Gastbeitrag

Das ehrenamtliche Engagement ist gefragt

Viele Menschen würden sich gerne in der Pflege engagieren. Was fehlt, sind dezentrale Strukturen.

Von Fritz Beske Veröffentlicht:
Gemeinsame Lektüre: Bis zu 15 000 Betreuungskräfte können die Pflegeheime für motivierende Aktivitäten wie das Lesen einstellen.

Gemeinsame Lektüre: Bis zu 15 000 Betreuungskräfte können die Pflegeheime für motivierende Aktivitäten wie das Lesen einstellen.

© Foto: Deutsche Hospiz Stiftung

Nichts spricht dagegen, die Betreuung in Pflegeheimen zu verbessern, im Gegenteil. Pflegeheimbewohner brauchen vielfältige Hilfen, darunter auch die Demenzkranken. Und doch geht die Diskussion in die falsche Richtung. Wieder einmal wird zentral geplant und zentral entschieden.

Nach den Vorstellungen der großen Koalition sollen im Rahmen des Pflege-Weiterentwicklungsgesetzes 10 000 bis 15 000 Pflegehelfer in Heimen zur Betreuung von Pflegebedürftigen eingesetzt werden, wobei vorwiegend an Demenzkranke gedacht ist, die betreut und aktiviert werden sollen. Vom Spitzenverband der Krankenkassen, der Qualifizierungsrichtlinien erarbeitet hat, werden als Aufgabe der Helfer die Motivierung, Betreuung und Begleitung im Alltag genannt.

Betreuungskräfte sind durch die Reform nicht finanziert

Vorgesehen sind Aktivitäten wie Malen, Basteln, Lesen oder Vorlesen, Haustiere füttern, Musik hören oder spielen, Spaziergänge und Ausflüge, Bewegungsübungen oder der Besuch von Gottesdiensten und Friedhöfen. Alles Tätigkeiten, die auch von ehrenamtlichen Helfern geleistet werden können. Die Kosten in Höhe von rund 300 Millionen Euro jährlich werden den Pflegekassen aufgebürdet: ein Scheck, der durch die am 1. Juli dieses Jahres in Kraft getretene Pflegebeitragssatzerhöhung von 0,25 Prozentpunkten nicht gedeckt ist.

Die Maßnahme ist umstritten. Fachverbände, so der Deutsche Pflegerat, melden Bedenken an. Davon unabhängig jedoch stellt sich die Frage, ob mit der in ihren Entscheidungen zentral ausgerichteten sozialen Pflegeversicherung die Weichen richtig gestellt sind. Bis 2050 wird die Zahl der zu Pflegenden von über zwei Millionen in diesem Jahr auf über vier Millionen steigen, die Zahl der Pflegeheimbewohner von rund 630 000 auf 1,6 Millionen und die Zahl der Demenzkranken von 1,1 auf 2,1 Millionen. 2050 kommt auf einen Berufstätigen ein Ruheständler. Es ist nicht vorstellbar, wie nach dem heutigen Konzept so die Versorgung von Pflegebedürftigen sichergestellt werden kann.

Kommunen und Heime brauchen mehr Spielraum

Mit der abnehmenden Zahl von Berufstätigen nimmt die Zahl nicht mehr Berufstätiger zu - bei steigender Lebenserwartung in vielen Fällen von Personen, die zwar nicht mehr im Arbeitsleben stehen, aber noch einsatzfähig sind und ein großes Potenzial an ehrenamtlichen Helfern darstellen. Viele Ältere mit großer Lebenserfahrung sind in der Lage und auch bereit, ehrenamtlich tätig zu sein. Sie müssen jedoch angesprochen, motiviert und gegebenenfalls auch qualifiziert werden.

Dies geht nur dezentral - in der Gemeinde, der Nachbarschaft. Erforderlich ist hierzu eine Umleitung der Finanzströme in der Pflegeversicherung. Die Finanzmittel müssen primär den Pflegebedürftigen selbst, den Pflegeheimen und den Kommunen zur Verfügung stehen. Es muss örtlich gehandelt werden können, orientiert an unterschiedlichen Situationen und Anforderungen. Damit könnte auch eine Reduktion der Dokumentationsflut verbunden sein mit doppelter Kontrolle von Kassen und Heimaufsicht. Heute sind qualifizierte Pflegekräfte während 40 Prozent ihrer Arbeitszeit mit der Pflegedokumentation beschäftigt. Zeit, die sinnvoller für die originären Aufgaben von Pflegekräften eingesetzt werden sollte: der Pflege von Patienten.

Die Bereitschaft, in der Kommune für pflegebedürftige Gemeindemitglieder, in der Nachbarschaft für Nachbarn zu sorgen, ist groß. Was fehlt, ist das Vertrauen in die Gestaltungsfähigkeiten im kommunalen Bereich. Benötigt wird ein Konzept, dass Abschied nimmt von der Vorstellung, dass nur zentral entschieden werden kann, was unsere Bevölkerung braucht. Vielfalt ist die Lösung, nicht Einheitlichkeit. Dies erfordert allerdings den Mut zum Unterschied. Und es erfordert eine Kultur von Ehrenamtlichkeit und freiwilliger Hilfe im kommunalen Bereich.

Professor Fritz Beske

Professor Dr. med. Fritz Beske leitet das Institut für Gesundheits-System-Forschung in Kiel. Seine beruflichen Stationen führten ihn ins Kieler Innenministerium, zur Weltgesundheitsorganisation und in das schleswig-holsteinische Sozialministerium. In diesem Frühjahr ist er mit der Paracelsus-Medaille ausgezeichnet worden.

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