Thüringen

ÖGD im Krisenmodus

Im Unstrut-Hainich-Kreis arbeitet der Gesundheitsfachdienst derzeit ohne Humanmediziner. Grund: aktuter Ärztenotstand.

Von Katrin Zeiß Veröffentlicht:
Akuter Notstand in Thüringen: Im Unstrut-Hainich-Kreis fehlt es im öffentlichen Gesundheitsdienst an Ärzten. Der einzige Mediziner derzeit: ein Zahnarzt.

Akuter Notstand in Thüringen: Im Unstrut-Hainich-Kreis fehlt es im öffentlichen Gesundheitsdienst an Ärzten. Der einzige Mediziner derzeit: ein Zahnarzt.

© SP-PIC / stock.adobe.com

ERFURT. Externe Ärzte für Schuluntersuchungen oder Gutachten in Betreuungsverfahren, feste Vertragsärzte oder andere Gesundheitsämter für den Beamten-Gesundheitscheck – der öffentliche Gesundheitsdienst des nordthüringischen Unstrut-Hainich-Kreises arbeitet seit Wochen im Krisenmodus. Grund: akuter Ärztenotstand.

Die zwei verbliebenen Humanmediziner haben gegen Ende des vergangenen Jahres aufgehört, Nachfolger sind bisher nicht in Sicht. Der einzige noch vorhandene approbierte Mediziner ist ein Zahnarzt.

Der ländlich geprägte Kreis mit der Kreisstadt Mühlhausen gut eine Autostunde nordwestlich der Landeshauptstadt Erfurt ist ein extremes Beispiel für die Schwierigkeiten vieler Gesundheitsämter nicht nur in Thüringen, Mediziner zu finden. Die Rückkehr in den Regelbetrieb ist im Unstrut-Hainich-Kreis derzeit nicht absehbar, die Website der Kreisverwaltung listet drei Stellenanzeigen für Ärzte im Fachdienst Gesundheit auf, darunter die des Amtsleiters.

„Aus eigener Kraft können wir derzeit nicht 100 Prozent unserer Aufgaben absichern“, sagt Sören Lamm, ein Jurist, der derzeit den Fachdienst Gesundheit leitet. Pflichtaufgaben wie etwa die Schuluntersuchungen müssten aber trotzdem gewährleistet werden.

Externe Ärzte erhalten "Routinegeschäft"

Deshalb hat sich Lamm die Unterstützung externer Ärzte gesichert. „Wir haben drei Fachärzte im Ruhestand gebunden, darunter zwei Kinderärzte, die die Untersuchungen von Schul- und Vorschulkindern übernehmen. Das läuft sehr gut.“

Ähnlich läuft es bei Betreuungsverfahren im sozialpsychiatrischen Dienst. Die notwendigen Gutachten, die für die richterliche Entscheidung über eine Betreuung für gesundheitlich in ihrer Selbstständigkeit beeinträchtigte oder drogenabhängige Menschen nötig sind, schreibt ebenfalls ein externer Arzt.

Auch für die Rufbereitschaft in akuten Fällen habe man einen Unterstützerarzt gewonnen. Beamtenuntersuchungen für Polizisten oder Lehrer übernehmen fest gebundene Vertragsärzte oder Gesundheitsämter anderer Thüringer Kommunen. Das Routinegeschäft läuft also auch im Krisenmodus.

Doch was, wenn es zu einem größeren Ausbruch meldepflichtiger Krankheiten kommt, bei denen nach der Infektionsquelle gefahndet, Erkrankte behandelt, ihr Umfeld isoliert und weitere Ansteckungen verhindert werden müssen? „Bis zu einem gewissen Grad könnten wir damit umgehen“, meint Lamm. „Umfelduntersuchungen, Gespräche mit Angehörigen oder Schulen wären auch durch nichtärztliches Personal möglich.“

Personalnot in Thüringen ist kein neues Phänomen

Sollte ein größerer Infektionsausbruch nicht mehr zu managen sein, werde die zuständige Aufsichtsbehörde, das Thüringer Landesverwaltungsamt, informiert. Das müsse dann akut helfen.

Die Personalnöte in Thüringens Gesundheitsämtern sind kein neues Phänomen. Als Hauptgrund dafür gilt die Gehaltsdifferenz zu Ärzte-Stellen etwa in Kliniken. Die rot-rot-grüne Landesregierung hat deshalb vor zwei Jahren die Möglichkeit von Gehaltszuschüssen für Amtsärzte eingeführt, um die Differenz auszugleichen.

Die Zulage von bis zu 1000 Euro sollen sich Land und Kommunen teilen. In diesem Jahr haben nach Angaben des Sozialministeriums acht der 17 Landkreise und vier der sechs kreisfreien Städte die Hilfe zur Aufstockung der Gehälter von insgesamt 41 Ärzten in den kommunalen Gesundheitsämtern beantragt. Seit 2017 seien durch die Zulage sechs Ärzte für Neueinstellungen in den Gesundheitsämtern gewonnen worden. Der Unstrut-Hainich-Kreis war nicht darunter.

Der dortige Fachdienstleiter Sören Lamm kann sich zur Linderung des Ärztemangels deshalb auch Strukturänderungen im ÖGD wie Zweckverbände oder die Übertragung von Aufgaben an private Dienstleister vorstellen – was der Berufsverband der ÖGD-Ärzte in Thüringen wiederum nicht so gut findet. Auch der SPD-Landtagsabgeordnete Thomas Hartung plädiert dafür, die Strukturen und Aufgaben der Gesundheitsbehörden auf den Prüfstand zu stellen.

„Wir müssen schauen, für welche Aufgaben dort wirklich zwingend Humanmediziner nötig sind und was nichtärztliches Personal übernehmen kann“, sagt der Politiker. „Vielleicht stellt sich dann ja heraus, dass wir gar nicht so viele Amtsärzte benötigen.“

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