"Das Muffige ist einer klaren, hellen Präsentation gewichen"

DRESDEN (dpa). 14 Jahre nach dem Ende der DDR ist auch im Deutschen Hygiene-Museum Dresden der Staub der Vergangenheit einer eleganten Frische gewichen.

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Die weltweit einzigartige Einrichtung hatte sich seit der Wende zunächst mit überregional beachteten Sonderschauen zu natur-, kultur- und gesellschaftswissenschaftlichen Themen als "Museum vom Menschen" profiliert. Seit August 2003 hat es sich "vom Gesundheitserziehungsinstitut der DDR zum modernen Ausstellungshaus" entwickelt, sagt Museumsdirektor Klaus Vogel. "Die Zeit des Übergangs ist vorbei, das neue Hygiene-Museum ist da."

Im bereits sanierten Teil des 1927 bis 1930 von Wilhelm Kreis (1873 bis 1955) errichteten Gebäudes, das als markantes Museum der Moderne gilt, steht seit Donnerstag der Mensch wieder im Mittelpunkt. In der neuen Exposition "Mensch, Körper, Gesundheit" beleuchtet wird die Geschichte des 1912 von "Odol"-Fabrikant Karl August Lingner (1861 bis 1916) gegründeten Museums ebenso wie wissenschaftliche Entwicklungen der Reproduktionsmedizin, Hirnforschung oder Nanotechnologie. "Wir gehen zurück auf die Welt der Originale", sagt Vogel.

"Das Muffige, Angegraute, Abgewetzte ist wie weggeblasen und einer klaren, hellen, offenen und konzentrierten Präsentation gewichen." Die Räume sind ausgestattet mit Sitzgelegenheiten und ästhetischer Ausstellungsarchitektur. Der erste Raum befaßt sich mit den Methoden der Wissenschaft, die sich dem Körper nähern, ihn mustern und messen. Gezeigt werden Instrumente von Mikroskopen über einen Röntgenapparat von 1919 und Präparate echter Körperteile bis zu Wachs- und Gipsmodellen oder Figuren aus Papier-Maché und Holz.

In einer Spezialvitrine ist erstmals die 1936 hier hergestellte "Gläserne Frau" zu sehen. Zum Schutz vor zu viel Licht gibt das Glas erst den Blick auf die Rarität frei, wenn ein Betrachter direkt davor steht. "Die alten Figuren sind noch aus einem Zelluloid-ähnlichen Material, die jüngeren aus Acrylglas", berichtet Pressesprecher Christoph Wingender. Schöpfer war Präparator Franz Tschackert (1887 bis 1958), der seit 1925 mit Knochenpräparaten, Elektrokabeln, Glühbirnchen und dem Kunststoff Cellon experimentierte.

Sein "Gläserner Mensch" wurde 1930 zur Sensation, in der Cellon- Werkstatt des Museums entstanden bis zum Krieg vermutlich neun Exemplare. Seit 1945 produzierten die Museumswerkstätten über 50 solcher Figuren vor allem für Museen und Universitäten, zudem viele Plastik-Modelle von Organen für den Biologie-Unterricht. In der Dresdner Sammlung befinden sich fünf gläserne Figuren: zwei Frauen - davon eine Schwangere - zwei Männer und eine Kuh.

Nach der Zeit der Rassenhygiene von 1933 bis 1945 stand das Museum zu DDR-Zeiten im Dienste der Gesundheitsaufklärung. Letztes Zeugnis in der Schau ist Zwerg Kundi. Das Maskottchen, das im Kampf gegen Dreckfinger, Stinkefuß, Tropfnase, Faulzahn und Schwarzohr "Sauberkeitsorden" verteilte, hatte mit dem Fall der Mauer jedoch ausgedient.

"Im Gegensatz zu Gunter von Hagens, der auf primäre Showeffekte und Überwältigung setzt, gibt es bei uns Interessantes zu sehen mit der Möglichkeit, sich anzunähern", sagt Vogel. Die Schau gebe Einblicke in die Struktur des Lebens, betrachte die Ernährung zwischen "Streuobstwiese und Fastfood" und spanne den Bogen von biologischen Grundlagen über Gefühlskaskaden bis zu Partnerschaft und Ehe. Mit "Erinnern, Denken und Lernen", "Bewegung" sowie "Haut und Haar" sollen in einem Jahr drei weitere Bereiche folgen, wenn die knapp 30 Millionen Euro-Generalsanierung abgeschlossen ist.

Dann sind 700 Exponate nach langer Pause oder erstmals zu sehen, darunter Klassiker der Sammlung wie "Schmerzensmann", "Muskelkopf" oder "Scheibentorso". Über 100 Dauerleihgaben ergänzen den Bestand des Museums ebenso wie Lernspiele, Filme oder interaktive Einrichtungen. "Das Museum ist wieder mehr ein Museum geworden, in dem es interessante Dinge zu sehen gibt, die nirgendwo anders gezeigt werden", freut sich Museumsdirektor Vogel. "Wir haben uns von der Gesundheitsaufklärung mit erhobenem Zeigefinger entfernt."

Infos über das Deutsche Hygiene-Museum Dresden: www.dhmd.de

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