Die unbekannte Größe: Medikamentensucht

BERLIN (af). Große Mengen verordnungspflichtiger Arzneimittel werden nicht wegen akuter Gesundheitsprobleme, sondern langfristig zur Vermeidung von Entzugserscheinungen verordnet. Diese Einschätzung vertritt die Deutsche Hauptstelle für Suchtfragen (DHS) in ihrem Jahrbuch 2011.

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Demnach besitzen vier bis fünf Prozent aller verordneten Arzneimittel ein eigenes Missbrauchs- und Abhängigkeitspotenzial. Gemeint sind vor allem Schlaf- und Beruhigungsmittel mit Wirkstoffen aus der Familie der Benzodiazepine, aber auch manche Schmerzmittel.

Nach Angaben der DHS sind bis zu 1,9 Millionen Menschen in Deutschland medikamentenabhängig. Die DHS ist ein selbstständiger Verein, der als Dachverband für 26 mit der Suchtbekämpfung befassten Organisationen fungiert. Das Gesundheitsministerium beteiligt sich an der Finanzierung der DHS.

Nach Angaben von IMS Health verkauften die Arzneimittelhersteller im Jahr 2009 in Deutschland insgesamt 28,1 Millionen Packungen Schlaf- und Beruhigungsmittel. Das waren zwei Prozent weniger als noch 2008. Damit setzten sie 119 Millionen Euro um. Die Apotheken wiederum kamen damit auf einen Umsatz von 200 Millionen Euro.

Die klassischen Benzodiazepine gingen 10,5 Millionen Mal über den Ladentisch. Das waren vier Prozent weniger als 2008. Auch damit setzten die Apotheker 200 Millionen Euro um.

Wissenschaftler wie der Bremer Gesundheitsökonom Gerd Glaeske gehen davon aus, dass mehr als eine Million Menschen in Deutschland von Benzodiazepinderivaten abhängig sind.

Allerdings halten Glaeske und seine Kollegen die Schätzungen aufgrund der Verordnungsdaten der Kassen für unscharf. Mehr und mehr abhängigkeitsinduzierende Mittel würden auch für gesetzlich Versicherte auf Privatrezept verordnet, da Ärzte damit der Verordnungstransparenz und möglichen Auffälligkeitsprüfungen entgehen wollten. Das Jahrbuch Sucht kommt zu dem Schluss: "Das Verordnungsgeschehen ist nicht mehr transparent."

Die DHS fordert daher Studien, an denen Ärzte und Apotheker teilnehmen sollten, um dieses Suchtproblem sichtbar zu machen.

Um das Risiko von Missbrauch und Abhängigkeit zu verringern, empfehlen Leitlinien zum Beispiel der Deutschen Gesellschaft für Neurologie, Benzodiazepine nur in niedrigen Dosen und höchstens über vier Wochen zu verordnen.

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