Der Pathologe: Held im Buch, Held im Film

Gruseliges Drehbuch, verschrobene Professoren oder Geschichten aus dem Alltag: Die Gerichtsmedizin bietet für Serien, Filme, Romane und Sachbücher seit Jahren viel Erzählstoff.

Von Pete Smith Veröffentlicht:
Die Serie, die den Film-Pathologen mit Detektiv-Fähigkeiten den Weg ebnete: Jack Klugmann spielte "Quincy".

Die Serie, die den Film-Pathologen mit Detektiv-Fähigkeiten den Weg ebnete: Jack Klugmann spielte "Quincy".

© RTL

Serien wie "CSI" oder "Navy CIS" locken Millionen Zuschauer vors Fernsehen, Genre-Autoren wie Simon Beckett und Kathy Reichs führen die Bestseller-Listen an, Forensiker wie Michael Tsokos und Gunther Geserick füttern das Publikum mit harten Fakten: Kein Zweifel, Gerichtsmediziner sind die Helden unserer Tage -nur warum?

Der gute alte "Quincy" würde staunen, wenn er erführe, wie viele Menschen sich weltweit an seinem Beruf ergötzen. Als der Medical Examiner am 3. Oktober 1976 zum ersten Mal im US-Fernsehen (NBC) ermittelte, war er noch weit und breit allein auf der Bühne.

Der Legende nach war der kalifornischen Gerichtsmediziners Dr. Thomas Noguchi, der unter anderen Marilyn Monroe, John Belushi und Robert Kennedy autopsiert hat, das Vorbild für Quincy, den Forensiker und Detektiv in Personalunion.

Diesem dramaturgischen Kniff folgen noch heute viele Autoren. Dem Tod gegenüber professionell distanziert, trat Quincy den Lebenden stets warmherzig entgegen - eine vorbildliche Haltung, die seine Epigonen gern kopieren.

Leichen sezierende Helden im Rennen um TV-Quoten

Strahlte die ARD zwischen 1981 und 1983 ganze 13 Folgen von "Quincy" aus, so waren von 1992 bis 1994 beim Privatfernseher RTLplus insgesamt 133 Folgen zu sehen. Kabel eins schließlich hat die Konserve im April vergangenen Jahres wieder aufgewärmt.

"Navy CIS" (Sat1), "CSI: Den Tätern auf der Spur" (RTL), "Medical Detectives" (Vox), "Bones, die Knochenjägerin" (RTL), "Crossing Jordan" (Vox), "Gerichtsmedizinerin Dr. Leo Dalton (früher Dr. Samantha Ryan)" (SuperRTL) - vor allem Privatsender schicken ihre Leichen sezierenden Helden ins Rennen um die Quoten.

Da mochte die ARD nicht länger zurückstehen und stellte den jahrzehntelang allein ermittelnden "Tatort"-Kommissaren mit Jan Josef Liefers alias Professor Karl-Friedrich Boerne einen zwar schrulligen, so doch ermittlungstauglichen forensischen Pathologen an die Seite.

In der Krimi-Literatur zeigt sich ein ähnliches Bild. Den Trend markierte hier Patricia Cornwell 1990 mit ihrem ersten Thriller um die Gerichtsmedizinerin Kay Scarpetta ("Post Mortem"), dem bis heute mindestens 17 weitere folgten.

War ein Mord bis dato nur Ausgangspunkt der Krimi-Handlung, so rückte der Tod nun zunehmend in deren Mittelpunkt.

Inzwischen sind Schriftsteller wie der Brite Simon Beckett mit seinen Thrillern um den Gerichtsmediziner David Hunter ("Die Chemie des Todes", "Kalte Asche", "Leichenblässe"), die US-Anthropologin Kathy Reichs mit ihren Temperance-Brennan-Romanen ("Tote lügen nicht", "Knochenlese", "Blut vergisst nicht") und die US-Autorin Karen Slaughter mit ihren Krimis um die Forensikerin Sara Linton ("Belladonna", "Gottlos", "Zerstört") aus den weltweiten Bestsellerlisten nicht mehr wegzudenken.

Neuerdings bedienen sogar echte Gerichtsmediziner wie Professor Gunther Geserick, emeritierter Ordinarius an der Humboldt-Universität in Berlin ("Zeitzeuge Tod", "Endstation Tod"), und Professor Michael Tsokos von der Berliner Charité ("Dem Tod auf der Spur", "Der Totenleser") das öffentliche Bedürfnis nach Innenansichten aus dem Sektionssaal. Ihre auf Tatsachen basierenden Sachbücher finden reißenden Absatz.

Was also ist das Faszinierende an der "neuen Sichtbarkeit des Todes", wie der Berliner Philosoph und Kulturwissenschaftler Professor Thomas Macho schon 2007 in einer wegweisenden Schrift formulierte? Bislang kam doch keine Kritik der Moderne ohne die Behauptung aus, der Tod werde in unseren Gesellschaften erfolgreich verdrängt.

Detaillierte Leichenschauen in Filmen, Krimis und Sachbüchern, öffentliche Zurschaustellungen plastinierter Leichen oder vom Boulevard publizierte Fotos, die sterbende und tote Menschen zeigen, deuten genau auf das Gegenteil hin.

Spritzendes Blut? Ein gutes Drehbuch braucht das nicht!

Dennoch - der offene Tabubruch bleibt die Ausnahme. Den meisten szenischen Darstellungen ist eine Ästhetisierung des Todes gemein, und der steril anmutende Fachjargon im Film oder Roman schafft zusätzliche Distanz.

Thriller-Autor Simon Beckett vermutet ein wissenschaftlich gefärbtes Erkenntnisinteresse hinter dem Trend. "Wir alle sind neugierig darauf, was mit uns nach dem Tod passiert, und zu wissen, dass es Menschen gibt, die die physischen Prozesse dahinter nicht nur analysieren, sondern sie auch interpretieren, ist ein fesselnder Gedanke. Es geht wohl um diesen flüchtigen Blick auf verbotenes Terrain."

Flüchtig sollte dieser Blick bleiben, mahnt "Quincy"-Darsteller Jack Klugman. Nach einem Gastauftritt in der Serie "Crossing Jordan" kritisierte er allzu vordergründige Darstellungen: "Am Set haben sie die Leiche blau angemalt!", empörte er sich in einem "Spiegel"-Interview im Jahr 2009.

"Und sie haben ganz genau gezeigt, wie die künstliche Haut aufgeschnitten wird und das Blut raus schießt! Warum? Das muss man nicht zeigen, wenn man ein gutes Drehbuch hat."

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