Digitale Medizin

ETH Zürich baut ein völlig neues Medizinstudium

Als die renommierte ETH Zürich einen neuen Studiengang Humanmedizin plante, wurden alte Zöpfe abgeschnitten. Studenten auf die Umwälzungen der digitalen Medizin vorzubereiten, ist ein wichtiges Ziel.

Von Florian Staeck Veröffentlicht:
Der neue Studiengang ermöglichte es, historisch gewachsene Elemente des Medizinstudiums zu hinterfragen, sagtProfessor Jörg Goldhahn, medizinischer Leiter des Studiengangs Humanmedizin an der ETH Zürich.

Der neue Studiengang ermöglichte es, historisch gewachsene Elemente des Medizinstudiums zu hinterfragen, sagt Professor Jörg Goldhahn, medizinischer Leiter des Studiengangs Humanmedizin an der ETH Zürich.

© Sablotny/MFT

Tübingen. Die Chance, das Medizinstudium von Grund auf neu zu denken, gibt es nur einmal im Leben. An der ETH Zürich ist das möglich gewesen. Dort wird seit 2017 ein Bachelor-Studiengang Humanmedizin der besonderen Art angeboten.

„Wir hatten die Freiheit der grünen Wiese“, sagte Professor Jörg Goldhahn, medizinischer Leiter des Studiengangs an der ETH und stellvertretender Direktor des Instituts für Translationale Medizin. Beim jüngsten Medizinischen Fakultätentag in Tübingen skizzierte er den völlig neu konzipierten Studiengang, der auch vor dem naturwissenschaftlich-technischen Hintergrund der ETH verstanden werden muss.

Vorteile der „grünen Wiese“ genutzt

Aktuell wird in Zürich ein BA-Studiengang angeboten, der mit dem Titel „Bachelor of Science ETH in Medizin“ abgeschlossen werden kann. Die Möglichkeiten der grünen Wiese habe man dabei „radikal“ genutzt, um historisch gewachsene Elemente der Medizinerausbildung zu hinterfragen, sagte Goldhahn. So sind beispielsweise integrierte Curricula geschaffen worden, die neben medizinischen und klinischen Grundlagen auch Statistik, Informatik, Mathematik und Epidemiologie umfassen. Es gehe darum, den Studierenden Einblicke in die digitale Transformation der Medizin zu geben, erläuterte Goldhahn.

Dabei sei man sich der Schwierigkeiten bewusst gewesen, die Konsequenzen der Digitalisierung zu antizipieren. Dennoch müssten die Studierenden schon heute befähigt werden, die Auswirkungen der Künstlichen Intelligenz (KI) auf das Rollenverständnis des Arztes als Experte zu hinterfragen. Die an der ETH ausgebildeten Mediziner müssten kompetent mit der Informationsflut umgehen und Daten kritisch analysieren können, um daraus am Ende klinische Entscheidungen ableiten zu können.

Dabei wird die Neukonzeption traditioneller Lehrinhalte an der ETH durch mehrere Annahmen begleitet, beispielsweise: Moderne Medizin ist Teamarbeit, die Behandlung soll sich an interprofessionellen Versorgungsketten orientieren. Dabei gehen die Dozenten mit den Medizinstudenten die Versorgung eines Patienten entlang des gesamten Versorgungspfads durch – vom Hausarzt bis zur Klinik.

Chancen des kontextuellen Lernens

Wichtig in der Ausbildung ist nach Angaben von Goldhahn das kontextuelle Lernen: So präsentierten Studierende in einem Seminar etwa ebenso die Behandlung oder Versorgung eines Patienten entlang der gesamten Versorgungskette. Oder die elektrophysiologische Diagnostik bei einem querschnittsgelähmten Patienten wird mit der Aufgabe verknüpft, das Exoskelett für ihn anzupassen.

Die 100 Studierenden schließen nach drei Jahren ihr Studium ab. Ein darauf aufbauendes Masterstudium ist erstmals ab Herbst 2020 an Partneruniversitäten in Basel, Lugano oder Zürich möglich. Erst im Anschluss an diesen Abschluss kann die – früher Staatsexamen genannte – eidgenössische Prüfung in Humanmedizin absolviert werden. Das Arztdiplom erlaubt dann die Aufnahme einer ärztlichen Tätigkeit.

Der 2017 gestartete Studiengang an der ETH wurde durch ein 100 Millionen Franken (rund 91 Millionen Euro) schweres Programm möglich, mit dem in der Schweiz die Studienkapazitäten in Humanmedizin aufgestockt werden sollen. Bislang haben die Eidgenossen jedes Jahr Ärzte „importieren“ müssen – vor allem aus Deutschland. Befanden sich im Jahr 2013 in der Schweiz noch 786 Medizinstudierende in der Ausbildung, so sollen es 2020 bereits 1024 sein.

In der Endstufe will die Schweiz 1300 Medizinstudienplätze anbieten. „Staatsexamina“ wie in Deutschland gibt es dabei nicht mehr: Die eidgenössischen Universitäten haben die Studiengänge komplett auf „Bologna“ umgestellt und bieten ausschließlich Bachelor und Master als Abschlüsse an.

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