Wenn Jugendliche Liebeskummer oder Probleme mit dem Sex haben

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Von Margarete Dreßler

Ist es eher tröstlich oder traurig? Die Jugendlichen des beginnenden dritten Jahrtausends scheinen nicht anders als die Generationen ihrer Eltern und Großeltern von Scham und der Vorstellung großer Peinlichkeit befallen zu sein, wenn es um die körperlichen Aspekte der Liebe geht.

Der Eintritt der Geschlechtsreife, die körperlichen Veränderungen und die neue Bedeutung des anderen Geschlechts sind nach wie vor Ereignisse, die junge Menschen tief verunsichern und verstören können. Und wie wir es alle aus der eigenen Jugend kennen, möchte man den Erwachsenen, die einen am allerbesten kennen, Eltern, Geschwistern, Lehrern, die eigenen Probleme auf gar keinen Fall anvertrauen.

Im Münchener Schwabinger Krankenhaus können junge Menschen zwischen 10 und 18 Jahren, die mit der ersten Liebe ihre Schwierigkeiten haben, die ihre schmerzlichen Folgen fürchten, bereits unter ihnen leiden oder einfach nur wissen wollen, wie denn das alles vor sich geht und ob sie vielleicht schon verliebt oder gar schwanger sind, anonym und kostenlos Rat suchen.

Eine Terminabsprache oder ein Versicherungsnachweis sind nicht nötig. Jede Woche am Dienstagnachmittag von zwei bis sechs erwarten eine Jugendfrauenärztin, eine Sozialpädagogin und/oder eine Jugendpsychotherapeutin, ein Jugendarzt sowie eine Krankenschwester die Ratsuchenden.

Die Münchner "First Love Ambulanz" (FLA) ist nach dem Vorbild der "First Love Ambulanz" entstanden, die Professor Werner Grünberger an der Wiener Rudolfstiftung 1992 gegründet hat. Dort lassen sich inzwischen durchschnittlich 1000 junge Menschen im Jahr beraten, in ganz Österreich gibt es inzwischen zwölf Ambulanzen.

Die FLA in München besteht inzwischen etwa ein Jahr. Ihre Existenz wurde vor allem an den Schulen bekannt gegeben. Es dauerte einige Monate, bis die FLA von den Jugendlichen angenommen wurde. Von der Gründung bis heute haben inzwischen knapp 50 Jugendliche bei der FLA Rat gesucht, die Tendenz ist steigend. Das Geschlechterverhältnis Mädchen/junge Männer beträgt 4 : 1.

Mädchen kommen meist, weil sie fürchten, schwanger zu sein

Die Mädchen fürchten am meisten eine ungewollte Schwangerschaft. 80 Prozent wollten über Mittel zur Verhütung aufgeklärt werden. Außer einer Schwangerschaft haben manche junge Menschen Angst, krank zu sein oder unter körperlichen Anomalien zu leiden - Befürchtungen, die sich wie die vermuteten Schwangerschaften zum Glück bisher stets als unbegründet herausstellten. Die Möglichkeit, sich mit Aids oder sexuell übertragbaren Krankheiten infizieren zu können scheint dagegen im Bewußtsein junger Menschen keine große Rolle zu spielen.

Junge Männer, die die FLA besuchten, waren im Durchschnitt deutlich älter als die Mädchen. Das jüngste Mädchen war zwölf, die jüngsten männlichen Jungendlichen waren 15 bis 16. Und sie hatten in der Regel mehr unter emotionalen als praktischen Problemen zu leiden, vor allem unter Liebeskummer.

Jeder Jugendliche wird gut eine Stunde beraten

Das Team der FLA nimmt sich sehr viel Zeit für den Einzelnen. Sowohl für das Gespräch als auch für eventuelle ärztliche Untersuchungen, im Durchschnitt eine Stunde für jeden Jugendlichen, wenn es nötig ist aber auch viel mehr. Die Aufklärung über Verhütungsmittel ist umfassend und erfolgt im Gespräch und durch Demonstrationen. Verschiedene Verhütungsmittel werden gezeigt und erklärt, die jungen Leute können sie in die Hand nehmen, gar mitnehmen.

Eine gynäkologische Untersuchung, die bei Erwachsenen nur wenige Minuten in Anspruch nimmt, dauert hier oft bis zu einer Stunde. Viele junge Mädchen fürchten diese Untersuchung, deshalb erfolgt sie auch nur auf ausdrücklichen Wunsch des Mädchens und mit speziellen, kleineren Instrumenten, sie wird vorher in allen Einzelheiten erklärt und auf Verlangen sofort abgebrochen.

Für viele junge Mädchen ist der Frauenarzt der eigenen Mutter nicht akzeptabel. Für sie ist die anonyme, behutsame und zu nichts verpflichtende Beratung in der FLA angenehmer.

Wirklich erstaunlich ist, daß Jugendliche in unserer angeblich so aufgeklärten Zeit oft sehr wenig über ihren eigenen Körper und die Vorgänge bei der Fortpflanzung wissen. Es gibt Aufklärungsliteratur, es gibt das Fernsehen, es gibt Internetseiten zu diesem Thema, es gibt den Biologieunterricht in den Schulen. Für viele Jugendliche ist diese Art der Information aber wohl zu theoretisch und unzureichend.

Bei der schulischen Aufklärung scheint sich außerdem seit der Generation der Eltern nicht viel geändert zu haben: Der Unterricht ist oft trocken und nicht anschaulich genug. Die Unterrichtssituation, so Jugendfrauenärztin Dr. Berrit Böttcher, habe außerdem den Nachteil, daß sich die Schüler kaum trauten, Fragen zu stellen, weil sich kein Schüler vor den anderen eine Blöße geben will. Am offensten zeigten sich Mädchen wie junge Männer bei einem Gespräch unter vier Augen mit der Ärztin, mit Sozialpädagogen und Psychotherapeuten.

Zu wenig Wissen über Verhütung

Die meisten jungen Menschen, die in der FLA Rat suchen, wissen nicht, wie eine Schwangerschaft zustande kommt, wie sie diagnostiziert werden kann. Dabei haben die meisten Ratsuchenden bereits ein oder mehrere Male Geschlechtsverkehr gehabt. Auch ein erst zwölfjähriges Mädchen, das zur FLA kam, weil es glaubte, schwanger zu sein.

Sexuell ganz unerfahrene Mädchen und Jungen waren deutlich in der Unterzahl, von 36 Ratsuchenden waren es etwa im August 2005 nur drei. Ein Mädchen, das mit 18 noch ohne jede Sex-Erfahrung war und sich eingehend und gründlichst über alle Einzelheiten informieren ließ, war eine Ausnahme. Das soziale Umfeld scheint hierbei keine Rolle zu spielen, so FLA-Berater. "Kinder aus gutem Hause" seien durchschnittlich nicht besser informiert als solche aus sozial eher schwachen Familien.

Auch an der Rollenteilung der Geschlechter beim Thema Verhütung hat sich wohl wenig geändert. Kondome gibt es in jedem Supermarkt, Verhütung scheint aber nach wie vor reine Frauensache zu sein. Ein junger Mann, der fürchtete, seine Freundin geschwängert zu haben, reagierte sehr überrascht als man ihm auf den möglichen Gebrauch von Kondomen hinwies. Auf die Idee sei er noch gar nicht gekommen.



Die "First Love Ambulanz" in München

Vorbild für die erste und bisher einzige "First Love Ambulanz" Deutschlands im Münchner Schwabinger Krankenhause ist die "First Love Ambulanz", die Professor Werner Grünberger an der Rudolfstiftung in Wien 1992 gegründet hat. Dort lassen sich jährlich etwa 1000 junge Menschen beraten. In ganz Österreich gibt es inzwischen zwölf solcher "First Love Ambulanzen".

In der "First Love Ambulanz" (FLA) in München beraten eine Jugendfrauenärztin, eine Sozialpädagogin und/oder eine Jugendpsychotherapeutin, ein Jugendarzt sowie eine Krankenschwester in allen Fragen und Problemen zu Partnerschaft, Sexualität, körperlicher und seelischer Entwicklung, Beziehungen und Schwangerschaft, Verhütung, sexuell übertragbaren Krankheiten, zu körperlicher oder sexueller Gewalt. Die FLA vermittelt auf Wunsch weiter, an Kliniken, Institutionen, Verbände. Mitarbeiter der FLA halten auch an Schulen Vorträge über Sexualkunde und Verhütung. Finanziert wird die First Love Ambulanz vom Freistaat Bayern.

First Love Ambulanz: Krankenhaus München Schwabing, Kölner Platz 1, Eingang Parzivalstraße, Haus 22, gegenüber der Kinderklinik. Telefon: 089 / 58 96 63 28, Internet: www.firstlove-ambulanz.de, Sprechstunde: dienstags, 14 bis 18 Uhr

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