Opioid-Langzeittherapie - Tablette oder Pflaster?

Unter Schmerzexperten besteht Übereinstimmung darüber, daß Patienten, die wegen chronischer Schmerzen eine Therapie mit einem Opioidanalgetikum benötigen, von Anfang an ein Retardpräparat erhalten sollen. In Frage kommt entweder die orale Therapie mit Retardtabletten oder die Applikation von transdermalen Systemen in Form von Pflastern. Professor Stefan Grond von der Universitätsklinik für Anästhesiologie und Operative Intensivmedizin in Halle im Gespräch mit Ulrike Maronde: Man sollte die Therapie mit dem Präparat beginnen, mit dem die Therapie auch auf Dauer vorgenommen werden soll.

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Forschung und Praxis: Kollegen, die einen Patienten mit chronischen Schmerzen mit einem Retardopioid behandeln wollen, müssen sich entscheiden, ob sie eine orale oder eine transdermale Therapie beginnen wollen. Welche Vorteile hat eine orale Opioidtherapie?

Prof. Stefan Grond: Die Therapie mit oralen Retardpräparaten hat mehrere Vorteile. Bei Patienten mit phasenweise wechselnder oder stark schwankender Schmerzintensität läßt sich die Dosis besser anpassen. Die Dosistitration auf die individuell erforderliche Dosis kann schneller als mit der transdermalen Applikation erreicht werden - vor allem zu Therapiebeginn, aber auch bei später notwendig werdender Dosissteigerung.

Grundsätzlich hat es sich bewährt - und das gilt sowohl für die orale als auch die transdermale Anwendung -, die Therapie niedrigdosiert zu beginnen und die Dosis langsam zu steigern, um das Risiko für unerwünschte Wirkungen wie Übelkeit oder Erbrechen zu verringern.

Wichtig ist, die Patienten darauf hinzuweisen, daß sie die Retardtabletten zwei- oder dreimal täglich prinzipiell zu festen Uhrzeiten einnehmen, und nicht nach Bedarf. Die Patienten nehmen also die Tabletten zu einem Zeitpunkt ein, zu dem die Wirkung der vorherigen Dosis noch anhält.

FuP: Inwiefern sind unter oraler Therapie Schwankungen der Wirkstoffkonzentration im Plasma zu befürchten?

Grond: Durch die regelmäßige Einnahme eines Retardpräparates wird ein stabiler Plasmaspiegel und damit eine über 24 Stunden anhaltende Schmerzlinderung erreicht. Zu größeren Plasmaschwankungen bei oraler Gabe kommt es eigentlich nur, wenn die Patienten ihre Tabletten unregelmäßig einnehmen.

FuP: Die transdermale Therapie ist vor allem für Patienten mit Schluckstörungen oder gastrointestinalen Problemen, etwa Malabsorption, eine Option ...

Grond: Grundsätzlich ist bei allen Patienten mit chronischen Schmerzen, die mit Opioiden behandelt werden sollen, eine transdermale Therapie mit Pflastern möglich und sinnvoll. Ausnahmen sind Patienten mit bestimmten Hauterkrankungen oder bei Hautunverträglichkeit der Pflaster.

Ein Vorteil der transdermalen Therapie liegt darin, daß relativ stabile Plasmakonzentrationen über einen langen Zeitraum von drei bis vier Tagen induziert werden. Fentanyl-Matrixpflaster brauchen nur alle 72 Stunden gewechselt zu werden. Der Wechsel der Buprenorphin-Matrixpflaster erfolgt an zwei festen Tagen in der Woche.

Der Wechsel alle paar Tage ist für viele Patienten bequemer als die mehrmals tägliche Einnahme, daher haben die Pflaster bei ihnen eine hohe Akzeptanz.

Von Vorteil bei den Pflastern ist auch die etwas geringere Obstipationsrate, wie Studien ergeben haben.

FuP: Mittlerweile werden Fentanyl-Pflaster von verschiedenen Herstellern angeboten ...

Grond: Bei einem Wechsel des Herstellers halte ich es für sinnvoll, die Dosis neu zu titrieren. Es könnte sein, daß die Pflaster sich in den Klebeeigenschaften und auch in der Bioverfügbarkeit voneinander unterscheiden. Man sollte daher möglichst bei einem Präparat bleiben und nicht bei jeder Verordnung ein Pflaster eines anderen Anbieters wählen.

FuP: Nun gibt es Patienten, bei denen sich die Schmerzstärke im Laufe des Tages regelmäßig verändert. Nehmen wir als Beispiel einen Patienten, bei dem die Schmerzen abends stärker werden. Wie kann die Therapie hier angepaßt werden?

Grond: Dieser Patient, der ansonsten mit einem oralen Retardopioid oder einem Pflaster als Basistherapie gut eingestellt ist, braucht wegen der Schmerzzunahme am Abend eine zusätzliche Opioiddosis. In Abhängigkeit von der Dauer dieser Schmerzen kommt ein orales nicht-retardiertes oder ein Retardpräparat in Frage. Dauern die Schmerzen über Nacht an, wählt man natürlich zur Prophylaxe das Retardpräparat, da es über acht bis zwölf Stunden wirkt. Hat der Patient bereits Schmerzen, braucht er das schnellwirksame Präparat.

FuP: Was muß beachtet werden, wenn man einen Patienten von der oralen auf eine transdermale Therapie umstellt?

Grond: Die notwendige Dosierung des Pflasters muß in jedem Fall titriert werden. Anhaltspunkte für die Äquivalenzdosis geben Umrechnungstabellen. Allerdings beginnt man in der Regel mit einer Dosierung, die unter der liegt, die in diesen Tabellen angegeben ist. Denn man weiß nicht, wie wirksam der neue Wirkstoff bei diesem Patienten ist.

Berücksichtigt werden muß, daß sich unter dem transdermalen System erst ein Hautdepot aufbauen muß. Das bedeutet eine Latenz von bis zu 24 Stunden, bis die vollen Plasmakonzentrationen erreicht sind. Daher wird man das Pflaster zeitgleich mit der letzten Opioid-Einnahme aufkleben.

Für den Fall, daß der Patient während dieser Übergangszeit Schmerzen bekommt, sollte man ihm zusätzlich ein orales, schnellwirksames Präparat mitgeben, das er bei Bedarf einnehmen kann.

FuP: Und im umgekehrten Fall, also beim Wechsel vom Pflaster zur oralen Therapie mit einem Retardopioid?

Grond: Hier ist zu beachten, daß nach Entfernen des Pflasters aus dem Hautdepot noch etwa über zwölf Stunden das Opioid ins Blut abgegeben wird. Würde man sofort ein Retardopioid geben, bestünde die Gefahr der Überdosierung. Daher würde ich mit der oralen Therapie erst beginnen, wenn die Schmerzen wieder anfangen. Auch hier gilt, daß die Dosis unter der in der Umrechnungstabelle angegebenen Äquivalenzdosis liegen sollte. Diese niedrigere Dosis kann dann auf die erforderliche Dosis gesteigert werden.

FuP: Noch einmal zurück zur transdermalen Therapie. Wie sollte man reagieren, wenn sich ein Pflaster vorzeitig gelöst hat?

Grond: In diesem Fall kann sofort ein neues Pflaster in gleicher Dosierung an einer anderen Stelle aufgeklebt werden. Das ähnelt der Situation, wie man sie bei einem normalen Pflasterwechsel auch hat: Es besteht von dem abgegangenen Pflaster noch ein Hautdepot, was langsam resorbiert wird, und parallel dazu beginnt sich das Hautdepot unter dem neuen Pflaster zu bilden.

FuP: Wenn Patienten erstmals auf ein Retardopioid eingestellt werden - dann eher oral oder transdermal?

Grond: Man sollte mit dem Präparat beginnen, mit dem die Therapie auch auf Dauer vorgenommen werden soll. Egal ob oral oder transdermal - wichtig ist, daß man am Anfang der Therapie mit niedrigen Dosierungen beginnt und die Dosis in Abhängigkeit von der Schmerzstärke langsam steigert. Mittlerweile gibt es bei den Pflastern sehr niedrige Dosierungen, die für den Therapiebeginn geeignet sind.

Prof. Dr. Stefan Grond, Klinik für Anästhesiologie und Operative Intensivmedizin der Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg, Ernst-Grube-Str. 40, 06120 Halle, Tel.: 0345 / 557-2833, Fax: 557-2880, E-Mail: Stefan.Grond@medizin.uni-halle.de

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