Experteninterview

Bei Tumorschmerzen auch Opioid-Erfahrung abfragen!

Um Patienten mit Tumorschmerzen rasch Linderung zu verschaffen, ist es wichtig, die Grunderkrankung sowie die Leber- und Nierenfunktion zu beachten – und die Frage, ob der Patient bereits Erfahrungen mit Opioiden hat.

Dr. Thomas MeißnerVon Dr. Thomas Meißner Veröffentlicht:
Welches Medikament ist geeignet? Um Schmerzen zu lindern, gilt es, Einiges zu beachten.

Welches Medikament ist geeignet? Um Schmerzen zu lindern, gilt es, Einiges zu beachten.

© Hailshadow / Getty Images / iStock

Ärzte Zeitung: Herr Schürmann, wie würde man bei Opioid-naiven Krebspatienten und mäßig ausgeprägten Tumorschmerzen an die Schmerztherapie herangehen?

Norbert Schürmann: Nehmen wir einen Patienten mit Prostatakarzinom, der wegen Knochenmetastasen an Knochenschmerzen leidet, bei ansonsten noch normalen organischen Funktionen: Ich würde niedrig dosiert mit Tilidin einsteigen, begleitet von einem Schutz gegen Übelkeit für die ersten 14 Tage. Nach ein paar Tagen bestelle ich den Patienten wieder ein, um die Dosis weiter zu titrieren und die Verträglichkeit zu prüfen.

Habe ich dagegen einen Patienten mit Lebermetastasen vor mir, dessen Transaminasen und Kreatininwerte erhöht sind, wäre ich vorsichtig, zum Beispiel mit Morphin zu arbeiten. Tilidin könnte bereits zu schwach sein. Daher würde ich gleich mit einem Stufe-III-Opioid beginnen, idealerweise mit Hydromorphon, das unabhängig von Leber und Nieren verstoffwechselt wird. Zum Beispiel morgens und abends 2 mg – das entspricht etwa 24 mg Morphin pro Tag.

Gut geeignet für Opioid-naive Patienten ist auch der Einstieg mit zwei Mal 5 mg Oxycodon pro Tag, was etwa einer Tagesdosis von 15 bis 20 mg Morphin entspricht. Kann der Patient nicht schlucken, eignen sich transdermale Systeme.

Sie würden bei Opioid-naiven Patienten mit einem transdermalen System beginnen?

Schürmann: Buprenorphin als transdermales Pflaster gibt es bereits ab 5 µg / h. Das entspricht 7,5 mg Morphin pro Tag, einer sehr geringen Dosis. Vorteil ist die kontinuierliche Wirkung. Bei älteren Patienten nehme ich sogar manchmal nur ein halbes 5 µg / h-Buprenorphin-Pflaster, auch wenn das laut Zulassung nicht durchgeschnitten werden soll. Fentanyl-Pflaster gibt es ab 12 µg / h. Das entspricht 30 mg Morphin pro Tag und ist für einen Opioid-naiven Patienten schon recht viel.

Sollte man schwach wirksame Opioide stets ausdosieren?

Schürmann: Wird Tilidin gut vertragen, steigere ich die Dosis durchaus von zwei- oder dreimal 50 mg / d bis auf zweimal 200 mg / d. Die maximale Tagesdosis liegt zwischen 400 und 600 mg. Weitere Erhöhungen bringen nichts.

Wie sinnvoll ist es, stattdessen früh auf eine Kombinationstherapie oder auf starke Opioide zu setzen?

Bei Tumorschmerzen auch Opioid-Erfahrung abfragen!

© Privat

Norbert Schürmann

  • Aktuelle Position: Departmentleiter der Abteilung für Schmerz- und Palliativmedizin, St. Josef Krankenhaus GmbH Moers
  • Vizepräsident der Deutschen Gesellschaft für Schmerzmedizin e.V. (DGS)
  • Leiter des Schmerzzentrums DGS in Duisburg

Schürmann: Dafür würden wenig Benefit und schlechte Verträglichkeit sprechen. Dann würde ich tatsächlich schnell den Wechsel auf ein starkes Opioid vollziehen. Gibt es eine neuropathische Schmerzkomponente, gebe ich zusätzlich Gabapentin oder Pregabalin, und zwar aus Verträglichkeitsgründen zunächst in sehr niedriger Dosis, die dann allmählich gesteigert wird.

Manche Patienten tolerieren Nebenwirkungen wie Taubheitsgefühl in den Füßen oder Schwindel zugunsten der analgetischen Effekte, andere nicht, dann muss man das wieder absetzen.

Kortison wirkt abschwellend und ist als Koanalgetikum zum Beispiel gut geeignet bei Leberkapselschmerzen. Es wirkt außerdem leistungssteigernd und appetitanregend. Nicht zu vergessen Metamizol als gut geeignetes Koanalgetikum, das keine zentralnervösen Störungen verursacht. Bisphosphonate nutzen wir bei Knochenmetastasen.

Bei einer psychischen Komponente und Schlafstörungen arbeite ich mit Amitriptylin oder mit Doxepin: Die Patienten schlafen besser ein, sind tagsüber ausgeruht. Wichtig für den verordnenden Arzt ist, sich gut mit den einzelnen Medikamenten auszukennen – lieber eine eingeschränkte Palette von Wirkstoffen nutzen, mit der ich sicher umgehen kann.

Wie würden Sie bei Opioiderfahrenen Patienten vorgehen?

Schürmann: Das sind ja Patienten, die bereits länger an ihrer Krebserkrankung leiden und das Tumorwachstum oft bereits mehrere Organsysteme erfasst hat, die in Summe für vergleichsweise starke Schmerzen sorgen, je nach Komponente, die den Schmerz aktuell moduliert. Oft sind wir mit unterschiedlichen Schmerzqualitäten konfrontiert, die parallel auftreten.

Ich wähle ein starkes Opioid mit wenig Wechselwirkungspotenzial, das gut verträglich ist. Die Deutsche Gesellschaft für Schmerzmedizin hat sich in ihrer konsentierten Tumorschmerz-Leitlinie klar für Hydromorphin als Präferenzsubstanz ausgesprochen.

Der Artikel wird präsentiert von der "Arzte Zeitung" in Zusammenarbeit mit der Deutschen Gesellschaft für Schmerzmedizin e.V

Es ist fünf bis sieben Mal stärker als Morphin und damit das stärkste Opioid, das oral eingenommen werden kann. Long-Präparate gewährleisten einen konstanten Wirkspiegel und damit gleichbleibende Daueranalgesie bei täglicher Einmalgabe.

Wie lassen sich versehentliche Opioid-Überdosierungen durch die Patienten vermeiden?

Schürmann: Zunächst gilt es, das nach oben genannten Kriterien für den Patienten geeignete Präparat zu wählen. Bei der Basismedikation muss das Opioid stets eine Retard-Galenik haben. Zweitens ist es wichtig, diese Patienten regelmäßig zu sehen, auch wenn es ihnen relativ gut geht. Ich frage dann nach der Verträglichkeit, schaue ob eine Miosis vorliegt, ob eine unerwünschte Tagesmüdigkeit besteht.

In puncto Compliance ist es wichtig, dass die Patienten verstehen, dass unbedingt eine regelmäßige Einnahme des Opioids erforderlich ist, um einen gleichmäßigen Serumspiegel zu erreichen. Die Opioidrezeptoren des Körpers müssen sich darauf einstellen können.

Einfach Dosen wegzulassen oder hinzuzufügen, kann nicht funktionieren. Das muss ganz klar kommuniziert werden! Ich vergleiche das im Gespräch gern mit Bluthochdruck oder insulinabhängigem Diabetes mellitus – es leuchtet Patienten schnell ein, dass diese Krankheiten ebenfalls nur mit regelmäßiger Medikamenteneinnahme gut eingestellt werden können.

Lesen Sie dazu auch: Tumorschmerz: So behandeln Sie richtig „bei Bedarf“

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