Die Chancen der Versorgungsforschung

Oft dauert es lange, bis neue Diagnose- und Behandlungsverfahren in der Patientenversorgung etabliert sind. Manches, was als Innovation gepriesen wurde, entpuppt sich später als nutzlos.

Ilse SchlingensiepenVon Ilse Schlingensiepen Veröffentlicht:
Das waren noch Zeiten: Vorstellung des Operationsroboters "Casper" 1998 in München. Inzwischen sind diese Roboter umstritten.

Das waren noch Zeiten: Vorstellung des Operationsroboters "Casper" 1998 in München. Inzwischen sind diese Roboter umstritten.

© Foto: dpa

KÖLN. Der Operationsroboter Robodoc, der bei Hüftoperationen eingesetzt wurde, hat gezeigt, wie es nicht laufen sollte. "Robodoc wurde eingeführt und angewendet, ohne dass die Wirksamkeit und das Risikoprofil umfassend untersucht worden wären", sagt Professor Christian Ohmann, Leiter des Koordinierungszentrums für Klinische Studien an der Medizinischen Fakultät der Universität Düsseldorf.

Bevor das System im großen Umfang bei Patienten angewendet wurde, wären gut geplante kontrollierte Studien notwendig gewesen, sagte Ohmann anlässlich des VII. Deutschen Kongresses für Versorgungsforschung in Köln, der von der Deutschen Gesellschaft für Chirurgie und dem Deutschen Netzwerk Evidenzbasierte Medizin ausgerichtet wurde.

Studien im Vorfeld der Einführung von Innovationen sind inzwischen ein klassisches Handlungsfeld für die Versorgungsforschung. "Versorgungsforschung ist die letzte Meile im Innovationstransfer", sagt Kongresspräsident Ohmann. Besser gesagt, sie sollte es eigentlich sein, denn nicht nur im Fall Robodoc mangelt es an Studien über den Nutzen und die Risiken neuer Verfahren und Techniken. "Zur Ermittlung des Nutzens innovativer Technologien in der breiten Anwendung bedarf es neben den interessengeleiteten Zulassungsstudien der Industrie unabhängiger, pragmatischer und versorgungsnaher klinischer Studien", fordert er.

Bundesärztekammer unterstützt Studien

Zwar unterstützten etwa das Bundesforschungsministerium und auch die Bundesärztekammer in Berlin Studien der Versorgungsforschung. "Doch das reicht mengenmäßig bei weitem noch nicht aus." Nach Meinung von Ohmann müssten die Industrie und die Krankenkassen an dieser Stelle stärker in die Pflicht genommen werden.

Italien liefere dafür ein gutes Beispiel. Dort fließen aus dem Marketing-Budget der Pharmafirmen fünf Prozent in einen Pool, aus dem dann Versorgungsforschungsstudien bezahlt werden, berichtet Ohmann. Im Jahr 2006 standen so etwa 35 Millionen Euro zur Verfügung, die in insgesamt 54 wissenschaftliche Studien flossen.

"Eine moderne und leistungsfähige Versorgungsforschung hat das Ziel, durch die Anwendung von wissenschaftlichen Methoden die Qualität und Sicherheit der Medizin zu verbessern und Innovationen auf Nutzen und Wirksamkeit zu überprüfen", sagt Professor Holger Pfaff, Vorsitzender des Deutschen Netzwerks für Versorgungsforschung. Die Versorgungsforscher könnten einen wichtigen Beitrag zur Klärung von zwei entscheidenden Fragen leisten: Werden Patienten in Deutschland nach dem neuesten Kenntnisstand der Medizin behandelt? Und welche Faktoren beeinflussen Sicherheit und Qualität der Behandlung im Krankenhaus?

Es geht nicht nur um das Versenden von Leitlinien

Zwar gebe es Hinweise darauf, dass viele Ärzte noch nicht das notwendige Leitlinien-Wissen haben, sagt Pfaff. "Wir wissen aber noch relativ wenig darüber, woran das liegt." Studien hätten gezeigt, dass es nicht ausreicht, den Ärzten die Leitlinien einfach zuzusenden. "Wir haben verschiedene Dinge getestet, um die Leitlinien-Kenntnis zu erhöhen, aber bis jetzt hat noch nichts funktioniert", berichtet Pfaff. Hier gebe es noch viel Forschungsbedarf.

Um der Versorgungsforschung den notwendigen Schub zu geben, sei es notwendig, die Wissenschaftler und die klinisch tätigen Ärzte verstärkt an einen Tisch zu bekommen, sagt Professor Hartwig Bauer, Generalsekretär der Deutschen Gesellschaft für Chirurgie. "Ein Problem der Versorgungsforschung ist, dass die entscheidenden Dinge von Wissenschaftlern vorangetrieben werden, die nicht primär in der Patientenversorgung tätig sind."

Das sei ein Grund für die mangelnde Akzeptanz des Wissenschaftszweigs bei vielen Klinikern, glaubt Bauer.

Beispiel Vakuumversiegelungstherapie

Eine Versorgungsforschungs-Studie soll die Effektivität und Effizienz der Vakuumversiegelungstherapie zur Behandlung von akuten und chronischen Wunden untersuchen. Sie ist nach Einschätzung des Gemeinsamen Bundesausschusses bisher wissenschaftlich nicht ausreichend belegt. Als Teil eines dreijährigen Modellvorhabens wird für das Projekt ein umfassendes Wundregister aufgebaut, berichtet Professor Edmund Neugebauer, Vorsitzender der Deutschen Netzwerks Evidenzbasierte Medizin. Die Registerdaten sollen den Vergleich ermöglichen zwischen der Wundversorgung in der Breite und der innovativen Versorgung in zwei randomisiert kontrollierten Studien zum diabetischen Fuß und zum Sinus pilonidalis. Entscheidende Frage: wie groß ist die Diskrepanz zwischen der Basisversorgung und der Versorgung unter Studienbedingungen. (iss)

Lesen Sie dazu auch den Kommentar: Ärzte auf der Innovationsbremse

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