und das Alter insgesamt fünf Punkte. Das entspricht einem Risiko von acht Prozent, in den nächsten zehn Jahren ein kardiovaskuläres Ereignis zu bekommen.

Tatsächlich ist das Risiko jedoch höher, sogar weitaus höher, sagte Després. Nach Studiendaten haben Menschen mit einer Trias aus Hyperinsulinämie, erhöhtem Apolipoprotein-B-Wert und einer erhöhten Konzentration von besonders atherogenen kleinen LDL-Partikeln ein 20fach erhöhtes kardiovaskuläres Risiko. Diese Faktoren mißt aber meist niemand. Man muß sie auch nicht direkt messen. Denn genau dafür genüge ein Blick auf den Bauch.

80 Prozent der Männer mit einem Bauchumfang von über 90 cm und einem Triglyzerid-Wert von über 2 mmol/l haben die genannte Trias, selbst wenn Gesamtcholesterin-Wert, Blutzucker und Blutdruck normal sind. Der 53jährige Mann im Beispiel hätte also nicht nur ein leicht erhöhtes Risiko, wie es der Framingham-Score deutet, sondern ein 20fach erhöhtes kardiovaskuläres Risiko.

Eine derartige Risikokonstellation bezeichnete Després als "hypertriglyzeridämischen Bauch".

Der Triglyzerid-Wert dient bei seiner Kalkulation quasi als Kontrolle, ob der erhöhte Bauchumfang tatsächlich durch abdominelles Fett bedingt ist, und nicht vor allem durch relativ harmloses subkutanes Fett. So geht eine erhöhte Menge an viszeralem Fett meist auch mit erhöhten Triglyzerid-Werten einher. Ist der Wert dagegen normal, kann jemand noch so dick sein, die Bauchfettmenge ist dann sehr gering. Després nannte als Beispiel eine Frau mit einem BMI von über 45. Blutglukose-, Cholesterin- und Triglyzeridwerte waren weitgehend normal. Im CT war deutlich sichtbar, daß praktisch alles Fett subkutan eingelagert war - die Frau hatte kaum überschüssiges Bauchfett.

Auch das zeigt, daß nicht allein der BMI, sondern die Fettverteilung wichtig ist.

Ein hoher BMI ist harmlos bei geringem Bauchumfang

Und das gilt auch für das Diabetes-Risiko. Després nannte dazu eine Studie, bei der die Diabetes-Inzidenz von zunächst gesunden Menschen über eine Zeit von 13,5 Jahren analysiert wurde. Wurden die Menschen entsprechend ihres BMI einerseits und ihres Verhältnisses von Bauchumfang zu Hüftumfang andererseits in drei Gruppen eingeteilt, so lag die Diabetes-Inzidenz bei 0,5 Prozent in der Tertile mit dem niedrigsten Bauch-zu-Hüftumfang, und zwar unabhängig davon, wie hoch der BMI war. Der BMI wurde dann entscheidend, wenn auch das Bauch-zu-Hüft-Verhältnis zunahm: So lag die Diabetes-Inzidenz in der Tertile mit dem höchsten Bauch-zu-Hüft-Verhältnis, aber dem niedrigsten BMI bei drei Prozent, und in der Gruppe mit dem höchsten BMI und dem höchsten Bauch-zu-Hüft-Verhältnis bei 15 Prozent. Kurz gesagt: Ein hoher BMI ist harmlos bei geringem Bauchumfang; sind beide Werte erhöht, potenziert sich das Risiko.



FAZIT

Im Zusammenhang mit kardiovaskulären und Stoffwechselerkrankungen ist das intraabdominelle Fett von besonderer Bedeutung. Dabei ist der Bauchumfang ein gutes Maß für die Menge an intraabdominellem Fett. Wer viel Bauchfett hat, das belegen mehrere Studien, hat häufig auch erhöhte Triglyzerid-Werte, erhöhte Blutzucker-Werte und eine verringerte Insulin-Sensitivität. Solche Risikofaktoren werden mit vielen Punkteskalen nicht erfaßt. Ein erhöhtes Diabetes-Risiko zum Beispiel besteht bei Frauen ab einem Bauchumfang von 88 cm, bei Männern von 102 cm.

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