Versorgung

Appell gegen das Zuviel in der Medizin

Ein US-Kardiologe verdeutlichte am Beispiel der Implantation von ICDs eine mögliche Folge von Übertherapie.

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WIESBADEN. So manche medizinische Innovation entwickelt eine Eigendynamik, die in Überdiagnostik und Übertherapie mündet. Implantierbare Kardioverter-Defibrillatoren können das Risiko für einen plötzlichen Herztod in bestimmten Patientengruppen senken, gehen aber auch mit Risiken einher. Die erklären sich aus der invasiven Prozedur, dem dauerhaften Implantat, Infektionen oder der inadäquaten Schockauslösung.

US-amerikanische und europäische Leitlinien geben detaillierte Empfehlungen, wer von dem Gerät profitiert. Doch die Realität ist eine andere – zumindest in den USA: Dort wurden ICDs bei fast jedem Vierten (25.145 von 111.707) außerhalb der evidenzbasierten Indikationen implantiert. Das führte bei diesen Patienten zu einem dreifach erhöhten Risiko, im Krankenhaus zu sterben. Nach Einschalten der Justiz müssten jetzt über 500 Krankenhäuser Strafen von zusammen etwa 235 Millionen Euro bezahlen, berichtete Professor Sanket Dhruva, Kardiologe aus San Francisco, beim Europäischen Kongress für Innere Medizin in Wiesbaden.

„Es liegt auch in unserer Hand, Überdiagnostik und Übertherapie zu verringern“, betonte Dhruva. Der übermäßige Einsatz sei vor allem in drei Situationen zu finden:

- Bestimmte medizinische Maßnahmen haben vernachlässigbare Vorteile für den Patienten.

- Das mögliche Risiko für die Patienten ist größer als der potenzielle Nutzen.

- Ein Patient will eine Maßnahme.

Effektive Gegenmaßnahmen seitens der Ärzte sind für Dhruva unter anderem:

- Finanzielle Honorare von der Industrie sollten möglichst gering gehalten werden und jegliche Honorare der Industrie müssen öffentlich gemacht werden.

- Die Indikation für eine diagnostische Maßnahme sollte die Vortestwahrscheinlichkeit berücksichtigen. Bei sehr seltenen Erkrankungen wird auch ein sehr spezifischer Test mehr falsch-positive als wirklich positive Ergebnisse bringen.

- Die intellektuelle Begeisterung in der ärztlichen Tätigkeit ist stärker auf Maßnahmen zu richten, die für Patienten einen hohen Wert haben und angemessen sind.

- Pathophysiologisch plausible Therapieansätze sind wichtig. Aber es ist immer eine harte Evidenz zu fordern.

Wichtig ist für Dhruva auch, noch viel mehr als bisher die Patienten in die gemeinsame Entscheidungsfindung einzubeziehen. (fk)

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