Stress und Druck - immer mehr Beschäftige greifen zu Doping

Rund zwei Millionen Beschäftigte haben schon einmal zu Arzneien gegriffen, um die eigene Leistungskraft am Arbeitsplatz zu steigern. Das geht aus dem neuen Gesundheitsreport der DAK hervor.

Thomas HommelVon Thomas Hommel Veröffentlicht:
Immer mehr Arbeit, immer mehr Druck: Beschäftigte fühlen sich zunehmend überfordert.

Immer mehr Arbeit, immer mehr Druck: Beschäftigte fühlen sich zunehmend überfordert.

© Foto: imago

Das Arbeitsleben in Deutschland ist für viele Beschäftigte rauher geworden. Wer nicht schnell, flexibel und vor allem hochkonzentriert an sein Tageswerk geht, bekommt Ärger mit Vorgesetzten oder Kollegen. Die Folge: Der Leistungsdruck am Arbeitsplatz wächst - mit ihm die Angst, zu versagen. Immer mehr Beschäftigte greifen deshalb auf Suchtmittel und Tabletten zurück, um so für den täglichen Kick im Büro zu sorgen.

Die Deutsche Angestellten-Krankenkasse (DAK) hat das im Sport schon seit langem heftig diskutierte Thema Doping jetzt auch für die Arbeitswelt näher untersucht. Die DAK befragte dazu mehr als 3000 Arbeitnehmern im Alter von 20 bis 50 Jahren.

Jeder Fünfte akzeptiert Stimmungsaufheller

Die Ergebnisse lassen aufhorchen: Rund zwei Millionen Beschäftige haben schon einmal Pillen geschluckt, um sich am Arbeitplatz möglichst lange fit und wach zu halten. Besonders stark verbreitet ist das Phänomen unter Akademikern.

Immerhin jeder fünfte Arbeitnehmer hält die Einnahme von Medikamenten ohne medizinische Erfordernis für vertretbar, um die eigene Leistung im Job zu steigern. Etwa 20 Prozent der Befragten akzeptieren Stimmungsaufheller, um Stress und Konflikte am Arbeitsplatz besser aushalten zu können. Jedem fünften Arbeitnehmer wurden schon einmal leistungssteigernde und stimmungsaufhellende Medikamente ohne jegliche medizinische Notwendigkeit empfohlen. Die Empfehlungen gehen zumeist auf Kollegen, Freunde und Familienmitglieder, aber auch auf behandelnde Ärzte zurück: Jede dritte Empfehlung für ein aufputschendes Mittel kommt von Ärzten.

In ihrem Report hat die DAK die Arzneimitteldaten von Antidepressiva, Mitteln gegen Demenz und ADHS sowie Betablockern analysiert und untersucht, inwieweit die Mittel abweichend von ihrer Zulassung verordnet werden. Dabei wurden Verordnungs- und Diagnosedaten abgeglichen. Die Ergebnisse der Analyse gäben "indirekte Hinweise auf eine mögliche Fehl- und Überversorgung oder Medikamentenmissbrauch", heißt es im DAK-Report. Am Auffälligsten sei die nicht bestimmungsgemässe Verordnung des Wirkstoffes Piracetam gewesen. Dieses Mittel ist unter anderem zur Behandlung von Patienten mit hirnorganisch bedingten Leistungsstörungen, etwa Demenzen, zugelassen. Nur 2,7 Prozent aller DAK-Versicherten, denen Piracetam verordnet wurde, wiesen diese Diagnose überhaupt auf. Bei knapp 15 Prozent der Versicherten erfolgte die Piracetam-Verordnung ganz ohne Diagnose.

Auch beim Wirkstoff Methylphenidat, der primär zur Behandlung bei ADHS sowie zur Konzentrationssteigerung eingesetzt wird, ergab der Abgleich von Verordnungs- und Diagnosedaten Auffälligkeiten:

"Konzentriert, kreativ, immer perfekt?"

Für mehr als ein Viertel der erwerbstätigen DAK-Versicherten erfolgte die verordnete Therapie mit Methylphenidat ohne dokumentierte oder nicht bestimmungsgemässe Erkrankung. Ein ähnliches Ergebnis zeigt sich bei dem Narkolepsie-Medikament Modafinil sowie dem Antidepressivum Fuoxetin.

DAK-Vorstandschef Professor Herbert Rebscher warnte bei der Vorstellung des Gesundheitsreports davor, derartige Medikamente ohne medizinische Begründung einzunehmen, nur um seine Leistung zu steigern oder "besser drauf zu sein". "Konzentriert, kreativ, karrierebewusst: Der Wunsch, immer perfekt sein zu müssen, lässt sich auch durch Medikamente nicht erfüllen."

Lesen Sie dazu auch: DAK warnt vor "Doping im Büro"

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