Schwanger? Kippe aus, Alkohol ist tabu!

Ein bisschen schwanger gibt es nicht - ein bisschen Alkohol auch nicht: Das Saarland startet eine auf drei bis vier Jahre angelegte Präventionskampagne, die das Ziel hat, Schwangere zur Abstinenz anzuhalten.

Andreas KindelVon Andreas Kindel Veröffentlicht:
Ziel der Kampagne im Saarland ist, dass Schwangere komplett abstinent bei Alkohol und Zigaretten werden.

Ziel der Kampagne im Saarland ist, dass Schwangere komplett abstinent bei Alkohol und Zigaretten werden.

© Saarländisches Gesundheitsministerium

SAARBRÜCKEN. Das saarländische Gesundheitsministerium hat eine groß angelegte Präventions-Kampagne gestartet, um Frauen dazu zu bringen, während der Schwangerschaft und der Stillzeit auf Alkohol und Tabak zu verzichten.

Der Anlass ist besorgniserregend: Trotz drastischer Folgen für das Kind rauchen im Saarland mehr als zehn Prozent aller Schwangeren.

Der saarländische Gesundheitsminister Georg Weisweiler (FDP) kündigte auf einer Fachtagung in Saarbrücken an, dass die Präventionskampagne mindestens drei bis vier Jahre dauern soll.

"Wir halten im Saarland einen ganz, ganz traurigen Rekord", berichtete Weisweiler. Der Anteil der starken Raucherinnen unter den Schwangeren sei dort dreimal höher als im Bundesdurchschnitt.

Raucherland Saarland?

Der Chef der Kinderklinik am Homburger Uni-Klinikum, Professor Dr. Ludwig Gortner, erinnerte sich an seinen Dienstantritt im Saarland vor etlichen Jahren: "So viele rauchende Schwangere vor den Klinikeingängen wie hier hatte ich noch nie zuvor gesehen", berichtete er. "Das war für mich erschreckend".

Gortner wollte es genauer wissen und schaute sich danach die Perinatal-Erhebungen im Saarland an.

Die Auswertung von weit über 10.000 Datensätzen bestätigte seinen Eindruck: Im Saarland rauchen weit mehr Schwangere als im Bundesdurchschnitt.

Fünf bis sechs Prozent der Schwangeren rauchen hier sogar elf bis 20 Zigaretten am Tag - fast doppelt so viele wie im Bundesvergleich.

Der Anteil der starken Raucherinnen unter den Schwangeren mit täglich mehr als 20 Zigaretten ist mit 0,7 Prozent sogar dreimal höher als in den übrigen Bundesländern.

Folge: Frühgeburten

Georg Weisweiler, Landes-Gesundheitsminister

Die Folgen sind längst bekannt. Die Weltgesundheitsorganisation nennt unter anderem ein erhöhtes Risiko für Infektionen, den plötzlichen Kindstod und Frühgeburten.

Eine weitere Folge: Im Saarland kommen elf Prozent der Neugeborenen mit zu geringem Geburtsgewicht auf die Welt. "In einigen Krankenhäusern hier", berichtete der Chef der Kinderklinik am Klinikum Saarbrücken, Professor Dr. Jens Möller, "ist die Rate untergewichtiger Kinder durch Nikotin fast verdoppelt".

Ähnlich fatal sind die Folgen von Alkoholkonsum während der Schwangerschaft. Bundesweit kommen nach Angaben des Saar-Gesundheitsministeriums 10.000 Kinder mit dem Vollbild "Fetales Alkohol-Syndrom" zur Welt, mit Teilschädigungen würden zusätzlich 40.000 Kinder jährlich geboren.

Ärzte und Hebammen sind Multiplikatoren

Das Saarland will nun die Tabak- und Alkoholkonsum-Rate bei Schwangeren senken. "Unser Ziel ist es nicht, dass Schwangere ein bisschen weniger rauchen oder trinken", so die Organisatorin der Kampagne im Saar-Gesundheitsministerium, Dr. Renate Klein.

"Das Ziel heißt: Kein Alkohol, kein Tabak!" Das neue Präventionsprogramm an der Saar ist in drei Stufen aufgeteilt. Zunächst sollen Frauenärzte und Hebammen die Schwangeren auf die Risiken des Alkohol- und Tabakkonsums hinweisen.

Dazu hat das Gesundheitsministerium einen Gesprächsleitfaden entwickelt. Für die Schwangeren gibt es einen Warn-Flyer im Mutterpass.

Gruppenarbeit in sozialen Brennpunkten

In einer zweiten Stufe bieten die Gesundheitsämter im Saarland eine "motivierende Beratung" an, um den Schwangeren zu helfen, abstinent zu werden.

Dazu nutzen die Ämter das schon 2008 gestartete Landesprogramm "Frühe Hilfen", bei dem Mitarbeiterinnen die Schwangeren auch zuhause aufsuchen, um ihnen Unterstützung anzubieten.

Dritte Stufe ist eine neue Entwöhnungstherapie, die in offener Gruppenarbeit zunächst an vier Standorten in sozialen Brennpunkt-Gebieten in Saarbrücken, Völklingen, Dillingen und Neunkirchen geplant ist. Dabei sollen Schwangere in nur vier Doppelstunden dazu gebracht werden, auf Tabak und Alkohol zu verzichten.

Organisationen mit im Boot

Bei den Entwöhnungstherapien setzt das Gesundheitsministerium auf etablierte Partner - zum Beispiel in Neunkirchen auf die Caritas, die dort bereits ein vom Bundesgesundheitsministerium gefördertes Modellprojekt gestartet hat.

"Die Punkt-Abstinenz ist in nur vier Doppelstunden zu schaffen", versicherte der Leiter des Caritas-Projekts, Dr. Horst Arend. Bei der Therapie werden die Schwangeren zunächst über die Risiken des Alkohol- und Tabakkonsums informiert und dann zur Abstinenz motiviert.

Der dritte Schritt ist die eigentliche Verhaltensänderung. Und zum Schluss geht es darum, wie man es in künftigen "Risikosituationen" schafft, ohne Alkohol und Tabak auszukommen.

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