Polypharmazie

Bei Alten sind fünf Medikamente genug

Ärzte im Praxisnetz Neumünster nehmen die Medikation älterer Patienten genau unter die Lupe. Denn die Verordnungslisten älterer Patienten werden immer länger. Ziel des Projektes ist es, die Zahl der Medikamente pro Patient auf fünf zu begrenzen.

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NEUMÜNSTER (di). Ärzte des Medizinischen Praxisnetzes Neumünster (MPN) starten ein Projekt, das die Arzneibehandlung älterer und multimorbider Patienten verbessern soll. Ziel ist es, Erfahrungen zu Arzneimittelwirkungen, Geriatrie und Patientenpräferenzen in praxistaugliche Handlungsanweisungen zu überführen.

Im Zentrum des gemeinsam mit der Barmer GEK gestarteten Projekts steht die "Strukturierte Arzneimitteltherapie für multimorbide Senioren", abgekürzt SAMS.

Patienten werden nach Medikamenten einschließlich Selbstmedikation befragt

Von den Ärzten aus 20 Neumünsteraner Praxen wird erwartet, dass sie ihre älteren Patienten nach einem Algorithmus nach allen Medikamenten befragen, die sie einnehmen - inklusive Selbstmedikation und Verordnungen nach Klinikaufenthalten.

Dann sollen sie prüfen, welche Arzneimittel davon wirklich benötigt werden, welche Wechselwirkungen und Risiken bestehen und welche Medikamente eventuell verzichtbar oder zu ersetzen sind. Ziel ist es, die Zahl der Medikamente pro Patient auf fünf zu reduzieren.

Nach acht Wochen sollen daraus Handlungsempfehlungen abgeleitet werden. Dann soll eine Auswertung zeigen, ob sich das Konzept wie von der Ärztegenossenschaft erhofft in einen IV-Vertrag überführen lässt.

Praxisnetz Neumünster erhielt Zuschlag

Sechs Praxisnetze aus dem Norden hatten sich für das Projekt beworben. Den Zuschlag erhielt Neumünster, weil es nach Auskunft der Kasse die meisten der geforderten Kriterien erfüllte. Die Ärzte erhalten für ihre Arbeit eine Aufwandsentschädigung.

Dr. Svante Gehring von der Ärztegenossenschaft Nord setzt große Hoffnungen in das Projekt, für das die Vorarbeiten seit drei Jahren in Qualitätszirkeln und Ärztenetzen laufen. "Die Verordnungslisten unserer älteren Patienten sind immer länger geworden", sagte Gehring bei der Vorstellung des Projektes.

Der MPN-Vorsitzende Dr. Johannes Kandzora kündigte an, dass die beteiligten Ärzte ihre Patienten intensiv über das Projekt aufklären werden. Den Aufwand nimmt das MPN auf sich, damit der Hausarzt als Lotse gestärkt werde.

Ulrike Wortmann von der Barmer GEK verspricht sich hohen Nutzen, wenn mit dem Projekt die Compliance erhöht werden kann. Polypharmazie sei die Ursache für fünf Prozent der Klinikeinweisungen in der Inneren Medizin in Deutschland. Sie betonte: "Ärzte tragen daran keine Schuld."

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Kommentare
Dr. Walther J. Kirschner 17.08.201210:29 Uhr

Polypharmakotherapie - multimorbide ältere Patienten

Das grundsätzliche Problem ist bekannt, dennoch werden regelhaft Multimedikationen auch in den Fällen vorgenommen, in denen eine rationale Pharmakotherapie reduzierte Medikationen erlauben würde. Bei manchen Patienten werden mehr als 20 Medikamente bei ärztlichen Verordnungen längerfristig festgestellt.

Insofern ist die vorgestellte Iniative des dortigen Projekts, im Resultat Medikationen auf 5 Präparate zu begrenzen, sehr zu begrüßen. In diesem Zusammenhang wäre zu wünschen, daß ähnliche Projekte überregional multizentrisch initiiert werden. Von Vorteil wäre, von vorneherein ein valides Studiendesign zu erarbeiten, um nachfolgende Auswertungen auf seriöse wissenschaftliche Grundlagen zu stützen.

Zur Bewertung der Pharmaka: einige Parameter wurden benannt, manche fehlen: Prioritäten gemäß Qualität (bewährt?, Risiken u. Häufigkeiten der adversen Wirkungen?, nachweisliche Effektivität etc.). Hierbei ist immer primär von Interesse, klinisch-pharmakologische Fragen innerhalb ärztlicher Behandlungen zu beleuchten, nicht jedoch eher Labor bezogene pharmakologisch/pharmazeutische Fragen. Dabei wäre als Vorgehensweise hilfreich, einen Algorithmus interdisziplinär mit behandelnden Ärzten und mit Pharmakologen zu etablieren.

Kritikwürdig ist die Angabe, das Projekt werde angestrebt, "damit der Hausarzt als Lotse gestärkt werde". Dies entspricht primär berufspolitischen Interessen (Hausärzte), nicht jedoch primär ärztlichen Motiven und Pflichten. Zudem liegt hier ein fehlendes Verständnis dafür vor, daß die Problematik der Polypharmakotherapie (Multimedikation) alle ärztlichen Behandlungen am Patienten mitbeeinflußt und von allen behandelnden Ärzten zu berücksichtigen ist - nicht nur von Hausärzten. Dieses Fehlverständnis sollte korrigiert werden.

Dr. Walther J. Kirschner
FA Orthopädie, Spez. Schmerztherapie et al.

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