Goethe und der Geburtshelfer aus Jena

Er war der Leibarzt Goethes, auch Schiller und Herder gehörten zu seinen Patienten: Johann Stark hat sich aber vor allem als ein angesehener Geburtshelfer einen Namen gemacht. In der Universitätsbibliothek Jena ist ihm jetzt eine Ausstellung gewidmet.

Von Robert Büssow Veröffentlicht:
Medizinischer Nachfahre: Professor Ekkehard Schleußner vor dem Bildnis Starks und Ausstellungs-Vitrinen.

Medizinischer Nachfahre: Professor Ekkehard Schleußner vor dem Bildnis Starks und Ausstellungs-Vitrinen.

© Büssow

JENA. Ein wenig dümmlich sieht der Herr Geheimrat Goethe tatsächlich aus in diesem lebensgroßen Porträt, das im Foyer der Jenaer Universitätsbibliothek hängt. Dem Selbstbild des eitlen Dichterfürsten, der sich für dieses Werk auf seiner Italienreise vor dem Vesuv abbilden ließ, entsprach das Gemälde kaum.

Als er es sechs Jahre vor seinem Tod erhielt, schenkte er es den Bibliothekaren, die es seitdem hegen und pflegen. Doch wer vor Goethes Bildnis steht, ist an einem anderen bereits vorbei gelaufen.

Ein wurmstichiger Holzrahmen

Goethes Leibarzt Johann Stark hat auch Schiller und Herder behandelt.

Goethes Leibarzt Johann Stark hat auch Schiller und Herder behandelt.

© Universitätsklinikum Jena

Im unauffälligen Nebenraum gleich hinter der Pforte widmet die Universität derzeit dem Leibarzt Goethes eine Sonderausstellung. Freundlich blickt ein kahlköpfiger älterer Herr aus einem kleinen wurmstichigen Holzrahmen: "Dr. Ioannes Christianus Stark". Auf seiner Brust heftet ein Orden der Ehrenlegion, verdient in den Feldlazaretten im napoleonischen Krieg.

Stark wurde 1753 bei Apolda geboren und gehörte zu den angesehensten Medizinern seiner Zeit. Berühmt machte ihn "Die Geschichte des vollbrachten Kaiserschnitts". 1783 gelang ihm das medizinische Wunder, nicht nur das Kind einer Hofdame per Bauchschnitt zu entbinden, sondern auch die Mutter selbst zu retten.

Zehn Minuten dauerte die heikle OP, auf 32 Seiten dokumentierte Stark die "Geschichte" anschließend. 200 Jahre nach seinem Tod, denn dies ist der eigentliche Anlass der Ausstellung, ist das Büchlein neben anderen Werken und Hinterlassenschaften zu besichtigen.

Seit 230 Jahren werden Hebammen ausgebildet

"Vermutlich hatte Stark auch etwas Glück, dass er kein größeres Gefäß verletzt hat", meint Professor Ekkehard Schleußner. Normalerweise starben Frauen an einem Kaiserschnitt, als weder das Nähen noch Hygiene verbreitet waren. Die Wunden wurden behelfsmäßig zugepflastert, wenn überhaupt.

Schleußner (49) ist seit sechs Jahren Direktor der Abteilung Geburtshilfe, geschäftsführender Direktor der Universitäts-Frauenklinik und damit medizinischer Nachfahre Starks. Jena hat eine der ältesten universitären Frauenkliniken Europas und bildet seit 230 Jahren in ununterbrochener Tradition auch Hebammen aus.

"Im Hörsaal hängt eine Galerie mit all meinen 16 Vorgängern, beginnend mit Justus Loder und Stark. Die Ausstellung soll zeigen, was für eine großartige Tradition wir in Jena haben", so Schleußner. Vorbild sei Stark, der großen Wert auf die praktische Ausbildung der Mediziner und auch Hebammen legte, bis heute geblieben.

Stark war Herausgeber des ersten deutschen Fachjournals in der Geburtshilfe und ein hervorragender klinischer Lehrer. In der Ausstellung findet man eine Reihe antiker Instrumente, darunter eine Art Schuhlöffel, der jedoch als Geburtshebel ausgezeichnet ist.

Auch die Gründung eines Lehrkrankenhauses in der Stadt geht auf ihn zurück. "Um 1800 studierten wegen der praktischen Ausrichtung nirgendwo mehr Mediziner als in Jena", betont Schleußner. Diese "Lehre am Krankenbett", also eine handwerkliche Geburtenausbildung sei bis heute maßgeblich, erklärt Schleußner, der als vierfacher Vater "mit gutem Beispiel vorangegangen" sei.

Etwa 1400 Frauen kreißen in der Uniklinik Jena jedes Jahr - mit einer unterdurchschnittlichen Sektio-Rate, wie Jenas oberster Geburtshelfer stolz betont.

Während der Anteil deutschlandweit bereits auf über 30 Prozent angestiegen ist, kommen in Jena nur 27 Prozent der Kinder per Kaiserschnitt auf die Welt. "Wir haben ihn zwar Gott sei Dank. Aber für die Mutter ist es nicht die beste Entbindung. Nicht nur wegen der Bauchoperation und der Narbe, es besteht für die nächste Schwangerschaft auch das Risiko von Komplikationen", sagt Schleußner.

Stark galt als ein Mann der Aufklärung, modern, fortschrittlich. Er forderte die Einrichtung einer Krankenkasse zur Versorgung der armen Bevölkerung und trat vehement für die Pockenimpfung ein.

Darüber gibt auch ein sensationeller Fund Auskunft, der bei der Restauration eines Hauses zwischen Dachbalken entdeckt wurde: ein Konvolut von 90 Briefbögen aus der Feder Starks. 1786 avancierte er zum Hofrat und sächsisch-weimarischen Leibarzt.

Geburtshilfe war seine Leidenschaft

Nicht nur die heute durch ihre abgebrannte Bibliothek bekannte Herzogin Anna Amalia suchte damals seinen medizinischen Rat, auch Schiller und Herder gehörten zu seinen Patienten. Dass es ein Frauenarzt derart weit brachte, mutet heute ungewöhnlich an.

Doch im Grunde war die Geburtshilfe nur eine Leidenschaft Starks, der wie alle Mediziner damals noch allgemein bewandert war, erklärt Schleußner. Er kann seinen Amtsvorgänger gut verstehen: "Man trägt Verantwortung gleich für zwei Leben. Und es kommt immer etwas Schönes heraus."

Die Ausstellung ist bis zum 6. August 2011 während der Bibliotheksöffnungszeiten geöffnet.

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