ACE-Hemmer bei KHK - nach PEACE ist Umdenken gefordert

Die Sache mit den ACE-Hemmern bei koronarer Herzkrankheit schien klar und einfach zu sein. Nachdem zwei Studien ihren Nutzen in der Prävention kardiovaskulärer Ereignisse dokumentiert hatten, avancierten ACE-Hemmer auch bei KHK-Patienten ohne Herzinsuffizienz zu einer in Leitlinien empfohlenen Therapie. Diese Empfehlung bedarf nun wohl einer Revision. Denn in der in New Orleans präsentierten PEACE-Studie hatte eine Zusatzbehandlung mit dem ACE-Hemmer Trandolapril bei stabiler KHK keinen über den Effekt der Standardtherapie hinausgehenden Nutzen. Nun ist die Sache plötzlich komplizierter geworden.

Veröffentlicht:

Peter Overbeck

Das ist die PEACE-Studie

ACE-Hemmer haben in vielen Studien ihren therapeutischen Nutzen bei chronischer Herzinsuffizienz, asymptomatischer linksventrikulärer Dysfunktion, akutem Myokardinfarkt sowie bei Hypertonie unter Beweis gestellt.

Durch die im Jahr 2000 publizierte HOPE-Studie ist das Indikationsspektrum noch mehr erweitert worden. Zielpopulation dieser Studie waren Hochrisikopatienten mit manifester Gefäßerkrankung oder Diabetes plus weiteren Risikofaktoren, aber ohne manifeste Herzinsuffizienz. Durch eine knapp fünfjährige Behandlung mit Ramipril wurde die Inzidenz kardiovaskulärer Ereignisse (Tod, Myokardinfarkt, Schlaganfall) signifikant um 22 Prozent im Vergleich zu Placebo gesenkt (von 17,8 auf 14,0 Prozent).

Offen blieb, ob auch ein breiteres Spektrum von KHK-Patienten mit nicht so hohem Risiko wie in HOPE von der ACE-Hemmung profitieren würde. Die Antwort gab die 2003 veröffentlichte EUROPA-Studie. Teilnehmer waren Patienten mit stabiler KHK ohne Herzinsuffizienz. In EUROPA war der Anteil der älteren Patienten, der Diabetiker, der Hypertoniker oder der Patienten mit Schlaganfall in der Vorgeschichte niedriger als in der HOPE-Studie. Entsprechend war auch das kardiovaskuläre Risiko niedriger.

Durch eine Behandlung mit Perindopril wurde die Rate kardiovaskulärer Ereignisse (Tod, Myokardinfarkt, Herzstillstand) im Vergleich zu Placebo signifikant um 20 Prozent gesenkt (Inzidenzrate: 8,0 versus 9,9 Prozent).

Die HOPE- und EUROPA-Ergebnisse sind rasch in Behandlungsempfehlungen umgemünzt worden. Im Oktober 2004 veröffentlichte das "American College of Physicians" aktualisierte Guidelines, nach denen ACE-Hemmer für die Prävention bei allen KHK-Patienten in Betracht kommen.

Daten stützten bisher Empfehlung von ACE-Hemmer bei KHK

Eine Expertengruppe der Europäischen Gesellschaft für Kardiologie (ESC) hat kürzlich in einem "Konsensus-Dokument" beide Studien explizit gewürdigt. Ihre Ergebnisse sprächen "in überzeugender Weise für einen generellen gefäßprotektiven Effekt von ACE-Hemmern bei Patienten mit koronarer oder anderen Formen einer atherosklerotischen arteriellen Erkrankung".

Vor diesem Hintergrund dürften die meisten Experten der Präsentation der PEACE-Studie wohl mit einer vorgeformten Erwartung entgegengesehen haben: Daß nämlich die Therapie mit ACE-Hemmern bei stabiler KHK durch weitere positive Daten wissenschaftlich auf ein noch solideres Fundament gestellt würde. Doch es kam anders.

In PEACE (Prevention of Events with Angiotensin Converting Enzyme Inhibition) sind 8290 Patienten mit stabiler KHK und weitgehend normaler linksventrikulärer Funktion (Auswurffraktion > 40 Prozent) zusätzlich zur optimierten konventionellen Therapie knapp fünf Jahre lang mit dem ACE-Hemmer Trandolapril (Zieldosis: 4 mg/Tag) oder Placebo behandelt worden. Die Studienmedikation ist auf Basis einer optimierten konventionellen Therapie verabreicht worden, die sich durch einen hohen Anteil von Lipidsenkern (70 Prozent) und Betablockern (60 Prozent) und eine hohe Rate an koronaren Revaskularisationen (72 Prozent) auszeichnete.

PEACE-Ergebnisse auf einen Blick

Weder beim primären kombinierten Endpunkt noch bei dessen Komponenten zeigten sich signifikante Wirkungen des ACE-Hemmers.

Gemessen an der Gesamtrate der primären Studienendpunkte (Tod, Myokardinfarkt, Revaskularisation) ist im Beobachtungszeitraum kein signifikanter Unterschied zwischen beiden Behandlungen nachgewiesen worden (21,9 Prozent mit Trandolapril, 22,5 Prozent mit Placebo). Auch bei separater Analyse aller drei Einzelkomponenten des primären kombinierten Endpunktes ergaben sich keine Anhaltspunkte für einen Nutzen des ACE-Hemmers.

Positiv ist nur zu vermerken, daß in der mit Trandolapril behandelten Gruppe die Zahl der durch Herzinsuffizienz bedingten Klinikeinweisungen und Todesfälle (2,8 versus 3,7 Prozent) und die Zahl der Erstdiagnosen einer Diabetes-Erkrankung (9,8 versus 11,5 Prozent) niedriger waren als in der Placebo-Gruppe.

Nach zwei Studien mit klarem Nachweis eines Nutzens der ACE-Hemmung nun also die Enttäuschung in PEACE. Gedanken darüber, wie die Abweichung von den beiden Vorgängerstudien zu erklären sein könnte, hat sich in New Orleans auch PEACE-Studienleiter Professor Marc Pfeffer gemacht.

Standardtherapie könnte Risiko bereits deutlich gesenkt haben

Er verwies darauf, daß von allen drei Studien PEACE diejenige mit der niedrigsten Rate kardiovaskulärer Ereignisse - anders ausgedrückt: mit dem niedrigsten Risiko für die Patienten - war. Dieses Low-risk-Profil ist nach Einschätzung Pfeffers wahrscheinlich darauf zurückzuführen, daß in PEACE die Möglichkeiten der konventionellen Therapie am konsequentesten ausgeschöpft worden sind.

So haben in PEACE beispielsweise 70 Prozent aller Studienteilnehmer eine lipidsenkende Behandlung vorwiegend mit Statinen erhalten (zum Vergleich: 29 Prozent in HOPE, 56 Prozent in EUROPA). Bei 72 Prozent war bereits vor Aufnahme in die Studie ein koronare Revaskularisation (Koronarangioplastie, koronarer Bypass) vorgenommen worden (40 Prozent in HOPE, 56 Prozent in EUROPA).

Fast jeder zweite Studienteilnehmer hatte einen Hypertonus. Dennoch waren die mittleren Ausgangs-Blutdruckwerte mit 133/78 mmHg vergleichsweise niedrig. Obwohl immerhin 55 Prozent aller Patienten in PEACE einen Myokardinfarkt in ihrer Vorgeschichte aufwiesen, war die jährliche Sterblichkeitsrate mit 1,6 nicht höher als im altersgleichen Segment der Allgemeinbevölkerung, berichtete Pfeffer.

Noch ein zweiter Unterschied fällt auf. Durch Messung der kardialen Pumpfunktion wurde in PEACE sichergestellt, daß nur Patienten mit weitgehend normaler linksventrikulärer Funktion in die Studie aufgenommen wurden. In HOPE und EUROPA war dagegen die klinische Herzinsuffizienz ein Ausschlußkriterium. Da eine asymptomatische linksventrikuläre Dysfunktion nicht dokumentiert wurde, sind möglicherweise KHK-Patienten mit bereits gestörter kardialer Pumpfunktion in beide Studien aufgenommen worden - was das höhere Risiko erklären könnte.



KOMMENTAR

Antworten sind nicht einfacher geworden

Die Antwort auf die Frage, bei welchen Patienten mit koronarer Herzkrankheit heute ACE-Hemmer indiziert sind, ist durch die neue PEACE-Studie nicht gerade einfacher geworden. Ihre für viele unerwarteten Ergebnisse werden von den Herz-Kreislauf-Spezialisten sicher noch eine Weile gedanklich verdaut werden müssen. Schien durch die EUROPA-Studie der Weg zu einer Anwendung auf breiterer Basis eröffnet worden zu sein, schränken die PEACE-Ergebnisse das Spektrum der für die ACE-Hemmer-Therapie geeigneten KHK-Patienten nun eher wieder ein.

Außer Frage steht, daß KHK-Patienten mit Herzinsuffizienz oder linksventrikulärer Dysfunktion von ACE-Hemmern profitieren. Auch bei bestehender Hypertonie sind sie eine erwägenswerte Therapieoption. Was aber, wenn es bei einem Patienten mit stabiler KHK um diese beiden Indikationen nicht geht? Die PEACE-Ergebnisse liefern in dieser Frage eher Kriterien dafür, welche KHK-Patienten dann nicht unbedingt mit ACE-Hemmern behandelt werden müssen. Wenn es stimmt, daß sich die niedrige Rate der Todesfälle und Herzinfarkte in dieser Studie vor allem einer besonders guten Standardtherapie verdankt, dann sind ihre Ergebnisse zunächst einmal als Appell zu verstehen, die vorhandenen Möglichkeiten der KHK-Therapie wie Betablocker und Lipidsenker konsequent zu nutzen.

Werden diese Möglichkeiten voll ausgeschöpft, dann ist - so lassen sich die PEACE-Daten deuten - von einer zusätzlichen ACE-Hemmer-Therapie wohl kein Extranutzen mehr zu erwarten. Dabei wird allerdings implizit von einem Klasseneffekt der ACE-Hemmer ausgegangen. Mit Sicherheit wird aber auch wieder die Frage nach substanzspezifischen Unterschieden zwischen ACE-Hemmern auftauchen. Tatsächlich sind die Unterschiede im Risikoprofil der Patienten zwischen EUROPA- und PEACE-Studie nicht allzu groß.

Im einen Fall zeigt Perindopril signifikante Wirkung, im anderen Fall blieb Trandolapril ohne Effekt. Hat womöglich doch die Wahl des richtigen ACE-Hemmers in richtiger Dosierung den Unterschied ausgemacht? Wie gesagt, nach PEACE sind die Antworten nicht einfacher geworden. (ob)

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