Kreationisten glauben, die Welt sei ziemlich genau 6000 Jahre alt

Von Ronald D. Gerste Veröffentlicht:

In zwei Jahren soll in Florence im amerikanischen Bundesstaat Kentucky ein Museum eröffnen, in dem die Geschichte der Erde und der sie bewohnenden Lebewesen mit einer Vielzahl von Exponaten vom Modell eines DNA-Moleküls bis zum Skelett eines Dinosauriers erzählt werden wird.

Eine für europäische Ohren etwas ungewöhnliche Geschichte: Die Erde wurde vor ziemlich genau 6000 Jahren erschaffen, Menschen und Tyrannosaurier lebten zunächst einträchtig im Garten Eden und alle wissenschaftlichen Erkenntnisse und Hypothesen über die Entstehung des Lebens vor etwa vier Milliarden Jahren und die allmähliche Wandlung früher Hominiden zum heutigen Menschen im Verlauf der letzten ein bis zwei Millionen Jahre sind gefährlicher Unsinn. "Dies ist", so Museumsgründer Ken Ham, "ein Kulturkrieg, der immer heißer wird. Die müssen wissen: Wir kommen."

"Die" - darunter verstehen Ham und Gleichgesinnte die etablierte Wissenschaft und hier vor allem die Anhänger der von Charles Darwin vor genau 144 Jahren verkündeten Evolutionstheorie. "Wir" - das sind die Verfechter des Kreationismus. Diese in der westlichen Welt ziemlich einmalige Verquickung von Religion und Wissenschaft hat sich in den USA ein Weltbild erschaffen, das auf der Lehre vom "Intelligenten Design" basiert - dem Credo, daß die Wunder der Natur zu vielgestaltig sind, als daß sie nach dem Zufallsprinzip (oder aufgrund von Selektion und Mutation) entstanden sein könnten.

Vielmehr wird ein göttlicher Plan gesehen und die Bibel wörtlich genommen, vom binnen sechs Tagen vollbrachten Schöpfungsakt bis zur realen Existenz der Arche Noah. Diese soll dem staunenden (und gläubigen) Publikum dann im Creation Museum & Family Discovery Center vor den Toren Cincinnatis ebenso präsentiert werden wie andere "Beweise" für göttliches Wirken bei der Entstehung der diversen Spezies. Das mit 14 Millionen Dollar zu erschaffende Museum wird eine Hochburg des Kreationismus sein, der längst zum Angriff auf die Bewußtseinsindustrie der USA angesetzt hat.

Aus europäischer Perspektive könnte man den Versuch religiöser Fundamentalisten, das Rad der Erkenntnis auf den Stand des späten Mittelalters zurückdrehen wollen, als skurrile Besonderheit einer an Exzentrikern nicht gerade armen Gesellschaft abtun. Doch der Feldzug gegen die Evolution ist von zutiefst politischer Natur. Es findet längst, so warnen Vertreter der sogenannten etablierten Wissenschaft, ein Kampf um die Herzen und den Verstand der jungen Generation statt. Und in der Tat haben die Kreationisten zumindest regional Erfolge aufzuweisen.

In Kansas beispielsweise ist seit vier Jahren in der Schule über Kreationismus mindestens genau so eingehend zu unterrichten wie über die weltweit akzeptierte Evolutionstheorie. Die politische Ausrichtung der Kreationisten ist eindeutig: Sie bilden eine Phalanx von Stammwählern der Republikaner - es war Ronald Reagan, der einst als erster amtierender Präsident verständnisvolle Sympathie für diesen jeder Wissenschaftlichkeit Hohn sprechenden Ansatz bekundet hatte.

Auch noch so exakt belegte wissenschaftliche Daten machen den Kreationisten wenig Eindruck, Glaube wird stets vor die Erkenntnis gesetzt. Indizien für eine Evolution wie fossile Funde von Hominiden, Vorläufern der modernen Menschen, werden nicht zur Kenntnis genommen oder lächerlich gemacht, die Radiocarbonmethode ist für diese Leute Humbug. Hinweise auf auch heute noch stattfindende, von Biologen hinreichend beschriebene evolutionäre Prozesse wird es im Creation Museum nicht zu sehen geben.

Die Kreationisten suchen weniger die Auseinandersetzung mit der Evolutionstheorie und ihren erdrückenden Beweisen, sondern eher die Indoktrination einer Bevölkerung, die umso empfänglicher für ihre Botschaft ist, je geringer die Schulbildung ist: Nach einer Umfrage sinkt die Akzeptanz des Kreationismus mit steigendem Bildungsstand.

In wissenschaftlich anerkannten Zeitschriften ist bislang nicht eine einzige Studie erschienen, mit denen auch noch so bescheidene Indizien für die These vom "ID" reproduzierbar untermauert werden. Ob der Kampf, den amerikanische Wissenschaftler und Fachgesellschaften gegen diese Indoktrination (die vor allem über "christliche" Radiostationen stattfindet) führen, erfolgreich ist, wird man dann sehen - an den Besucherzahlen des Creation Museums und bei der Zusammensetzung des nächsten, im Herbst 2004 zu wählenden Kongresses, in den es auch Verfechter des Kreationismus zieht.

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