Arzt und Patient

Vom Arzt zum Coach

Bewegungstraining als therapeutische Unterstützung wird zunehmend wichtig – eine gute Adhärenz fällt Patienten aber oft schwer. Hier kann der Arzt mit seiner eigenen Erfahrungen und gezieltem Coaching hilfreich zur Seite stehen.

Von Marion Badenhop und Bernd Gimbel Veröffentlicht:

BAD HOMBURG. Die Therapie von zivilisationsbedingten Erkrankungen (z. B. Adipositas, Diabetes, Bluthochdruck und Metabolisches Syndrom) durch Bewegungstraining gewinnt immer mehr an Bedeutung. In den Leitlinien der medizinischen Fachgesellschaften wird auf der Basis internationaler Evidenz neben dem Ausdauertraining zunehmend auch das Krafttraining in der Primär- und Sekundärprävention empfohlen.

Darüber hinaus sind auch bei anderen Krankheiten (z. B. verschiedene Formen des Krebses, Osteoporose, Depression etc.) die positiven Wirkungen der körperlichen Aktivität mit hohem Evidenz- und Empfehlungsgrad nachgewiesen.

Von großer Bedeutung dabei ist, dass sich die Wirkungen nicht alleine auf somatischer, sondern auch auf psychosomatischer sowie psychologischer Ebene nachweisen lassen. Wegen dieses pleiotropen Effekts wird Bewegung auch als "poly-pill" bezeichnet und die Einführung eines Rezepts für Bewegung diskutiert.

Psychosoziales Umfeld ist betroffen

Allerdings: Das Adhärenz-Verhalten des Patienten wird hierbei einmal mehr ein entscheidender Erfolgsfaktor der Therapie sein. Vorhersehbares Problem: Seine Eigeninitiative, beispielsweise regelmäßig und in seiner Freizeit unbegleitet einem gezielten Körpertraining nachzugehen und/ oder sein Ernährungsverhalten nachhaltig zu ändern, stellen ihn nicht selten vor die Entscheidung, seinen Lebensstil in wichtigen Bereichen nachhaltig zu verändern.

Hiervon beeinflusst ist sein psychosoziales Umfeld (Familie, Kinder, Eltern, Partner und Kollegen), denn es reduziert sich nicht selten gleichzeitig die Zeitzuteilung, die diesen Mitbetroffenen bisher vom Patienten gewidmet wurde. Oftmals ein großes Hemmnis für viele Rehabilitanden, konsequent ihren Therapieerfordernissen nachzukommen.

Sie kämpfen mit einer inneren Zerrissenheit, die im Volksmund auch mit dem multikausal entstehenden "inneren Schweinehund" umschrieben wird. Hinzu kommt ohnehin die zumeist als große Überwindung empfundene körperliche Anstrengung und das erforderliche Durchhaltevermögen bis erste Erfolge zu verzeichnen sind. Selbstvorwürfe gesellen sich zu denen, die Patienten aus dem beschriebenen sozialen Umfeld empfinden.

Neue Arztrolle

Hier setzt die neue Rolle des Arztes an. Als Vertrauensperson, die diese Umstände am ehesten verstehen und proaktiv ansprechen kann, wird er mehr Zeit in Beratungsleistungen investieren müssen.

Es gilt, neben der breiten Expertise in den Fachthemen zusätzlich mit Empathie sowie geschultem körperdiagnostischen und psychologischen Know-how den Patienten durch das gezielte Fördern von Selbstkompetenz "bei der Stange" zu halten. Dabei helfen:

» Qualifizierte Zusatzausbildungen, die über die biochemischen Zusammenhänge und vielfältigen Möglichkeiten informieren, die ein gezieltes Bewegungskonzept als Therapie bieten kann. Die hierin reflektierten Eigenerfahrungen des Arztes mit einem auf seinen eigenen körperlichen Zustand abgestimmten Trainingsziel und -plan zeigen, wie schwierig es sein kann, neben dem anstrengenden Job selbst den "inneren Schweinehund" zu überwinden und dem Training regelmäßig nachzukommen. Dies unterstützt ihn allerdings darin, dem Patienten trotz dessen mangelhaften Adhärenz-Verhaltens Verständnis entgegenzubringen und ihm als Therapiepartner auf Augenhöhe zu begegnen.

» Profunde Kenntnisse über psychologische Erklärungsmodelle und gute Kommunikations- und Gesprächstechniken helfen ihm schließlich, dies beim Patienten zu thematisieren, um ihn angemessen zu motivieren bzw. ihn aus emotionalen Talphasen heraus zu begleiten, was nicht zuletzt das Gefühl der Selbstwirksamkeit im Rehabilitanden fördert.

Leider bleiben die wichtigen Therapiesäulen Bewegung und/ oder auch richtige Ernährung im Sinne eines holistischen Therapie-Ansatzes zu häufig ungenutzt. Einer von vielen Gründen: Nach einer Umfrage unter mehr als 1700 Allgemeinmedizinern 2015 in der Schweiz, vernachlässigen zu viele Ärzte ihre eigene Gesundheit.

Darum fehlen ihnen häufig eigene positive Erlebnisse durch Bewegung, um diese dem Patienten aus persönlicher Überzeugung als Therapieempfehlung mit auf den Weg zu geben.

Wenn der Arzt als Vorbild und Motivator erlebt wird, erhöht sich die Wahrscheinlichkeit des Behandlungserfolges um ein Vielfaches. Aus dem vagen Wunsch, selbst etwas zu verändern, wird eine klare Absichtsbildung mit Selbstverpflichtung und zielgerichteter Handlungsplanung. Ein Phänomen, das in der angewandten Psychologie als das "Überschreiten des Rubikon" bezeichnet wird.

Drei Techniken, die helfen

Die Rolle des Arztes wandelt sich in diesem Fall vom Behandler zum ärztlichen Coach. Kennt er neben hilfreichen psychologischen Erklärungskonzepten moderne Techniken und Methoden aus der Sportwissenschaft, werden sie ihm beim Coachen von Menschen mit ihren individuellen Zielen hilfreich sein. Drei Beispiele solcher Techniken und Methoden:

1. Monitoring von Belastungsparametern beim Training

Aussagekräftig für die Anpassungsprozesse, die durch gezieltes Bewegungstraining erzielt werden können, sind Umfang (Dauer einer Trainingseinheit), Dichte (Häufigkeit der Trainingseinheiten) und Intensität (Stärke des Reizes). Der Intensitätskomponente wird in der Bewegungstherapie immer mehr Aufmerksamkeit gewidmet.

High-Intensity-Intervall-Training (HIIT) ist wegen seiner günstigen Effekte auf die Risikofaktoren für Herz-Kreislauf-Erkrankungen und Diabetes effektiver als das Ausdauertraining mit konstanter und niedriger Belastungsintensität ohne Pause.

Allerdings: Hohe Intensität beim Training erfordert Willensstärke beim Patienten. Nicht jeder Patient ist aber mental bereit bis an die Grenze seiner Leistungsfähigkeit zu gehen, sodass auf Grundlage einer mehrdimensionalen Diagnostik nach Alternativen bei der Trainingssteuerung gesucht werden kann.

2. Regenerationsmethoden bei Patienten mit Stressphänomenen

Kein Olympiasieg oder Weltrekord käme zustande, wenn der Sportler nicht nach intensiven Trainingsbelastungen der Regeneration ausreichend Zeit widmet. Die zunehmende Arbeitsbelastung im Job und die fehlende Zeit zum "Abschalten" führen vermehrt zu Stressreaktionen.

Werden diese missachtet, können sich daraus massive physische und psychische Einschränkungen entwickeln. Der rasante Anstieg der Arbeitsunfähigkeitstage beweist dies.

In vielen Fällen sind dann eher regenerative Maßnahmen (z. B. modernes Faszientraining, Yoga, leichtes abgestimmtes Krafttraining, Dehn- und Koordinationsübungen oder Life Kinetik) einem Zuviel an Bewegung vorzuziehen.

Aus dem Leistungssport lassen sich wichtige Prinzipien und Methoden auf Patienten mit Stressphänomenen übertragen, wenn sie ihnen verständlich und psychologisch angemessen erläutert werden.

3. Vibrations- und EMS-Training als unterstützende Alternativen

Nicht jeder Patient steht sportlichen Übungen positiv gegenüber oder kann sie durch Bewegungseinschränkungen ausführen. Für diese Zielgruppe kann die Empfehlung von Vibrations- oder Elektromyostimulations (EMS-) Training eine Alternative sein, um mit Bewegung zu beginnen, auch wenn die Studien darüber teilweise sehr widersprüchlich sind. Auch Menschen mit knappen Zeitressourcen, können von diesen Methoden profitieren, da die Trainingsdauer pro Einheit maximal 20 Minuten beträgt.

Fazit: Ein holistischer, an den Alltagsbedürfnissen und -möglichkeiten des Patienten ausgerichteter Ansatz kann mit hoher Wahrscheinlichkeit das therapeutische Angebot moderner Arztpraxen bereichern.

Vielleicht wird der Arzt sogar das physiologische und psychologische Coachingangebot offiziell in sein Dienstleistungsportfolio aufnehmen. Wie in erfolgreichen Wirtschaftsunternehmen auch, ist – hier zum Wohle der Patienten – die enge Abstimmung und Zusammenarbeit von Spezialisten gefragt.

Buchtipp

Wecke den Coach in dir

Gegen den inneren Schweinehund von Patienten oder Mitarbeitern sind gute Argumente ebenso gefragt wie Strategien zur Verhaltensänderung und erfolgreiche Trainingskonzepte. Dieses Praxisbuch liefert das Wissen aus der Sport- und Ernährungsphysiologie sowie Trainingsmethoden.

Bernd Gimbel, Körpermanagement, Springer Verlag 2014, 339 S.,

eBook: 34,99 Euro, ISBN 978-3-662-43643-1

Softcover: 46,26 Euro, ISBN 978-3-662-43642-4

Dr. Bernd Gimbel ist als Sportwissenschaftler, Buchautor und Gesellschafter der KörperManagement® KG in Bad Homburg tätig.

Marion Badenhop, M.A. ist seit 18 Jahren Geschäftsführerin des Coaching- & Beratungs-Instituts MBConsulting in Weinheim.

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