Infektionen

Reserve-Antibiotika vermehrt in Deutschland verordnet

Antibiotika-Resistenzen nehmen weltweit zu. Welche Konsequenzen hat das für die tägliche Praxis? Wie lässt sich eine rationale Antibiotikatherapie in der ambulanten Versorgung gestalten?

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Von den 2014 eingesetzten Antibiotika in Deutschland entfielen 800 Tonnen auf die Humanmedizin, von denen wiederum ungefähr drei Viertel im ambulanten Bereich verordnet wurden

Von den 2014 eingesetzten Antibiotika in Deutschland entfielen 800 Tonnen auf die Humanmedizin, von denen wiederum ungefähr drei Viertel im ambulanten Bereich verordnet wurden

© greenapple78 /stock.adobe.com

Gastbeitrag von Florian Salm, Tobias Kramer und Petra Gastmeier

Im Jahr 2014 wurden in Deutschland etwa 2250 Tonnen Antibiotika eingesetzt. Davon entfielen 800 Tonnen auf die Humanmedizin, von denen wiederum ungefähr drei Viertel im ambulanten Bereich verordnet wurden (GERMAP 2015, Antibiotika-Resistenz und -Verbrauch). Eine Erfolgsgeschichte ist der Veterinärbereich, hier konnte der Antibiotikaeinsatz deutlich reduziert werden, von 1706 Tonnen im Jahr 2011 auf nur noch 805 Tonnen im Jahr 2015.

Betrachtet man den Antibiotikaverbrauch im ambulanten Bereich, so werden in Europa große regionale Unterschiede deutlich. Die meisten Antibiotika werden in Griechenland, die wenigsten in den Niederlanden verordnet. Deutschland gehört mit Platz 25 von 30 Staaten zu den Ländern mit einem eher niedrigen ambulanten Antibiotikaverbrauch (ESAC-Net Online, Stand April 2017).

Auch hinsichtlich der regionalen Verschreibungszahlen in Deutschland fallen Unterschiede auf. In den westlichen Bundesländern werden mehr Antibiotika verschrieben als in den östlichen. Im Saarland ist die Antibiotikaverordung pro GKV-Versichertem fast doppelt so hoch wie in Brandenburg (Versorgungsatlas.de, Newsletter 2/2016). Dies ist verwunderlich, da es keinen Hinweis darauf gibt, dass Saarländer häufiger an akuten Infektionserkrankungen leiden würden, die eine Antibiotikatherapie rechtfertigen.

Deutschland steht ganz gut da

Obwohl Deutschland im europäischen Vergleich gut dasteht, verzeichnet sich hierzulande ein besorgniserregender Trend ab hin zur Verschreibung von mehr Reserveantibiotika. Lag der Anteil der Reserveantibiotika im Jahre 1991 noch bei knapp 10 Prozent, so handelte es sich im Jahre 2010 schon bei fast jedem zweiten Antibiotikum um ein Reservepräparat.

Bei den meisten Atemwegsinfekten in der ambulanten Versorgung spielen antibiotikaresistente Bakterien nur eine untergeordnete Rolle. Die Initialtherapie erfolgt – bei strenger Indikationsstellung – zumeist mit einem Basispenicillin. Die Annahme vieler Patienten, dass Antibiotika mit einem breiten Spektrum auch eine bessere Wirksamkeit besäßen, ist nicht richtig. Des Weiteren üben Breitspektrum-Antibiotika einen stärkeren Selektionsdruck auf die Entwicklung von Antibiotika-Resistenzen aus. Für die Substanzwahl gilt als Grundregel: so schmal wie möglich!

Ausreichend hoch dosieren

Wie in anderen Bereichen der Medizin gibt es auch bei diesen Krankheitsbildern keine Einheitsdosierungen. Die Dosierung muss nach patientenindividuellen Faktoren angepasst werden, die Angaben in den Leitlinien können hierbei nur als eine Richtschnur dienen. Als Grundregel bei der Dosierung gilt: Antibiotika ausreichend hoch dosieren! Es muss eine ausreichende Wirkkonzentration im Zielkompartiment erreicht werden. Bei akuten Atemwegsinfektionen können einige verfügbare orale Cephalosporine, wie zum Beispiel Cefuroxim diesen Anforderungen nicht genügen und werden daher prinzipiell nicht empfohlen.

Dauer so kurz wie möglich

Betrachtet man die Dauer der antibiotischen Therapie, so gab es in den vergangenen Jahren einen Paradigmenwechsel. Bei vielen Krankheitsbildern wurde die empfohlene Therapiedauer deutlich reduziert. Bei der Entscheidung über die Behandlungsdauer sollte der Krankheitsverlauf mit einbezogen werden und es ist zu beachten, dass jeder zusätzliche Tag mit einer Antibiotikagabe den Selektionsdruck aufrechterhält und die Wahrscheinlichkeit für eine Resistenzentwicklung erhöht. Als Grundregel für die Dauer gilt: so kurz wie möglich!

Noch besser als eine rationale antibiotische Therapie mit den oben skizzierten Ansätzen ist es, wenn es gar nicht erst zu einer infektiologischen Erkrankung kommt. Der Prävention von Infektionen kommt daher eine herausragende Rolle zu. Hier sei die Influenza- sowie die Pneumokokken-Impfung erwähnt, aber auch die Beachtung grundlegender hygienischer Verhaltensmaßnahmen durch die erkrankte Person.

Dr. Florian Salm, Dr. Tobias Kramer und Prof. Petra Gastmeier arbeiten am Institut für Hygiene und Umweltmedizin der Charité – Universitätsmedizin Berlin.

Fortbildung

» Die Charité startet im November eine vertiefende Online-Fortbildung zum Thema "Rationale Antibiotikatherapie in der hausärztlichen Versorgung": https://mooc.house/courses/rai

» Mit 16 CME-Punkten ist der kostenfreie Kurs von der Ärztekammer Berlin zertifiziert.

» Der Kurs wurde im Rahmen des Forschungsprojektes "Rationaler Antibiotikaeinsatz durch Information und Kommunikation" (kurz RAI) erstellt.

» RAI ist ein Projekt des Konsortiums InfectControl 2020 und wird finanziell gefördert vom Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF).

» Zahlreiche Materialien sind online abrufbar, unter anderen Infozepte (Informationen auf Rezept) zu mehreren Themen: www.infozeptgenerator.de

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