Pathophysiologen eröffnen neue Therapieansätze bei Rückenschmerz

FRANKFURT AM MAIN (hae). An der Entstehung chronischer Muskelschmerzen ist eine zunehmende Erregung homonymer a-Motoneurone durch positive Rückkopplung offenbar deutlich weniger beteiligt als bisher angenommen. Neue Konzepte der Pathophysiologie führen nun zu neuen Therapieansätzen.

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Nach der Schmerz-Spasmus-Schmerz-Hypothese führen akute Schmerzreize über die Erregung der Nozizeptoren zu einer tonischen, selbstverstärkenden Erregung der a-Motoneurone des betroffenen Muskels. Dies bewirke - so die Vorstellung - eine chronische schmerzhafte Kontraktion, so Professor Siegfried Mense aus Heidelberg. Aktuelle Studien belegten indes das Gegenteil, so der Anatom und Zellbiologe beim Schmerztag in Frankfurt am Main. Bei der Antwort auf einen Schmerzreiz werden a-Motoneurone in der Regel durch vorgeschaltete zentralnervöse Neuronenpopulationen gehemmt, was den Schmerz dämpft.

Die wahre Ursache chronischer Schmerzen und Verspannungen liege meist außerhalb dieser Muskulatur, etwa in pathologischen Veränderungen der Facettengelenke der Wirbelsäule oder der Bandscheiben, so Mense bei einem von AWD Pharma unterstützten Symposium. Die von dort induzierten Schmerzreize in der Rückenmuskulatur hemmen dann ihrerseits die dämpfenden Interneurone und kurbeln letztlich die Aktivität der a-Motoneurone an. Es kommt zu Öffnung und Neusynthese von NMDA- und AMPA-Ionenkanälen und zu einem ständigen Einstrom von Natriumionen, was eine Dauerdepolarisation zentraler nozizeptiver Synapsen zur Folge hat.

Therapeutisch beeinflussen lassen sich solche dauerdepolarisierten Neurone durch Förderung des Ausstroms von Anionen. Wenn etwa postsynaptische Kaliumkanäle geöffnet werden, sinkt das Membranpotenzial, das Neuron wird weniger leicht erregbar, Hyperalgesie und Allodynie werden letztlich beseitigt.

Dass das Konzept funktioniert, belegt eine Pilotstudie mit Patienten, die wegen chronischem Rückenschmerz mit dem Kaliumkanalöffner Flupirtin behandelt werden. Bereits nach einer Woche ging unter retardiertem Flupirtin (Katadolon® S long, 1 x 400 mg pro Tag) "die Schmerzintensität deutlich zurück", wie Dr. Gerhard Müller-Schwefe aus Göppingen berichtete. Nach zwei Wochen war die Besserung noch stärker ausgeprägt und hochsignifikant. Parallel dazu verbesserten sich die Werte für die Druckbelastbarkeit und für die Schmerztoleranz der Muskulatur. Das Gewebe wurde deutlich weicher, was für Müller-Schwefe belegt, dass der klinische Befund und das Empfinden der Patienten mit den objektivierbaren Veränderungen der Muskulatur korrelieren.

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