"Die KBV hat eine einmalige Chance genutzt"

Die Bescheide zu den Regelleistungsvolumen haben in Arztpraxen für erhebliche Unruhe gesorgt und Kritik an der KBV ausgelöst. Dr. Michael Späth, Vorsitzender der KV-Vertreterversammlung Hamburg, hält im Gespräch mit der "Ärzte Zeitung" die Bundesorganisation für den falschen Adressaten der Kritik.

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"Die Kritik der Praxisinhaber an der Honorarreform richtet sich an die falsche Adresse." Dr. Michael Späth Vositzender KV-Vertreterversammlung Hamburg

Ärzte Zeitung: Herr Dr. Späth, die ersten Ärzte demonstrieren gegen die Honorarreform und fordern Konsequenzen. Was hat die KBV-Spitze falsch gemacht?

Späth: Die Kritik der Praxisinhaber richtet sich an die falsche Adresse. Das ist ein typischer Fehler von uns Ärzten, bei Problemen immer zuerst auf die Kassenärztliche Bundesvereinigung zu zeigen. Die KBV hat eine einmalige Chance genutzt: Wir bekommen eine Euro-Gebührenordnung und die Budgets sind weg. Diesen Erfolg müssen wir einfahren, das wird uns nicht geschenkt. In der aktuellen Situation sehe ich das Risiko, dass wir mit unseren innerärztlichen Vorwürfen den erzielten Systemwechsel gefährden und dieser womöglich rückgängig gemacht wird.

Ärzte Zeitung: Ist der Unmut nicht verständlich? Viele Ärzte haben jetzt schwarz auf weiß, dass ihre Regelleistungsvolumen so gering ausfallen, dass die Praxisumsätze um bis zu 50 Prozent einbrechen.

Späth: Genau das muss erst einmal überprüft werden. Keiner kennt derzeit die Gründe für einige sehr stark unterschiedliche Fallwerte in den Regionen. Solange wir die Ursachen nicht kennen, können wir nicht reparieren. Wie in der täglichen Praxis sollte die Diagnose vor der Therapie stehen. Die Regelleistungsvolumen sind nicht mit dem Quartalsumsatz des Vorjahresquartals gleichzusetzen, zweitens rechnen nur wenige den Umsatz über externe Leistungen und qualifikationsgebundene Zusatzleistungen aus. Was das neue System wirklich für den Quartalsumsatz einer Praxis bedeutet, wissen wir erst in einem halben Jahr.

Ärzte Zeitung: Dann befürchten manche Praxisinhaber aber schon die Insolvenz. Haben Sie kein Verständnis für Praxisinhaber, die lieber jetzt die Notbremse ziehen und sich von Mitarbeitern trennen?

Späth: Ich habe vollstes Verständnis für jeden Arzt, der sich Sorgen macht und kann den Unmut verstehen. Aber wir sollten Ruhe bewahren und die Zahlen analysieren. Dann können wir die Verantwortlichen mit den Zahlen konfrontieren.

Ärzte Zeitung: Wer sind die Verantwortlichen nach Ihrer Ansicht?

Späth: Die Verantwortung trägt die Politik. Die hat eine hohe Erwartungshaltung bei den Ärzten ausgelöst und dann mit dem politisch festgelegten einheitlichen Beitragssatz von 15,5 Prozent den finanziellen Spielraum der Krankenkassen zu stark eingeengt. Um die Versprechen der Politik einzulösen wäre ein Beitragssatz von mindestens 15,8 Prozent notwendig gewesen.

Ärzte Zeitung: Stichwort Erwartungshaltung: Hat die KBV diese nicht unnötig geschürt, indem sie den Abschluss öffentlich als großen Erfolg verkauft hat?

Späth: Das ist er ja auch. Die Kollegen in den neuen Bundesländern sind überwiegend nicht unzufrieden. Aber wenn man der KBV überhaupt einen Vorwurf machen kann, dann diesen: Die Erwartungshaltung der Ärzte im Westen hätte von Beginn an stärker gedämpft werden müssen. Dennoch bleibt festzuhalten, dass insgesamt mehr Geld ins System fließt.

Ärzte Zeitung: Das in vielen Praxen offenbar nicht ankommt.

Späth: Das ist unser eigentliches Problem: neuer EBM plus neue Vergütungssystematik bedeutet Umverteilung, von West nach Ost, von Süd nach Nord, innerhalb der KVen und innerhalb der Fachgruppen. Wenn es 50 Prozent Verlierer geben sollte, gibt es auch 50 Prozent Gewinner. Eher mehr Gewinner, denn nach allen Berechnungen verliert keine KV gegenüber 2008 Geld. Im Gegenteil, fast alle legen zu, manche eben weniger als andere. Nur protestieren die Gewinner verständlicherweise nicht so laut wie die Verlierer. Jetzt müssen die KVen ihre Hausaufgaben machen und analysieren, wenn es zu nicht erklärlichen und nicht gewünschten Verwerfungen kommt. Und dann muss korrigiert werden.

Ärzte Zeitung: Die KVen beklagen doch gerade, dass ihnen kaum noch Handlungsspielräume bleiben.

Späth: Offenbar gibt es doch welche, etwa bei den Rückstellungen. Wir haben in Hamburg die Rückstellungen in der notwendigen Höhe, aber nicht darüber hinaus gebildet. Je höher die Rückstellungen, desto weniger Spielraum bleibt für die RLV. Ich bin optimistisch, dass wir in Hamburg unseren Punktwert von 4,8 Cent in Geld halten können. Der Protest rührt doch auch daher, dass wir mit dem Punktwert von 3,5 Cent wieder einen inflationären Preis für unsere Leistungen haben. Wir geben wieder 30 Prozent Zwangsrabatt. Deshalb muss unser gemeinsames Ziel 5,11 Cent lauten. Und dafür ist die Politik verantwortlich.

Ärzte Zeitung: Was können die KVen noch tun?

Späth: Sie müssen vor allem aufklären. Die KVen sind gefordert, das neue System transparent zu machen und den Ärzten, die Verluste befürchten, mit einer sauberen Analyse zu helfen.

Ärzte Zeitung: Keine leichte Aufgabe, wenn sich die Hälfte der Ärzte als Verlierer fühlt.

Späth: Da helfen nur Fakten und saubere Zahlen. Es fließt mehr Geld ins System, und das in fast jeder KV.

Wir müssen die Politiklüge korrigieren, dass wir 10 Prozent mehr bekommen. Da liegt das Problem. Denn jeder bezieht das auf das Jahr 2008. Selbst, wenn alles abgeholt wird, was möglich ist, kommen wir in den West-KVen gegenüber dem Vorjahr im Schnitt nur auf eine marginale Steigerung. Wir haben in den KVen jetzt trotz der nicht erfüllten Erwartungen die Aufgabe, den Ärzten zu erklären, dass die Abschaffung der Budgets und die Einführung der Euro-Gebührenordnung ein Riesenschritt ist. Damit haben wir erstmals die Instrumente, in den kommenden Jahren für Entwicklung von Morbidität, medizinischem Fortschritt und Demographie mehr Geld für unsere Kollegen einzufordern und können dies auch erhalten. Das dürfen wir nicht gefährden.

Das Gespräch führte Dirk Schnack

Zur Person

Dr. Michael Späth ist seit 2005 Vorsitzender der Vertreterversammlung. Zuvor gelang es ihm in acht Jahren als KV-Chef, die innerärztlichen Auseinandersetzungen in Hamburg zu beenden.

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