„Fairer-Kassenwettbewerb-Gesetz“

Spahns Kassenreform im Vorstände-Check

Mit dem „Fairer-Kassenwettbewerb-Gesetz“ will Minister Spahn einen gerechteren Wettbewerb unter den Kassen anfachen. Wir haben vier Kassenvorstände befragt, was sie vom Gesetzentwurf halten.

Anno FrickeVon Anno Fricke und Thomas HommelThomas Hommel Veröffentlicht:
Das GKV-FKG soll sowohl den Finanzausgleich als auch das Organisations- und Wettbewerbsrecht der Krankenkassen neu ordnen.

Das GKV-FKG soll sowohl den Finanzausgleich als auch das Organisations- und Wettbewerbsrecht der Krankenkassen neu ordnen.

© Harald Tittel / dpa

Berlin. Der Umbau des morbiditätsorientierten Risikostrukturausgleichs (Morbi-RSA) ist der dicke Zankapfel unter den Krankenkassen.

In Kürze geht der entsprechende Kabinettsentwurf für das „Fairer-Kassenwettbewerb-Gesetz“ ins parlamentarische Federlesen. Außer dem Finanzausgleich dreht sich die Reform um die Kassenaufsicht durch Bundesversicherungsamt (BVA) und Länder sowie um neue Strukturen im GKV-Spitzenverband.

Wo sollte nachgebessert werden? Die „Ärzte Zeitung“ fragte bei vier Kassenverbänden nach.

Ulrike Elsner, Vorstandschefin des Verbandes der Ersatzkassen (vdek), Jens Martin Hoyer, Vorstandsvize des AOK-Bundesverbandes, Franz Knieps, Vorstandsvorsitzender des BKK Dachverbandes und Jürgen Hohnl, Geschäftsführer des IKK e.V., beantworteten die nachfolgenden Fragen zu den Stichwörtern Kassenaufsicht, Regionalkomponente, Manipulationsresistenz und Korrekturbedarf:

Ulrike Elsner, Vorstandschefin des Verbandes der Ersatzkassen (vdek): Leider nein. Da haben die Bundesländer nicht mitgemacht. Dennoch sind die Ausweitung der RSA- Prüfkompetenzen des BVA, die Stärkung der Aufsichtsbehördentagungen und das Transparenzregister richtige Schritte. Was fehlt, sind Konsequenzen, wenn Beschlüsse der Aufsichtsbehördentagung nicht eingehalten werden.

Jens Martin Hoyer, Vorstandsvize des AOK-Bundesverbandes: Nein. Der jetzt erkennbare Ansatz zielt nicht mehr darauf ab, einheitliches Aufsichtshandeln durch die Alleinzuständigkeit des BVA durchzusetzen. Stattdessen werden Regeln zur strukturierten und kooperativen Zusammenarbeit der Aufsichten weiterentwickelt. Das ist aus unserer Sicht auch sinnvoll. Denn es geht nicht um eine zentrale Aufsichtsbehörde in Bonn, sondern um eine einheitliche, konsistente Aufsichtspraxis für alle Kassen.

Franz Knieps, Vorstandsvorsitzender des BKK Dachverbandes: Die neuen Regelungen eröffnen keine Hintertür für eine „einheitliche Aufsicht“. Sie verlangen mehr Kompetenz und Koordination zwischen Bund und Ländern. Sie verschaffen dem BVA zudem die von uns geforderten Möglichkeiten für ausgeweitete Prüftätigkeiten. Vertragsregister und gegenseitige Unterrichtsverpflichtungen zwischen Bundes- und Landesaufsicht bringen hoffentlich mehr Transparenz über die Genehmigungspraxis.

Jürgen Hohnl, Geschäftsführer des IKK e.V.: Nein. Auch wenn das Bemühen erkennbar ist, hier zu mehr Einheitlichkeit und Transparenz zu kommen, werden sich die Regelungen in ihrer Wirkung noch beweisen müssen. Es bleibt abzuwarten, ob sich über die Konkretisierung des Erfahrungs- und Meinungsaustauschs der Behörden tatsächlich ein einheitliches Aufsichtshandeln, wie von uns gefordert, erreichen lässt. Eigenständige Prüfrechte des BVA gehen aber in die richtige Richtung.

Ulrike Elsner, Vorstandschefin des Verbandes der Ersatzkassen (vdek): Die Kosten für die Versorgung sind regional sehr unterschiedlich. Der jetzige Morbi-RSA berücksichtigt das aber nicht. Ergebnis ist, dass Kassen in manchen Regionen deutlich weniger erhalten als sie für Versorgung bräuchten, in anderen zu viel. Der Unterschied liegt bei bis zu 600 Euro je Versicherten und Jahr! Durch die Regionalkomponente werden zunächst 75 Prozent dieser Differenzen ausgeglichen. Das ist ein guter erster Schritt.

Jens Martin Hoyer, Vorstandsvize des AOK-Bundesverbandes: Nein. Das gewählte Verfahren zur Umsetzung einer Regionalkomponente entspricht einer statistischen Wolke und führt zu nicht nachvollziehbaren Ergebnissen. Zudem wirkt es wie ein Ist-Kosten-Ausgleich und widerspricht damit der bewährten Systematik des RSA. Vor allem aber schwächt die Regionalkomponente Versorgung auf dem Land und zementiert Überversorgung in Ballungsgebieten. Sie wirkt faktisch wie ein Metropolzuschlag.

Franz Knieps, Vorstandsvorsitzender des BKK Dachverbandes: Der Beirat beim BVA hat belegt, dass es im Morbi-RSA auch zu Wettbewerbsverzerrungen kommt, da regionale Strukturen nicht berücksichtigt sind. Kassen mit vielen Versicherten in überversorgten Regionen sind entsprechend benachteiligt, Kassen mit vorwiegend Versicherten in günstigeren Regionen bevorteilt. Da Kassen nur bedingt auf Versorgungsstrukturen einwirken können, man denke an die Kliniklandschaft, ist das richtig.

Jürgen Hohnl, Geschäftsführer des IKK e.V.: Wir begrüßen die Einführung einer Regionalkomponente. In erster Linie geht es darum, die Finanzmittel dahin zu steuern wo sie für die Versorgung gebraucht werden. Der RSA ist insofern kein Instrument zur Versorgungsgestaltung. Die Regionalkomponente verhindert im Übrigen nicht, dass Investitionen in strukturschwachen Regionen möglich sind.

Ulrike Elsner, Vorstandschefin des Verbandes der Ersatzkassen (vdek): Leider hat die Vergangenheit gezeigt, dass gerade für RSA-Diagnosen besondere Verträge abgeschlossen wurden. Bei dem jetzt angedachten Krankheitsvollmodell gibt es neue Anreize, Diagnosen zu honorieren und damit als RSA-relevant zu generieren. Das Verbot ist daher konsequent. Es muss aber auch von allen Aufsichtsbehörden durchgesetzt werden.

Jens Martin Hoyer, Vorstandsvize des AOK-Bundesverbandes: Nein. Hier schießt die Regierung über das von allen akzeptierte Ziel hinaus, die Manipulationsresistenz des Morbi-RSA zu stärken. Intelligente Versorgungsverträge entfalten ihre positive Wirkung dadurch, indem sie konkret Bezug nehmen auf spezielle Patientengruppen, die durch spezifische Diagnosen definiert sind. Andere Länder beneiden uns um die hervorragenden Haus- und Facharztprogramme, die wir mit Ärzten realisiert haben.

Franz Knieps, Vorstandsvorsitzender des BKK Dachverbandes: Wir halten das nicht nur für eine sinnvolle, sondern für eine hochnotwendige und zentrale Regelung – gerade mit Blick auf die geplante Einführung des Vollmodells. Nur so können Manipulationen der Vergangenheit angehören. Das bereits laut werdende Klagen, damit seien Hausarzt- und andere Versorgungsverträge gefährdet, ist natürlich übertrieben. Für sie ist sogar eine Ausnahme formuliert und weiterhin Diagnose-Verknüpfung erlaubt.

Jürgen Hohnl, Geschäftsführer des IKK e.V.: Die Entkoppelung von Vergütung und Diagnoseerstellung ist bereits im Gesetz zur Stärkung der Heil- und Hilfsmittelversorgung vorgesehen. Zuweisungen aus dem RSA für ein Up-Coding sind nicht mit dem Ziel einer zweckmäßigen, wirtschaftlichen Versorgung zu vereinbaren. Angesichts möglicher Umgehungsstrategien ist die geplante Regelung eine sinnvolle Klarstellung und ein Baustein zur Stärkung der Manipulationsresistenz.

Ulrike Elsner, Vorstandschefin des Verbandes der Ersatzkassen (vdek): Beim Thema einheitliches Aufsichtshandeln muss der Gesetzgeber noch nachbessern: Die Aufsichtsbehördentagung sollte verbindliche einheitliche Regelungen für das Handeln von BVA und Landesaufsichten festlegen können. Auch die Ausgestaltung und Aufgabenzuweisungen an den Lenkungs- und Koordinierungsausschuss im GKV-Spitzenverband sollten noch überarbeitet werden.

Jens Martin Hoyer, Vorstandsvize des AOK-Bundesverbandes: Maßgeblich ist, inwiefern der Morbi-RSA noch zielgenauer wird und Anreize zur Benachteiligung bestimmter Versichertengruppen weiter abgebaut werden können, dies unter Wahrung der Wirtschaftlichkeit und Versorgungsneutralität. Die vorgesehenen Änderungen entsprechen nur teilweise diesem Ziel. Hier haken wir nach. Kritisch sehen wir auch weitreichende Änderungen im Haftungssystem, im Wettbewerbs- und Organisationsrecht sowie bezüglich der Strukturen des GKV-Spitzenverbands.

Franz Knieps, Vorstandsvorsitzender des BKK Dachverbandes: Das Gesamtpaket darf nicht wieder aufgeschnürt werden. Natürlich könnten wir anfangen, an Einzelaspekten, die für die BKK nachteilig sind, zu kritisieren. Da dem Minister aber in diesem nicht einfachen Thema ein ausgewogener Ansatz gelungen ist, werden wir das nicht tun. Nicht ausgegoren sind die Regelungen zu den Gremien beim GKV-Spitzenverband. Da werden wir auf Nachbesserungen drängen.

Jürgen Hohnl, Geschäftsführer des IKK e.V.: Regelungen zur Governance-Struktur des GKV-Spitzenverbands sollten kritisch reflektiert werden. Obwohl wir positiv bewerten, dass an der Besetzung des Verwaltungsrats mit ehrenamtlichen Delegierten festgehalten wird, kommt es zu Kompetenzeinschränkungen von Verwaltungsrat und Vorstand. Damit würden Handlungs- und Entscheidungsfähigkeit der sozialen und gemeinsamen Selbstverwaltung gemindert.

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