Pharmakologen nehmen Korezeptoren für HIV-1 ins Visier

LONDON (awa). Ohne die beiden Chemokin-Rezeptoren CCR5 und CXCR4 als Korezeptoren auf CD4-Zellen von Menschen kann HIV-1 nicht in die Zellen eindringen und sich dort vermehren. Die Viren bevorzugen jeweils den einen oder den anderen Rezeptor. Es herrscht jene HIV-1-Variante vor, die CCR5 benutzt. Der neue Hemmstoff GW873140, ein oral verabreichter CCR5-Antagonist, verändert die Konformation des Chemokin-Rezeptors. Dadurch verhindert er, daß HIV-1 daran bindet und in die Wirtszelle gelangt.

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HI-Viren unterscheiden sich unter anderem dadurch, welchen Rezeptor sie bevorzugen: Die R5-Viren benutzen als Korezeptor den CCR5-Rezeptor und die X4-Viren den CXCR4-Rezeptor. "Je höher die CD4-Zellzahl und je niedriger die Virusmenge im Blut ist, um so häufiger liegen nur R5-Viren vor", beschrieb Dr. Graeme Moyle vom Westminster Hospital in London die Korrelation zwischen Infektionsstadium und Verteilung der beiden HIV-1-Varianten im Blut.

Übertragen werden vor allem R5-Viren. Während der primären HIV-Infektion können meist keine X4-Viren im Blut nachgewiesen werden. Schreitet die Erkrankung fort, treten - ohne Behandlung - immer mehr X4-Viren auf: Mehr als 90 Prozent der HIV-Patienten mit einer CD4-Zahl über 300 Zellen pro Mikroliter Blut - also mit einem noch ausreichend guten Immunstatus - haben nur R5-Viren. Sinkt die Zahl unter 25 Zellen pro Mikroliter Blut, nimmt der Anteil der X4-Viren auf 50 Prozent zu.

Dabei ändert sich der Tropismus der R5-Viren nicht - sie bleiben gewissermaßen ihrem Rezeptor treu. Die X4-Viren stammen bei nachlassender Immunfunktion wahrscheinlich aus Reservoiren wie den Lymphknoten, wie Moyle auf einer Veranstaltung des Unternehmens GlaxoSmithKline erläuterte. Die X4-Viren scheinen zum rascheren Voranschreiten der Erkrankung maßgeblich beizutragen. Aber sie sind auch empfindlicher gegen antiretrovirale Medikamenten.

Daß die CCR5-Rezeptoren auf CD4-Zellen von Menschen ein vielversprechender therapeutischer Angriffspunkt für Medikamente sein könnten, belege der genetische Defekt am CCR5-Rezeptor bei Menschen, die gegen eine HIV-Infektion weitgehend resistent sind, hob Moyle hervor. Homozygote Merkmalsträger haben - ohne daß sie krank sind - keine CCR5-Rezeptoren und können - wenn überhaupt - nur durch X4-Viren infiziert werden. Andere Chemokin-Rezeptoren scheinen die Funktion von CCR5 zu übernehmen.

Heterozygote Merkmalsträger haben weniger CCR5-Rezeptoren und gehören häufig zu den Langzeitüberlebenden. In Tiermodellen mit Knock-Out-Mäusen - ihnen fehlt das entsprechende Gen - zeigte sich, daß sich Mäuse ohne CCR5-Rezeptoren normal entwickelten, Mäuse ohne CXCR4-Rezeptoren starben jedoch.

Mit dem CCR5-Antagonismus wird das erste Mal ein menschliches Protein zum Angriffspunkt für ein HIV-Medikament. Erste Ergebnisse mit dem oralen CCR5-Antagonisten GW873140 sind Moyle zufolge vielversprechend. Eine Monotherapie über zehn Tage konnte die Virusmenge bei zuvor nicht behandelten und zuvor behandelten HIV-Patienten - wie berichtet - um bis zu 95 Prozent senken. Zudem traten nur vorübergehende gastrointestinale unerwünschte Wirkungen auf.

Wie Dr. Garrett Nichols vom Unternehmen mitteilte, werden derzeit weitere Studien in Kombination mit antiretroviralen Medikamenten gemacht, etwa zwei Phase-II-Studien, in denen die Wirksamkeit und Sicherheit des CCR5-Antagonisten in Kombination mit einem Protease-Hemmer oder mit zwei Nukleosid-Analoga bei 300 zuvor nicht behandelten Patienten untersucht wird. Im Sommer soll bereits die erste Phase-3-Studie mit intensiv zuvor behandelten Patienten starten.



Entry-Hemmstoffe aus drei Klassen

Nachdem das HI-Virus mit seinem Hüllprotein gp120 am CD4-Rezeptor der Immunzelle gebunden hat, ändert sich die Gestalt des Proteins, und es kann mit dem Chemokin-Rezeptor eine Bindung eingehen. Erst durch die darauf folgende Konformationsänderung des viralen Proteins gp41 können Virushülle und Zellmembran miteinander verschmelzen. Jetzt können auch virale RNA und virale Enzyme in die befallene Wirtszelle gelangen.

Drei verschiedene Wirkstoffklassen - sie werden zusammengefaßt als Entry-Hemmstoffe bezeichnet - verhindern an drei verschiedenen Stellen, daß HI-Viren in die CD4-Zellen eindringen und sich dort vermehren können:

  • Attachment-Hemmer blockieren die Bindung des viralen Hüllproteins gp120 mit dem CD4-Rezeptor.
  • Korezeptor-Antagonisten verhindern, daß sich das Virus mit dem Hüllprotein gp120 an den CCR5- oder CXCR4-Rezeptor binden kann.
  • Fusions-Hemmer verhindern die Konformationsänderung des viralen Proteins gp41 und damit die Fusion des HI-Virus mit der Wirtszelle.

Aus den drei Wirkstoffklassen sind jeweils mehrere Substanzen in der klinischen Entwicklung. Ein Fusions-Hemmstoff befindet sich bereits auf dem Markt. (awa)

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