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Sinkende Koloskopie-Zahlen: Liegt's an der Statistik?

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Die Teilnahmeraten bei der Koloskopie zur Darmkrebs-Früherkennung sinken. Doch Experten sind sich sicher: Das ist kein Indiz für mangelnden Erfolg. Denn die Statistik erfasst nicht alle Untersuchungen.

Von Ilse Schlingensiepen

Auch wenn die Teilnahmeraten bei der Früherkennungskoloskopie seit Jahren nicht mehr steigen - die Darmkrebsvorsorge ist eine Erfolgsgeschichte.

Davon ist Dr. Arno Theilmeier überzeugt, Sprecher der Fachgruppe Kolorektales Karzinom im Berufsverband der niedergelassenen Gastroenterologen Deutschlands. Das bedeute aber nicht, dass nicht noch mehr getan werden muss, betont er.

Nach den Daten des Zentralinstituts für die kassenärztliche Versorgung (ZI) gehen die Teilnahmeraten an der präventiven Koloskopie seit 2005 in den meisten Altersgruppen zurück.

Seit der Einführung der Früherkennungskoloskopie für gesetzlich Versicherte ab 55 Jahren im Oktober 2002 bis Ende 2010 hatten ungefähr 18 Prozent der Berechtigten die Untersuchung in Anspruch genommen.

Diese Zahl gibt aber nicht die ganze Realität wieder, sagt Theilmeier. "Die Statistik erfasst nicht die kurativen Koloskopien."

Erhebliche Überzeugungsarbeit

Patienten, die wegen einer familiären Vorgeschichte oder nach einem auffälligen Stuhltest in die Praxen kommen, bleiben außen vor. Außerdem fehlten die Angaben zu Koloskopien, die in Kliniken gemacht werden, und zu den Privatpatienten.

Die Zahl der kurativen Koloskopien ist mindestens zweieinhalbmal so hoch wie die der präventiven, sagt Dr. Lutz Altenhofen, Projektleiter beim ZI. "Wir haben einen großen Kreis von Patienten, die bereits kurativ untersucht wurden."

Für die Bewertung des Erfolgs des Koloskopie-Screenings sei ein weiterer Aspekt entscheidend, sagt Altenhofen. "Die Gruppe derjenigen, die prinzipiell zu der Untersuchung bereit sind, haben wir bereits zum goßen Teil erreicht."

Viele andere hätten Angst und stünden der Koloskopie skeptisch gegenüber. Um auch sie zu bewegen, sei erhebliche Überzeugungsarbeit nötig.

Altenhofen plädiert dafür, dabei sehr ausgewogen vorzugehen. Das Durchschnittsalter der Patienten, die zur Koloskopie kommen, liege bei 65 bis 67 Jahren, sagt er.

Diese Gruppe habe häufig bereits andere Erkrankungen, die Untersuchungsprozedur könne mit Risiken verbunden sein. "Wir müssen uns genau fragen, ob die Risiken und der Nutzen in einer angemessenen Balance stehen."

Grundsätzlich ist das Potenzial der Darmkrebsprävention noch nicht ausgeschöpft, sagt Theilmeier, der als Gastroenterologe in Mönchengladbach niedergelassen ist. Ein wirksames Mittel seien groß angelegte Kampagnen wie "1000 mutige Männer für Mönchengladbach".

Kein Zwang durch sozialen Druck

Mit der Aktion ist es gelungen, die Teilnahmeraten gegen den Trend deutlich zu erhöhen. Die Kampagne habe zu einem Paradigmenwechsel geführt, sagt er.

"Nicht mehr ich musste die Patienten auf die Koloskopie ansprechen, sondern die Patienten haben mich angesprochen." Ein Erfolgsfaktor sei gewesen, dass Darmkrebs quasi zum Stadtgespräch wurde, an dem kaum jemand vorbei kam.

Für Theilmeier gibt es aber ein effizienteres Mittel als große Aufklärungskampagnen: die gezielte Einladung. "Ein persönliches Schreiben kann oft der entscheidende Anstoß sein", sagt er.

Über die Kassen könnten die Versicherten gezielt angesprochen werden. Theilmeier weiß, wovon er spricht. Für ein Modellprojekt mit einem gezielten Einladungsverfahren hat er 2009 gemeinsam mit dem Vorstandsvorsitzenden der AOK Rheinland/Hamburg Wilfried Jacobs den Felix Burda Award erhalten.

Auch Altenhofen vom ZI sieht hier Potenzial. "Ich würde die Erprobung des Einladeverfahrens für die Darmkrebs-Früherkennung begrüßen", sagt er. Es sei vergleichsweise einfach und nicht sehr aufwendig, die Versicherten anzuschreiben.

Aber: "Wir brauchen keinen Zwang mit einem hohen sozialen Druck", sagt Altenhofen. "Die informierte Entscheidung muss im Vordergrund stehen."

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