Tumoren des Mundrachens

Auf Zungenküsse besser verzichten?

Zungenküsse erhöhen offenbar das Risiko für HPV-Infekte und damit auch für Oropharyngealtumoren. US-Experten haben sich das Tumorrisiko jetzt einmal genauer angesehen.

Von Thomas Müller Veröffentlicht:
Küssen verboten? Zumindest, was das HPV-Risiko angeht, ist auch bei einem intensiven Kusswechsel offenbar von keiner großen Gefahr auszugehen.

Küssen verboten? Zumindest, was das HPV-Risiko angeht, ist auch bei einem intensiven Kusswechsel offenbar von keiner großen Gefahr auszugehen.

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Das Wichtigste der Studie in Kürze

  • Frage: Sind Zungenküsse mit Blick auf HPV-Infekte und Mund-Rachen-Tumoren riskant?
  • Antwort: Das HPV-Infektionsrisiko ist bei Zungenküssen offenbar erhöht, aufgrund der geringen HPV-Prävalenz ist eine Infektion durch Küssen aber sehr unwahrscheinlich.
  • Bedeutung: Zungenküsse dürften das Risiko für Oropharyngealtumoren nicht nennenswert erhöhen.
  • Einschränkung: wenige Studien basierend auf subjektiven Angaben

BALTIMORE. Kanzerogene humane Papillomaviren (HPV) scheinen sich in den USA immer stärker auszubreiten und werden als Grund für eine zunehmende Inzidenz von bösartigen Tumoren des Mundraumes betrachtet. Zumeist gelangen die Viren per Oralsex in Mund und Rachen, aber auch Zungenküsse könnten an der Verbreitung beteiligt sein, berichten Wissenschaftler um Dr. Eleni Rettig von der Johns Hopkins University in Baltimore (https://doi.org/10.1002/lary.27277).

HPV nur bei Zungenküssern

Naturgemäß ist es sehr schwierig, das HPV-Infektionsrisiko zu bestimmen, denn letztlich sind Forscher auf subjektive Angaben zum Kuss- und Sexualverhalten angewiesen. Auch sei davon auszugehen, dass Zungenkuss-Liebhaber mit häufigem Partnerwechsel insgesamt ein riskanteres Sexualverhalten zeigen und daher zu einem erhöhten HPV-Infektionsrisiko neigen, geben die HNO-Ärzte zu bedenken. Sie fanden gerade einmal zwei Studien, in denen versucht wurde, solche Effekte zu trennen.

In einer 2009 veröffentlichten Studie mit 210 Männern im Alter von 18 bis 23 Jahren entdeckten Forscher bei knapp drei Prozent HPV-DNA in Mund- und Rachenproben. 59 der Männer hatten angegeben, schon einmal mit der Zunge geküsst, aber bislang keinen Oralsex praktiziert zu haben.

Von den Männern mit mehr als zehn Zungenkusspartnern im Laufe ihres Lebens waren immerhin 25 % HPV-positiv, von denen mit über fünf Kontakten 17 %. Männer ohne Zungenküsse hatten hingegen keine HPV-DNA in den Proben.

Eine weitere US-Studie aus dem Jahr 2012 deutet ebenfalls auf ein erhöhtes HPV-Risiko durch Zungenküsse: Forscher hatten rund 1000 Frauen und Männer im Alter von 18 bis 30 Jahren nach ihren Kuss- und Sexualpraktiken befragt. Auch hier wurden Mund- und Rachenproben genommen.

Wie hoch ist das absolute Krebsrisiko?

2,4 % der Teilnehmer waren HPV-positiv, und das waren vor allem solche mit einer hohen Zahl von Zungenkusspartnern. Im Laufe von drei Monate infizierten sich 19 Personen neu mit HPV. Die Infektionsrate unter Personen mit einem neuen Zungenkusspartner war dabei rund dreifach erhöht.

In absoluten Zahlen betrachtet erscheint das Infektionsrisiko jedoch eher gering zu sein. Der häufigste mit Oropharyngealtumoren assoziierte HPV-Typ 16 erreicht in den USA nur eine oropharyngeale Prävalenz von einem Prozent, dagegen sind die Genitalien der US-Amerikaner zu etwa einem Viertel mit Hochrisiko-HPV-Stämmen befallen.

Davon ausgehend, dass die meisten oropharyngealen HPV-Infekte ohne Komplikationen wieder verschwinden, ergebe sich ein sehr geringeres Risiko, sich durch Zungenküsse einen Tumor zu holen, geben die Forscher um Rettig zu bedenken. Oralsex sei da schon wesentlich riskanter.

Was ist mit den Partnern von Tumorkranken?

Was aber, wenn der Partner bereits einen Tumor im Mund- oder Rachenraum hat? Hier kamen zwei Studien zu unterschiedlichen Ergebnissen. In einer DNA-Analyse aus dem Jahr 2014 fanden Forscher keine erhöhte HPV-Prävalenz bei 93 untersuchten Lebensgefährten von Patienten mit Oropharyngealtumoren.

HPV 16 wurde gar nicht nachgewiesen, andere Hochrisikostämme entdeckten die Ärzte nur bei einem Patienten (1,1 %).

In einer Untersuchung aus dem Jahr 2016 mit 128 Partnern von Tumorpatienten wiesen die Forscher hingegen bei rund 13 % einen Hochrisikostamm und bei 4 % HPV 16 nach. Die Teilnehmer waren allerdings nicht nach dem Kuss- oder Sexualverhalten befragt worden; es ist also unklar, ob Küssen hier für die Übertragung relevant war.

Aufgrund solcher Studien kommen die HNO-Ärzte um Rettig zu dem Schluss, dass Ärzte ihren Patienten jenseits der üblichen Empfehlungen für sicheren Sex nicht noch einen Verzicht auf Zungenküsse nahelegen sollten. Durch die geringe Prävalenz von Hochrisiko-HPV-Stämmen sei eine Infektion per Zungenkuss sehr unwahrscheinlich. Und noch unwahrscheinlicher sei es, dass ein dabei übertragenes HP-Virus einen Tumor auslöse.

Lesen Sie dazu auch: GBA-Beschluss: HPV-Impfung für Jungen wird Kassenleistung

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