Krücken und Co. bereiten Kasse Sorgenfalten

Heil- und Hilfsmittel kosten die gesetzliche Krankenversicherung immer mehr Geld. Die Barmer GEK will das nicht weiter hinnehmen und fordert deshalb Nutzenbeweise à la AMNOG.

Anno FrickeVon Anno Fricke Veröffentlicht:
Die Kosten für Krücken oder anderen Heil- und Hilfsmittel steigen schneller als die Gesamtausgaben der Kassen.

Die Kosten für Krücken oder anderen Heil- und Hilfsmittel steigen schneller als die Gesamtausgaben der Kassen.

© begsteiger / imago

BERLIN. Kompressionsstrümpfe statt "Strippenziehen" bei Venenerkrankungen, mehr Beckenbodentraining statt Operationen bei Harninkontinenz, mehr Physiotherapie statt Endoprothesen: Barmer GEK-Vize Dr. Rolf-Ulrich Schlenker fordert von Ärzten, bei der Verordnung von Heil- und Hilfsmitteln umzudenken.

Häufig würden Heil- und Hilfsmittel zu spät eingesetzt, sagte Schlenker bei der Vorstellung des Barmer GEK Heil- und Hilfsmittelreports 2011 am Mittwoch in Berlin.

Das aber könne Medikamentengaben, chirurgische Eingriffe und Krankenhausaufenthalte vermeiden.

Die Ausgaben für Logopädie und Einlagen wachsen rasch

Die Mahnungen aus der Vorstandsetage der größten Krankenkasse Deutschlands haben einen knallharten wirtschaftlichen Hintergrund. Die Kosten für Heil- und Hilfsmittel steigen schneller als die Gesamtausgaben.

10,5 Milliarden Euro haben die Kassen im vergangenen Jahr für Ergotherapie, Physiotherapie, Logopädie, Podologie, Einlagen, Gehhilfen, Brillen und mehr ausgegeben. Das waren sieben Prozent mehr als noch im Jahr 2009.

Zum Vergleich: Steigen die Ausgaben für diesen Leistungsbereich im gleichen Umfang weiter, überholen sie im kommenden Jahr die Ausgaben für die zahnärztlichen Behandlungen und den Zahnersatz, für die die Kassen 2010 rund 11,4 Milliarden aufwendeten.

Geld nicht immer sinnvoll ausgegeben

Ob das Geld immer sinnvoll ausgegeben wird, zweifelt Schlenker an. Es gebe kaum einen Bereich im Gesundheitswesen, in dem die Schere zwischen ökonomischer Dynamik und medizinischer Evidenz so weit auseinander klaffe.

Zwischen 2004 und 2010 verzeichnet das Bremer Zentrum für Sozialpolitik einen Anstieg der Heilmittelausgaben um 26,4 Prozent und der Hilfsmittelausgaben um 14,7 Prozent.

"Die demografische Entwicklung und technische Innovationen treiben die Ausgaben in beiden GKV-Segmenten kontinuierlich nach oben", warnt der Autor des Reports, Zentrumsleiter Professor Gerd Glaeske.

Nutzen mancher Anwendungen zweifelhaft

Dabei sei der Nutzen mancher Anwendungen zweifelhaft. Glaeske plädierte dafür, den Heilmittelkatalog nach Evidenzkriterien neu aufzustellen. Darin fände sich mancher "Unsinn", zum Beispiel die Wärme-Kälte-Therapie als Schlaganfallbehandlung.

Der Blick aufs Detail offenbart, dass nicht nur die Alterung der Gesellschaft die Kosten treibt, sondern auch die Schwäche der Sozialpolitik. Die am stärksten wachsenden Einzelposten bei Heilmitteln sind die Ausgaben für Ergotherapie und Logopädie.

"Heilung der Kindheit"

Für Rolf-Ulrich Schlenker zeichnet sich hier ein Trend zur "Heilung der Kindheit" ab. Die gesetzliche Krankenversicherung dürfe nicht als therapeutische Kompensation für erzieherische Defizite herhalten, sagte Schlenker.

Eltern, überforderte Erzieher, ambitionierte Ergotherapeuten und allzu dienstfertige Ärzte gingen damit eine unheilige Allianz ein.

Ärzte im Osten verschreiben deutlich mehr Heilmittel

Aus den Zahlen der Barmer GEK geht hervor, dass die Verschreibungspraxis, die Angebotsstruktur von Heilmitteln und die Inanspruchnahme der Ergotherapeuten, Logopäden, Physiotherapeuten und Podologen regional unterschiedlich ausfällt.

In Sachsen, Sachsen-Anhalt und Mecklenburg-Vorpommern verschreiben die Ärzte deutlich mehr dieser Therapien als in Bremen, Hamburg, Nordrhein-Westfalenn und dem Saarland.

Während die Barmer GEK in Sachsen je 100 Versicherten rund 8300 Euro dafür ausgibt, sind es in Baden-Württemberg bei einer vergleichbaren Arztdichte lediglich 5800 Euro.

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