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Vorsorge für den Brexit – Ansturm auf das Aufenthalts-Zertifikat

Viele Gesundheitsfachkräfte aus EU-Ländern haben Großbritannien schon verlassen. Diejenigen, die bleiben wollen, versuchen das "Settled-Status"-Zertifikat zu erlangen. Die Regierung hat die Vorgaben dafür etwas gelockert, schreibt Arndt Striegler, unser Blogger in London.

Arndt StrieglerVon Arndt Striegler Veröffentlicht:
Korrespondent Arndt Striegler berichtet seit vielen Jahren aus Großbritannien für die Ärzte Zeitung.

Korrespondent Arndt Striegler berichtet seit vielen Jahren aus Großbritannien für die Ärzte Zeitung.

© privat

LONDON. Wieder ist eine Woche verstrichen, in der es keine wirklichen Fortschritte bei den Verhandlungen zwischen London und Brüssel gegeben hat. Unterdessen steht der Winter vor der Tür und mit ihm wird die Zahl der ein Krankenhausbett oder einen Termin beim Facharzt benötigenden Patienten in Großbritannien erfahrungsgemäß drastisch steigen.

Das ist immer so zu Beginn der kalten Jahreszeit. Und weil es weiter keine Ergebnisse im Brexit-Poker zwischen der EU und den Briten gibt, wird in den staatlichen britischen Kliniken schon bald der Teufel los sein. Auch das zeigen die Erfahrungen. Wartezeiten in den Notaufnahmen der Kliniken von bis zu zwölf Stunden, kranke Patienten in Notbetten auf den Fluren der Stationen und ein Mangel an Pflegekräften, wohin man schaut.

Denn seit dem Brexit-Votum im Juni 2016 verlassen qualifizierte Pflegekräfte aus EU-Ländern wie Polen, Spanien und Portugal das Land. Zu unsicher die Zukunft. Zu sehr die Angst vor einem "No deal"-Brexit und den Folgen für die mehr als drei Millionen EU-Bürger, die derzeit in Großbritannien leben und arbeiten.

Begehrtes Zertifikat

Apropos – ich habe mich in den vergangenen Tagen in Kliniken in London umgehört, wie die Stimmung ist. Dabei kam Interessantes zu Tage. Jene EU-Krankenschwestern und –pfleger, die hoffen, auch nach März 2019 weiter im Königreich arbeiten zu können, haben damit begonnen, sich um das zu kümmern, was die Briten "Permanent Residence" nennen. Dabei handelt es sich um ein Verfahren, an dessen Ende das Versprechen der Regierung May steht, auch nach dem EU-Austritt im Land bleiben zu dürfen.

Um das damit verbundene, begehrte "Settled Status"-Zertifikat zu erlangen, muss man zunächst beweisen, dass man die vergangenen fünf Jahre legal im Land war. Was zumindest ein Fortschritt ist im Vergleich zum alten Verfahren. Denn da wurde der Beweis verlangt, die Legalität seines Aufenthalts in Großbritannien seit der ersten Einreise zu erbringen. Was für viele EU-Bürger wie mich, der seit nunmehr 31 Jahren hier lebt, schlicht unmöglich war. Wer hebt schon Heizkostenabrechnungen oder Kontoauszüge, die als Adressennachweis verlangt wurden, über Jahrzehnte hin auf?

Wie dem auch sei – Großbritannien weiß, dass es ohne eine für beide Seiten befriedigende Lösung bei den drei Kernfragen Finanzen, Recht von EU-Bürgern und der Grenze zwischen Irland und Nord-Irland keine weiteren Verhandlungen über künftige Handelsbeziehungen geben wird.

Funktionieren die Erleichterungen?

Daher jetzt wohl auch die zaghaften Versuche, das Verfahren zum Aufenthaltsrecht nach dem Brexit zumindest etwas zu vereinfachen. Es bleibt abzuwarten, ob dies tatsächlich dazu führen wird, dass weniger Ärzte, Pflegepersonal und andere Berufsgruppen Großbritannien und den staatlichen Gesundheitsdienst (National Health Service, NHS) verlassen.

Schottland, das mehrheitlich gegen den Brexit votierte und das lieber in der EU bleiben würde, scheint die Zeichen der Zeit bereits erkannt zu haben. Es fällt auf, dass gerade das schottische Gesundheitswesen, welches eine gewisse Autonomie von der Londoner Zentralregierung genießt, in jüngster Zeit auffällig häufig gesundheitspolitische Alleingänge vorlegt.

Um zum Beispiel den Alkoholkonsum in Schottland zu drosseln, wird die Regierung in Edinburgh schon bald Mindestpreise für alkoholische Getränke – inklusive schottischen Whisky – festlegen. Gerade bestätigte das höchste britische Gericht, dass dies zulässig ist, nachdem der Herstellerverband schottischer Whisky-Produzenten geklagt hat.

Schotten schwimmen sich frei

Und schottische Politiker haben in den vergangenen Monaten mehrfach den direkten Kontakt mit Brüssel gesucht in der vagen Hoffnung, Brexit-bedingten Schaden von ihren Kliniken und Arztpraxen abwenden zu können. Denn das schottische Gesundheitswesen sitzt bei den negativen Folgen des EU-Austritts mit dem englischen NHS in einem Boot.

Immerhin hat die Regierung von Theresa May jüngst bekannt gegeben, dass das Unterhaus "auf jeden Fall" ein "finales Mitspracherecht" haben werde, sollte jemals ein konkretes Verhandlungsergebnis mit der EU auf dem Tisch liegen. Ob ein "No" des Parlaments den Brexit-Deal denn dann stoppen könne, wollte ein Unterhaus-Abgeordneter wissen. Die Antwort von Brexit-Chefverhandler David Davis lautete: "No!"

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