Ärztliche Hilfe für kranke Menschen im Abseits

Sprechstunde für Patienten ohne legalen Aufenthaltsstatus - das bietet die Malteser Migranten Medizin in Frankfurt am Main. Wer Angst vor Entdeckung hat, kommt hierher. Die Türen stehen für Menschen offen, die ihre Behandlung nicht mehr bezahlen können.

Von Pete Smith Veröffentlicht:
Matthias Plieninger leitet die Malteser Migranten Medizin ehrenamtlich.

Matthias Plieninger leitet die Malteser Migranten Medizin ehrenamtlich.

© smi

FRANKFURT. In Deutschland leben laut Schätzungen der Hilfsorganisation Pro Asyl zwischen einer Million und anderthalb Millionen Migranten ohne gültigen Aufenthaltsstatus. Sie sind weder krankenversichert, noch haben sie Geld, medizinische Leistungen selbst zu bezahlen. Hilfe finden sie bei der Malteser Migranten Medizin (MMM), deren ehrenamtlich tätige Mitarbeiter in elf deutschen Städten Sprechstunden anbieten.

Matthias Plieninger, Ärztlicher Leiter der MMM Frankfurt am Main, lädt einmal pro Woche zur Sprechstunde ins Bürgerhospital. Aus Angst, an die Ausländerpolizei gemeldet zu werden, zögern viele Patienten ihre Behandlung weit hinaus. Gerade erst hat Plieninger eine 60-jährige Philippinin behandelt, die Tage lang heftige Schmerzen im Unterbauch hatte. In die Notfallambulanz wagte sie sich nicht, stattdessen wartete sie bis zur nächsten MMM-Sprechstunde vier Tage später.

Auch Ali (Name geändert) ist einer von Plieningers Patienten. Der Türke hat zwar seine Kindheit in Deutschland verbracht, wurde aber mit 17 von seinen Eltern in die Türkei geschickt, wo er seine Drogensucht kurieren sollte.

Arzt Plieninger wird der gute Engel Hilfesuchender

Acht Jahre später kehrt er nach Deutschland zurück - illegal. In Frankfurt kommt er bei seiner Familie unter. Arbeiten darf er nicht, er fühlt sich zu nichts nutze, trinkt und nimmt zu. Am Ende wiegt Ali 136 Kilogramm, kann kaum mehr laufen, leidet unter Schlafstörungen - "ich war kein Mensch mehr", sagt er, "ich war fertig mit der Welt." Zum Arzt traut er sich nicht.

Ali möchte nicht erkannt werden. Er lebt seit Jahren illegal in Deutschland.

Ali möchte nicht erkannt werden. Er lebt seit Jahren illegal in Deutschland.

© smi

In seiner Not wendet er sich an Kirchen und Hilfsorganisationen, aber niemand will oder kann dem illegalen Anonymus helfen. Bis er von der Malteser Migranten Medizin erfährt.

Matthias Plieninger wird Alis guter Engel. Er unterhält Kontakte zu etwa 100 Fachärzten, die die Arbeit der MMM unterstützen. Zudem arbeitet der 65-jährige pensionierte Hausarzt eng mit den Frankfurter Sozialdiensten für Flüchtlinge zusammen, die helfen, den Aufenthaltsstatus der Migranten zu legalisieren. Auch Ali hat inzwischen Asyl beantragt und mit Plieningers Hilfe seine Alkoholsucht in Griff. Heute wiegt er 89 Kilo, ist wieder lebensfroh und "happy, dass ich es soweit geschafft habe".

Keine Versicherung? Auch Deutsche werden behandelt

Fünf bis zehn Patienten kommen durchschnittlich in die Sprechstunde der Frankfurter MMM, für die vier Ärzte und zwei Schwestern tätig sind. Die meisten Patienten stammen aus den neuen EU-Staaten Rumänien, Bulgarien und Polen, die "Illegalen" vorwiegend aus Afrika, Asien und Lateinamerika. Regelmäßig suchen aber auch Deutsche Hilfe bei der MMM, solche, die ohne Krankenversicherung leben.

Patienten wie etwa Andreas F.*. Der 28-jährige Frankfurter war bis vor wenigen Jahren selbstständiger Unternehmer mit 90 Angestellten. Bis einer seiner Großkunden Insolvenz anmeldet. 14.000 Euro Schulden und die Entlassung der Mitarbeiter sind die Folgen.

F. ist plötzlich arm. Er lebt ohne Strom, ohne Heizung, ohne Warmwasser, kann seine Krankenversicherungsbeiträge nicht mehr bezahlen, wird von seiner PKV gekündigt, lässt sich bei der Berufsgenossenschaft von seiner Beitragspflicht befreien und arbeitet Tag und Nacht.

Tatsächlich gelingt es ihm, seine Schulden beim Finanzamt und bei der Krankenversicherung zu begleichen. Doch als er zurück in die Kasse will, erfährt er, dass mit der Neuregelung der Krankenversicherungspflicht 2009 bei Wiedereintritt eine Strafe fällig wird für die Zeit ohne Versicherung. F. müsste gut 3000 Euro Strafe zahlen, Geld, das er nicht hat.

Ausgerechnet da erleidet er einen Unfall. Eine einstürzende Mauer zerreißt seine Achillessehne und durchtrennt einen Muskel. Op, Klinikaufenthalt, Krankentransport - all das muss er nun selbst bezahlen. Weil er ohne Krankenversicherung ist, wird er bei der Malteser Migranten Medizin vorstellig. "Das war mein Glück", sagt F.

Anfragen auch aus dem Ausland

Stationäre Aufenthalte ihrer Patienten stellen Plieninger und seine Kollegen vor ein großes Problem. "Hier stoßen wir ganz schnell an unsere finanziellen Grenzen", sagt er. Nach dem Asylbewerberleistungsgesetz müsste eigentlich das Sozialamt für Klinikbehandlungen aufkommen.

Doch viele Patienten haben Angst vor einer Meldung ans Ausländeramt. Nicht ohne Grund: Zwar wurde der Datenschutz zum 1. September 2009 auf das Sozialamt ausgeweitet, aber noch gibt es, wie man beim MMM festgestellt hat, offenbar Unsicherheiten und auch Unkenntnis bei den Ämtern.

Ein weiteres Problem ergibt sich ausgerechnet aus dem guten Ruf der MMM. Denn die Hilfsbereitschaft der ehrenamtlich tätigen Ärzte bei den Angehörigen ihrer Patienten hat sich herumgesprochen - und zwar weit über die Landesgrenzen hinaus. Die Konsequenz: Immer häufiger werden auch kranke Besucher aus dem Ausland vorstellig und hoffen auf kostenlose Hilfe.

Kontakt zur Migranten Medizin über den Malteser Hilfsdienst Frankfurt per Telefon: 069-71033770

*) Name von der Redaktion geändert.

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