Ärzte zwischen Protest und Politik: Das Debakel der Honorarreform ist auch ein Medienproblem

2,5 Milliarden Euro mehr Honorar, trotzdem klagen die Mediziner: Dieser Medien-Tenor der vergangenen Wochen bringt Ärzte in eine missliche Lage: Denn die Vergütungsreform ist auch ein Kommunikationsdesaster -  wie sollen sie darauf reagieren?

Florian StaeckVon Florian Staeck Veröffentlicht:
Mediziner als schärfster Ärztekritiker: Professor Karl Lauterbach als Talkshow-Gast in der Sendung "Hart aber fair" am 18. März.

Mediziner als schärfster Ärztekritiker: Professor Karl Lauterbach als Talkshow-Gast in der Sendung "Hart aber fair" am 18. März.

© Foto: ARD

"Wir brauchen die Politik", rief Medi-Chef Dr. Werner Baumgärtner dem pfeifenden Publikum entgegen und bat um Ruhe. Doch zunächst vergeblich: Die rund 10 000 Ärzte und Praxismitarbeiter ließen Landesminister Wolfgang Reinhart minutenlang nicht zu Wort kommen.

Die Szene anlässlich einer großen Demonstration am 11. März in der Stuttgarter Hanns-Martin-Schleyer-Halle war symptomatisch: Politiker sind für eine wachsende Zahl von Ärzten keine Ansprechpartner mehr. Die Gründe sind vielfältig. Ärzte beklagen mangelndes Verständnis für die Probleme der Niedergelassenen ebenso wie eine vorurteilsbesetzte Wahrnehmung von Medizinern. Motto: Ärzte jammerten auf hohem Niveau, während Deutschland eine nie gekannte Wirtschaftskrise erlebe.

Der "Medienliebling Arzt" ist abgestürzt, so der "Spiegel"

Auch in den Medien ernten Ärzte-Vertreter wachsenden Gegenwind. In der Talkshow "Hart aber fair" war kürzlich das Klischee bereits im Sendetitel eingebaut: "Wer stoppt Dr. Maßlos?". Der "Spiegel" konstatierte einen Trendwechsel in der Berichterstattung: "Der einstige deutsche Medienliebling Arzt ist abgestürzt." Doch "den" Arzt gibt es nicht: Die Reaktionen auf skeptische Politiker und unausgewogene Medienberichte fallen bei Ärzten stark unterschiedlich aus. Manche Arztgruppen ziehen sich aus dem politischen Diskurs ganz zurück, wollen das Sprechzimmer zur Politikbühne machen und direkt ihre Patienten ansprechen, um für ihre Interessen zu werben. Andere Verbände setzen gerade in schwierigen Zeiten auf die Politik -  in der Annahme, dass sich anders keine Verbesserungen erreichen lassen.

Wie heterogen die vermeintlich einheitliche "Lobbygruppe" der Niedergelassenen ist, zeigte sich einmal mehr vergangene Woche, als die öffentlichkeitswirksame Aktion einer Ärztegruppe in handfesten arztinternen Streit mündete: Eine Gruppe von Ärzten, die sich im Internet zusammengeschlossen hat, will mit einer Plakataktion gegen die SPD Stimmung machen: Mit der "Aktion 15" soll die SPD bei den Bundestagswahlen auf 15 Prozent gedrückt werden. "Wählen Sie, was sie wollen. Aber nicht SPD", heißt es auf einem im Internet verbreiteten Plakat. Darunter sind wenig vorteilhafte Abbildungen von Ulla Schmidt und Karl Lauterbach zu sehen. Allerdings lasse sich die Wartezimmeraktion auch "problemlos auf die Union ausdehnen", warnen die Initiatoren. "Niedergelassene Ärzte verdienen politisch gewollt so wenig, dass sie wirtschaftlich nicht überleben können", heißt es in dem Begleittext.

Die Aktion traf beim Deutschen Hausärzteverband einen Nerv. Verbandschef Ulrich Weigeldt rügte, mit den personalisierten Plakaten werde "um des Klamauks Willen dumpfer Populismus betrieben". Der Verband distanzierte sich davon, dass über "anonyme Internetforen" "handfester politischer Wahlkampf in die Praxen getragen werde. Dass sein bayerischer Hausarztkollege Dr. Wolfgang Hoppenthaller die Praxen sehr wohl zum Ort politischer Forderungen macht, unterschlägt Weigeldt dabei.

Politikfähig zu sein, ist nicht das Ziel aller Verbände.

Sein Schlüsselsatz: Es sei wichtig, "politisch handlungsfähig zu bleiben". Das habe zuletzt der Gesetzespassus zur hausarztzentrierten Versorgung gezeigt, der von SPD, Gesundheitsministerin Ulla Schmidt und der CSU unterstützt worden sei. Geht es dagegen nach der Freien Ärzteschaft, soll auch der Deutsche Ärztetag im Mai in Mainz zum Forum des Protests gegen die Politik werden. Der Verband forderte die Delegierten des Ärztetags "ultimativ" auf, die Tagesordnung zu ändern, damit aus einer "ansonsten zu befürchtenden Nabelschau des Präsidiums ein Fanal der Kampfbereitschaft gegenüber Ulla Schmidt (...) wird".

Verbände müssen Ventil für den Unmut schaffen

Die Sticheleien gegen Kammern oder den Ärztetag sind Beleg einer wachsenden Fliehkraft zwischen Ärztegruppen: Solchen, die das Wahljahr für lautstarke Opposition nutzen wollen und solchen Verbänden, die einen Spagat vollbringen müssen: Medi-Verbund und Hausärzteverband wollen - wie bei der Demonstration in Stuttgart - Ventile für den aufgestauten Unmut ihrer Mitglieder schaffen. Tags darauf müssen die Spitzenfunktionäre wieder politikfähig sein. Denn bei Verhandlungen um Einzelverträge sind Kompromisse gefragt - wie in der Politik auch.

Lesen Sie dazu auch: Richtige Medizin gegen gallige Medien entzweit Ärzte

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