Psychotherapeutengesetz

Nach 20 Jahren eine „fast normale Fachgruppe in der KV“

Bei einer Jubiläumsfeier anlässlich von 20 Jahren Psychotherapeutengesetz überwogen die Dur-Töne: Der direkte Zugang der Patienten zu Therapeuten ist ein Fortschritt. Doch lange Wartezeiten wegen fehlender Sitze treiben den Berufsverband weiterhin um.

Ilse SchlingensiepenVon Ilse Schlingensiepen Veröffentlicht:
Psychische Erkrankungen haben ein Stück Normalisierung erfahren: Barbara Lubisch.

Psychische Erkrankungen haben ein Stück Normalisierung erfahren: Barbara Lubisch.

© DPtV

Die psychologischen Psychotherapeuten sind im KV-System angekommen. 20 Jahre nach Inkrafttreten des Psychotherapeuten-Gesetzes wissen sie die Vorteile der Integration in die Körperschaft und in das System der gesetzlichen Krankenversicherung zu schätzen. Gleichzeitig stoßen die Psychotherapeuten wie ihre ärztlichen Kollegen schmerzhaft an die Grenzen des Systems.

Viele Ärzte hätten sich zunächst mit der Aufnahme der Berufsgruppe in die KV schwergetan, sagte der Vorsitzende der KV Westfalen-Lippe (KVWL), Dr. Gerhard Nordmann, anlässlich der Jubiläumsfeier „20 Jahre Psychotherapeutengesetz“ in Dortmund. „Das ist heute kein Thema mehr“, betonte er.

Durch das Gesetz habe sich die Versorgung verbessert: Der Zugang sei für die Patienten einfacher geworden, gleichzeitig sei die Qualität der psychotherapeutischen Versorgung vereinheitlicht und angehoben worden. Die Nachfrage der Patienten nach psychotherapeutischen Leistungen sei ungebrochen, ebenso wie der Drang der Therapeuten, die ins System wollen.

Anders als die Ärzte hätten die Psychotherapeuten keine Nachwuchsprobleme, betonte der KVWL-Chef. „Wenn ein Sitz frei wird, haben wir meist ein Dutzend Bewerber.“

800 Therapeuten gaben halben Sitz ab

Die Zahl der zugelassenen Therapeuten hat sich in Westfalen-Lippe von 981 auf heute 2520 erhöht. Von ihnen sind 1839 Vollzeit tätig. Da sie in der Einzelpraxis den vollen Versorgungsauftrag von 46.000 Minuten (780 Stunden) pro Quartal nicht erfüllen konnten, haben rund 800 Therapeuten einen halben Sitz abgegeben.

Die Deutsche Psychotherapeuten Vereinigung (DPtV) habe für diese Maßnahme geworben, sagte die Bundesvorsitzende Barbara Lubisch. „Das ist der Versorgung zugutegekommen.“ Das den Patienten zur Verfügung stehende Leistungsangebot habe sich vergrößert.

Den direkten Zugang der Patienten zu Psychotherapeuten bezeichnete Lubisch als enormen Fortschritt. „Das hat dazu beigetragen, dass die Nachfrage gestiegen ist und psychische Krankheiten ein Stück Normalisierung erfahren haben.“ Das Dilemma der Psychotherapeuten sei, dass sie der Nachfrage der Patienten nicht im ausreichenden Maß nachkommen können.

Bedarfsplanung – eine Dauerbaustelle

Die Versorgung leide nach wie vor unter der Hypothek, dass für die erstmalige Bedarfsplanung nicht alle Psychotherapeuten mitgezählt wurden, sondern nur diejenigen, die nach dem Delegationsverfahren tätig gewesen waren und sofort eine Kassenzulassung erhalten hatten. Die Bedarfsplanung sei eine „Dauerbaustelle“, sagte Lubisch. Denn obwohl im Jahr 2018 ein unabhängiges Gutachten die Notwendigkeit von 2400 zusätzlichen Plätzen für psychologische und ärztliche sowie Kinder- und Jugendlichenpsychotherapeuten belegt habe, habe der Gemeinsame Bundesausschuss nur 776 Sitze beschlossen. „Wir können damit nicht zufrieden sein.“ Lange Wartezeiten seien unvermeidbar.

Das Grundproblem sei die Vorgabe der Kassen, dass die Integration der Psychotherapeuten kostenneutral erfolgen musste, erläuterte Manfred Radau, Vorsitzender des Beratenden Fachausschusses Psychotherapie bei der KVWL und stellvertretender Vorsitzender der DPtV in Westfalen-Lippe. „Der Behandlungsbedarf ist nie empirisch ermittelt worden.“ Die Zahl der Sitze hinke dem steigenden Bedarf immer weiter hinterher. „Unsere Forderung: Stellt ausreichend Therapieplätze zur Verfügung, schafft neue Psychotherapeuten-Sitze.“

Honorarschere im Vergleich zu Ärzten geht auf

Radau begrüßte, dass es der KVWL im Sauerland gelungen sei, die Bedarfsplanung sehr kleinräumig auszulegen. Auf diesem Weg hätten Sitze in besonders unterversorgten Regionen besetzt werden können. „Eine kleinräumige Verteilungsplanung wünschen wir uns auch bei der Ausschreibung neuer Versorgungsaufträge in Westfalen-Lippe.“

Ein Thema, das Radau besonders zu schaffen macht, ist das Honorar. Bis heute komme es „zu teilweise existenzbedrohenden und dramatischen Mängeln in der Vergütung psychotherapeutischer Leistungen“ durch die Kassen. Auch 20 Jahre nach der Integration in die KVen seien die psychologischen Psychotherapeuten die mit Abstand am schlechtesten vergütete Fachgruppe.

„Die Schere zu den Ärzten klafft immer ein bisschen weiter auseinander“, beklagte Radau. Die Situation wäre sogar noch schlechter, wenn die Psychotherapeuten nicht gelernt hätten, gegen jeden Honorarbescheid Widerspruch einzulegen.

Als weitere Baustellen nannte die DPtV-Vorsitzende Lubisch die Weiterentwicklung der Psychotherapie-Richtlinie und die Reform der Aus- und Weiterbildung. „Wir sind auf dem besten Weg, eine ganz normale Fachgruppe in der KV zu sein mit bestimmten Schwierigkeiten wie jede Fachgruppe.“

Mehr zum Thema

Psychiatrie und Psychosomatik

Eberswalde erhält „Zentrum für Psychische Gesundheit“

Kommentare
Vorteile des Logins

Über unser kostenloses Login erhalten Ärzte und Ärztinnen sowie andere Mitarbeiter der Gesundheitsbranche Zugriff auf mehr Hintergründe, Interviews und Praxis-Tipps.

Haben Sie schon unsere Newsletter abonniert?

Von Diabetologie bis E-Health: Unsere praxisrelevanten Themen-Newsletter.

Das war der Tag: Der tägliche Nachrichtenüberblick mit den neuesten Infos aus Gesundheitspolitik, Medizin, Beruf und Praxis-/Klinikalltag.

Eil-Meldungen: Erhalten Sie die wichtigsten Nachrichten direkt zugestellt!

Newsletter bestellen »

Top-Meldungen
Lesetipps
Führen den BVKJ: Tilo Radau (l.), Hauptgeschäftsführer, und Präsident Michael Hubmann im Berliner Büro des Verbands.

© Marco Urban für die Ärzte Zeitung

Doppel-Interview

BVKJ-Spitze Hubmann und Radau: „Erst einmal die Kinder-AU abschaffen!“

Diakonie-Präsident Rüdiger Schuch.

© Rolf Schulten

Interview

Diakonie-Präsident Schuch: Ohne Pflege zu Hause kollabiert das System