Leitartikel

Nur noch mit Helm auf die Piste?

Der Unfall von Michael Schumacher hat die Diskussion über die Helmpflicht für Skifahrer neu angeheizt. Die Ärzte betonen: Nur weil der Formel-1-Rekordchampion einen Helm trug, ist er noch am Leben.

Von Dr. Christine Starostzik Veröffentlicht:
Unfallmediziner plädieren seit Jahren für die Helmpflicht am Hang.

Unfallmediziner plädieren seit Jahren für die Helmpflicht am Hang.

© dell / fotolia.com

Das Tragen eines Helms reduziert das Kopfverletzungsrisiko für Skifahrer und Snowboarder um bis zu 60 Prozent. Deshalb plädieren Unfallmediziner seit Jahren für die Helmpflicht am Hang.

In einer Pressemeldung vom 27. Dezember 2013 - zwei Tage vor dem tragischen Skiunfall von Formel-1-Pilot Michael Schumacher - fordert der Berufsverband der Deutschen Chirurgen eine entsprechende gesetzliche Regelung, und zwar für alle Altersgruppen.

Grundlage der Argumentation sind über 3000 deutsche Skifahrer, die jährlich mit schweren Kopfverletzungen in Kliniken im In- und Ausland eingeliefert werden. Doch es sind längst nicht nur Wintersportler, die auf Brettern bergab sausen, gefährdet.

Kopftrauma bei zehn Prozent der verletzten Rodler

Eine Statistik der Salzburger Landeskliniken ergab, dass auch zehn Prozent der verunfallten Rodler Kopfverletzungen erleiden. Bei den verletzten Skifahrern liegt verschiedenen Studien zufolge der Anteil derer, die sich Blessuren am Kopf zuziehen, zwischen neun und 19 Prozent.

Mindestens jeder zweite Patient trägt schwere Verletzungen davon. Obwohl mittlerweile immer mehr Skifahrer und Snowboarder Helme tragen - in Österreich sind es zwei Drittel der Pistensportler - steigt die Zahl der Kopfverletzungen dennoch immer weiter an (CMAJ 2010; 182(4):133-140).

Als Ursache sehen die Experten ein immer höheres Tempo auf immer besser präparierten Pisten, den enorm gewachsenen Ansturm auf die Wintersportgebiete sowie die zum Teil geringe Fahrpraxis und die mangelnde Kenntnis der Skifahrer und Snowboarder über die Regeln am Berg.

Möglicherweise wächst bei manchen mit Protektoren ausgestatteten Freizeitsportlern aber auch die Risikobereitschaft für das eine oder andere Manöver, das sie sich ohne diese Aufrüstung nicht zutrauen würden.

Der Helm schützt - keine Frage

Wann leisten Versicherer?

Musterbedingungen geben Aufschluss: Die deutschen Versicherer leisten bei Skiunfällen auch dann, wenn der Fahrer keinen Helm getragen hat. Nach Angaben des Gesamtverbands der Deutschen Versicherungswirtschaft sehen die allgemeinen Musterbedingungen keine Helmpflicht vor. Das ändert nichts daran, dass die Versicherer das Tragen eines Kopfschutzes aus Gründen der Sicherheit empfehlen.

Keine Kamerapflicht: Die verpflichtende Nutzung einer Helmkamera ist für die Branche zurzeit erst recht kein Thema. (iss)

Dass mit so einfachen Mitteln jede zweite Kopfverletzung vermieden werden kann, hat auch die Regierenden einiger Länder überzeugt.

In Kroatien und Slowenien etwa besteht heute eine generelle Helmpflicht für Kinder unter 15 Jahren, in Österreich gibt es eine entsprechende gesetzliche Regelung für die Regionen Salzburger Land, Oberösterreich, Steiermark, Kärnten, Niederösterreich und Wien. Auf italienischen Bergen müssen Kinder bis 14 Jahre einen Skihelm tragen.

Für die Kontrolle sind Polizei und Pistenpersonal zuständig. Inwieweit dies in der Praxis durchführbar ist, sei dahingestellt. Bis auf Italien werden bislang nirgendwo Strafen bei Nichteinhalten fällig. Dort allerdings droht der Entzug des Skipasses und ein Bußgeld bis zu 200 Euro.

In Deutschland, Frankreich, Schweden, Schweiz, den USA und Kanada setzt man bislang vor allem auf Aufklärung und Eigenverantwortung.

Dass mangelnde Eigenverantwortung auch ganz ohne gesetzliche Regelungen teuer werden kann, zeigt ein Urteil des Oberlandesgerichts München vom März 2013: Auf einem Berg in Tirol fuhr ein stürzender Skiläufer eine an gut einsehbarer Stelle stehende Skifahrerin um.

Der Frau, die schwere Kopfverletzungen erlitt, wurde ein 50-prozentiges Mitverschulden zugesprochen, weil sie auf der Piste keinen Helm trug. Dieser hätte sie, nach Ansicht des Gerichts, vor dem Schaden schützen können.

Die Richter argumentierten sinngemäß: Wer bei den veränderten Verhältnissen auf Skipisten keine zumutbaren Schutzvorkehrungen treffe, könne für kausale Unfallfolgen mitverantwortlich gemacht werden. Mit Spannung bleibt abzuwarten, wie sich solche Urteile auf die künftige Gesetzgebung hierzulande auswirken werden.

Helm ja, aber ab 18 nur freiwillig

Dass wir für den Schutz der Kinder verantwortlich sind, ist keine Frage. Sie können Geschwindigkeiten auf der Piste viel schlechter einschätzen als Erwachsene.

Aber auch Jugendliche, die ihre Coolness am Hang unter Beweis stellen müssen, sind besonders verletzungsgefährdet. Um sie zu schützen, reicht die in einigen Ländern angesetzte Altersgrenze von 15 Jahren nicht aus.

So ist auch auf deutschen Pisten eine Helmpflicht sinnvoll, und zwar bis zur Volljährigkeit. Danach aber sollte jeder selbst in der Lage sein, für seine Sicherheit zu sorgen. Man kann und soll nicht jedes Sicherheitsloch per Gesetz stopfen.

Was käme denn als nächstes? Käme die Helmpflicht auf dem Rad, die Schutzbrille für Squashspieler oder der Zwang zum Hüftprotektor für Skilangläuferinnen, die älter als 50 Jahre sind?

Im Erwachsenenalter sollte jeder eigenverantwortlich entscheiden, wie er sich schützen will. Dabei spielt natürlich auch die Vorbildfunktion gegenüber Kindern und Jugendlichen eine wichtige Rolle.

Die Schweizer schaffen diesen Balanceakt zwischen Freiheitsliebe und Verantwortungsbewusstsein: Obwohl dort keine Helmpflicht auf der Skipiste besteht, haben die Eidgenossen dank erfolgreicher Aufklärungskampagnen europaweit die höchste Tragequote.

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