Galenus-von-Pergamon-Preis

Das zeichnet die Gewinner 2018 aus

Vier Medikamente und eine Forschergruppe sind 2018 mit dem Galenus-von-Pergamon-Preis geehrt worden. Jeder Preisträger zeichnet sich dabei durch einen ganz speziellen innovativen Ansatz aus.

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Die Galenus-von-Pergamon-Preismünze: Sie wird seit 1985 alljährlich für Arzneimittelinvationen und exzellente Forschung verliehen und von der Springer Medizin Verlag GmbH gestiftt.

Die Galenus-von-Pergamon-Preismünze: Sie wird seit 1985 alljährlich für Arzneimittelinvationen und exzellente Forschung verliehen und von der Springer Medizin Verlag GmbH gestiftt.

© Stefan Maria Rother

Mit Bezlotoxumab können bei Patienten mit hohem Risiko der Rekurrenz einer Clostridium-difficile-Infektion (CDI) solche erneuten Infektionen verhindert werden. Dies geschieht, indem das nach Auskeimen persistierender oder neu erworbener Clostridiumdifficile-Sporen gebildete Toxin B abgefangen und so seine Aktivität unterbunden wird.

"Der Antikörper Bezlotoxumab bindet das Toxin von Clostridium difficile. Das ist doch viel vernünftiger, als noch ein Antibiotikum dazuzugeben und die Darmflora noch weiter zu zerstören", stellte Jury-Präsident Professor Erland Erdmann in seiner Laudatio heraus. Durch die Neutralisation von Toxin B wird Schädigungen des gastrointestinalen Epithels vorgebeugt, und das physiologische Mikrobiom kann sich regenerieren. Somit wird auch die intestinale Kolonisationsresistenz gegen Keime wiederhergestellt. Beides trägt dazu bei, einer Rekurrenz der CDI vorzubeugen.

Bezlotoxumab wird während einer antibakteriellen Therapie als intravenöse Einmalinfusion eingesetzt. Mit diesem Vorgehen war in den Studien MODIFY I und MODIFY II der Anteil der Patienten mit rekurrenter CDI signifikant niedriger als in der Placebogruppe: In der gepoolten Analyse beider Studien lag er bei 16,5 versus 26,6 Prozent.

"Zinplava® ist das Produkt der Herzen bei uns", sagte Sibyll Escher, Director Medical Affairs Antiinfektiva bei MSD Sharp & Dohme. "Der GBA hat einen geringen Zusatznutzen anerkannt. Was das Molekül tatsächlich leisten kann, werden wir im Laufe der Anwendung sehen." In deutschen Kliniken kommt es pro Jahr zu etwa 100.000 Infektionen mit C. difficile. Die Häufigkeit von CDI mit schwerem Verlauf ist von 2008 bis 2013 um das Dreifache gestiegen.

Kategorie Orphan Drugs: Holoclar® und Spinraza®

Der Preis für Arzneimittel für seltene Erkrankungen wird in diesem Jahr doppelt vergeben: an Holoclar®, ein Stammzelltransplantat für die Augen von Chiesi, und an Spinraza® (Wirkstoff Nusinersen) von Biogen.

» Holoclar®: In der Europäischen Union gilt eine Krankheit dann als selten, wenn nicht mehr als einer von 2000 Bürgern betroffen ist. Die Limbusstammzellen-Insuffizienz gehört damit eindeutig dazu, denn in der EU sind von der Erkrankung, die durch eine mangelnde Erneuerung der Hornhautepithelzellen im Auge gekennzeichnet ist, etwa drei von 100.000 Menschen betroffen. Ursache der Erkrankung sind meist eine chemische oder physikalische Verätzung oder Verbrennung. Aber auch genetische Erkrankungen, schwere Infektionen oder vernarbende Erkrankungen wie das Stevens-Johnson-Syndrom können eine Zerstörung der Limbusstammzellen bedingen. Die Stammzellen befinden sich im Limbus corneae, der etwa einen Millimeter breiten Übergangszone zwischen Hornhaut und Lederhaut des Augapfels. Sie sind für die regelmäßige Zellerneuerung des Epithels und Endothels der Hornhaut erforderlich.

Klinisch ist die Limbusstammzellen-Insuffizienz zunächst durch wiederholte oder persistierende Epitheldefekte und Entzündungen charakterisiert. Im weiteren Verlauf kommt es zum Überwachsen der Hornhaut durch die Konjunktiva mit Bildung einer neovaskularisierten Membran. Zu den Folgen zählen Visusverlust und eine erhöhte Blendempfindlichkeit.

Holoclar® ist die erste kommerziell verfügbare autologe Stammzelltherapie in Europa. Mit ihr ist ein Ersatz von Hornhautepithel und fehlenden Limbusstammzellen möglich. Für die Gewinnung der Stammzellen durch eine autologe Biopsie werden ein bis zwei Quadratmillimeter unbeschädigten Limbusgewebes benötigt. Die dann im Labor kultivierten autologen Stammzellen werden auf eine Fibrinmatrix aufgebracht. Das autologe Arzneimittel besteht letztendlich aus einem runden, transparenten Fibrin-Patch, auf dem bis zu 1,2 Millionen autologe Hornhautepithelzellen, aber auch Limbusstammzellen haften.

Dieser Patch wird auf das geschädigte Auge übertragen. Im Laufe des Reparaturprozesses der Hornhaut sollen sich die implantierten Stammzellen teilweise vermehren, differenzieren und migrieren, um das Hornhautepithel zu regenerieren und darüber hinaus eine kontinuierliche Regeneration des Hornhautepithels zu gewährleisten.

"Wir haben etwa 800 Patienten in Deutschland", berichtete Anna Sophie Bartling, Produktmanager Rare Disease beim Unternehmen Chiesi, in Berlin. "Häufig treten die Verletzungen an den Augen durch Feuerwerkskörper an Silvester auf. Mit der Stammzelltherapie können Betroffene dann tatsächlich wieder richtig sehen!"

» Spinraza®: Ebenso Beeindruckendes konnte Professor Andreas Schmitt, Medical Director beim Unternehmen Biogen, von der Anwendung von Spinraza®, die erste kausale Therapie für Patienten mit 5q-assoziierter spinaler Muskelatrophie, berichten.

"Ein Kind von 10.000 wird mit dieser tödlichen Erkrankung geboren", sagte Schmitt, "und es sind Geschichten, die unter die Haut gehen, wenn wir jetzt erleben, dass wir das Leben dieser Babys tatsächlich retten können. Aber auch, dass bei Älteren, bei denen die Krankheit später auftritt, durch das Medikament die Fingermotorik länger erhalten bleibt – und sie dadurch sich im Rollstuhl weiter selbstständig bewegen können." Spinraza® (Nusinersen), ein Antisense-Oligonukleotid, bewirkt, dass ein für Motoneuronen wichtiges Protein wieder in ausreichender Menge produziert wird und dadurch die Progression der Muskelatrophie aufgehalten werden kann.

95 Prozent der Patienten mit spinaler Muskelatrophie (SMA) haben ja Mutationen (Deletion des SMN1-Gens und Defekt des SMN2-Gens) auf Chromosom 5, die zu einem Mangel an dem für Motoneuronen lebenswichtigen Protein SMN (Survival of Motor Neuron) führen.

Das SMN2-Gen ist in der Nähe des SMN1-Gens lokalisiert. Beide Gene unterscheiden sich aufgrund eines genetischen Defekts des SMN2-Gens in nur fünf Nukleotiden voneinander. Dieser Defekt führt dazu, dass nur eine geringe Menge SMN-Protein gebildet wird, was den Mangel an SMN-Protein jedoch nicht ausgleichen kann. Die Symptomausprägung der SMA hängt meist davon ab, wie viele SMN2-Kopien vorhanden sind.

Während der Transkription des SMN2-Gens kommt es zu Ablesefehlern: Exon 7 wird übersprungen und nicht in die mRNA einbezogen. Dadurch sind nur etwa zehn Prozent des vom SMN2-Gen kodierten SMN-Proteins funktionsfähig; die übrigen sind verkürzt und instabil. Hier setzt der Genmodulator Nusinersen an. Er bindet an Intron 7 auf der prä-mRNS des SMN2-Gens und modifiziert dadurch den Spleißvorgang, also die Zusammensetzen der mRNA aus den einzelnen Exonen. Infolgedessen können trotz des SMN1-Gendefekts größere Mengen an funktionsfähigem SMN-Protein gebildet werden.

Die Zulassung von Nusinersen basiert auf den Daten der beiden randomisierten, kontrollierten, doppelblinden Phase-III-Studien ENDEAR bei infantiler SMA und CHERISH bei später einsetzender SMA. In diesen Studien mit Säuglingen sowie Kindern zwischen zwei und zwölf Jahren wurden mit Nusinersen die motorischen Funktionen und die Überlebensrate deutlich verbessert. Das Arzneimittel wird in den Liquorraum des Wirbelkanals injiziert.

Kategorie Specialist Care: Hemlibra® bei Hemmkörper-Hämophilie

Etwa 30 Prozent der Hämophilie A-Patienten entwickeln unter der bisherigen Faktortherapie neutralisierende Antikörper (Hemmkörper) gegen den applizierten Gerinnungsfaktor VIII. Üblicherweise werden dann Bypass-Medikamente eingesetzt, entweder aktiviertes Prothrombinkomplex-Konzentrat oder rekombinanter aktivierter Faktor VII. Da die Bypass-Präparate nur eine geringe Halbwertszeit haben, müssen sie bis zu mehrmals täglich als intravenöse Infusionen appliziert werden. Dennoch ist ihre Wirksamkeit meist suboptimal. Somit besteht hoher Bedarf an effektiveren und weniger belastenden Therapiestrategien.

Emicizumab, ein bispezifischer monoklonaler Antikörper, bietet Patienten mit Hämophilie A und Hemmkörpern gegen Faktor VIII effektiven Schutz vor Blutungen. Der Antikörper (Hemlibra® von Roche und Chugai) wurde speziell entwickelt, um die Funktion des fehlenden Faktors VIII zu übernehmen, indem es die Gerinnungsfaktoren IXa und X bindet. Damit kann der Komplex aus Gerinnungsfaktoren wie bei Menschen mit normaler Blutgerinnung gebildet werden. Bei nur einmal wöchentlicher subkutaner Anwendung treten bei den meisten Patienten keine Blutungen auf.

"Wir haben vom GBA einen Anhaltspunkt für einen nicht quantifizierbaren Zusatznutzen zuerkannt bekommen", berichtete Dr. Michael Schöttler vom Unternehmen Roche bei der Preisverleihung. Der Senior Director NPS Specialty Care Rheumatologie und Hämophilie weiter: ,.Ich denke, auch der GBA musste zunächst mit dieser Sprunginnovation zurecht kommen. Immerhin ist es der erste Wirkstoff im Bereich der Hämophilie, dem überhaupt ein Zusatznutzen zuerkannt worden ist. Wir werden den Preis so gestalten, dass es für das Gesamtsystem tragbar ist."

Kategorie Grundlagenforschung: Ehrung für Adipositas-Forscher

Dr. Peter Kühnen und Professorin Heike Biebermann von der Berliner Charité erhalten für Arbeiten im Bereich der Endokrinologie den Forschungspreis.

Studien an Zwillingspaaren haben darauf schließen lassen, dass bei der Regulierung des Körpergewichts auch der genetische Hintergrund von Bedeutung ist. Die bisher identifizierten Mutationen bei frühmanifest adipösen Patienten betreffen fast ausnahmslos den Leptin-Melanokortin-Signalweg, der für die Regulation des Gewichts- und Sättigungszentrums wichtig ist. In dieser Signalkaskade aktiviert der Botenstoff Leptin Leptinrezeptoren (LEPR) im Hypothalamus.

Dr. Peter Kühnen und Professorin Dr. Heike Biebermann vom Institut für Experimentelle Pädiatrische Endokrinologie an der Charité Universitätsmedizin Berlin untersuchen die Entstehung von Adipositas bei Patienten mit Mutationen im Leptin-Melanokortin-Signalweg. Die genetischen Veränderungen machten eine Gewichtsabnahme bei Betroffenen bisher unmöglich.

Die Ergebnisse der Arbeiten der Wissenschaftler deuten darauf hin, dass die Gabe des Wirkstoffs Setmelanotide bei Patienten mit Mutationen von LEPR eine deutliche Reduktion der Essstörung bewirken kann. Setmelanotide aktiviert den sogenannten Melanokortin-4-Rezeptor (MC4R). Dieser Rezeptor ist in der Signalkaskade dem LEPR nachgeschaltet . Durch die "überbrückende" Funktion von Setmelanotide – die durch diesen Wirkstoff vermittelte Aktivierung von MC4R – wird bei Mutationen von LEPR ein Sättigungssignal in der Signalkaskade weitergeleitet.

Jetzt wolle man schauen, bei welchen weiteren Patientengruppen sich der Therapieansatz anwenden ließe, kündigte Heike Biebermann bei der Verleihung des Galenus-Forschungspreises in Berlin an. (mal/ger/reh)

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