Generation „Active Retirement“

Immer mehr Ärzte praktizieren im Ruhestand weiter

Deutlich mehr als eine Million Senioren gehen in ihrem Ruhestand noch arbeiten. Auch in vielen Arztpraxen und Kliniken gehören die Silver Worker zum betrieblichen Alltag. Eine Umfrage zeigt Chancen und Herausforderungen.

Von Margarethe Urbanek Veröffentlicht:
Rentner, die tatenlos auf der Bank sitzen? Nicht mehr! Active Retirement, aktive Rente, ist angesagt.

Rentner, die tatenlos auf der Bank sitzen? Nicht mehr! Active Retirement, aktive Rente, ist angesagt.

© Yuri Arcurs / Getty Images / iStock

In vielen Praxen und Kliniken gehören sogenannte Silver Worker – Ärzte, die eigentlich bereits in Rente sein könnten – zum betrieblichen Alltag. Allein unter Hausärzten verdreifachte sich der Anteil der über 65-jährigen von rund fünf Prozent im Jahr 2008 auf über 15 Prozent zehn Jahre später.

In der Altersgruppe 60-65 Jahre stieg der Anteil im selben Zeitraum von 16 auf 20 Prozent. Das Durchschnittsalter der Hausärzte in Deutschland ist damit von 52,2 Jahre (2008) auf 55,3 Jahre (2018) gestiegen. Das geht aus den Gesundheitsdaten der Kassenärztlichen Bundesvereinigung hervor.

Auch Chirurgen sind von einem steigenden Altersschnitt in ihrer Fachgruppe betroffen. Der Bundesverband Deutscher Chirurgen (BDC) und der Konvent der Leitenden Krankenhauschirurgen haben das zum Anlass für eine Umfrage unter ihren Mitgliedern genommen. Thema: Arbeiten im Ruhestand. Es ist nach Angaben des BDC die erste Umfrage mit deutschen Ärzten über drei Generationen zu diesem Thema.

„Wir wollen sensibilisieren für die zunehmende Anzahl an Silver Workern und die damit zusammenhängenden Herausforderungen und Chancen: für Mediziner, Kliniken und Praxen“, so Professor Margit Geiger, die die Studie durchgeführt hat. Geiger arbeitet an der Hochschule Bochum im Fachbereich Wirtschaft und ist Mitglied des Initiativkreises neue Personalarbeit in Krankenhäusern.

An der Umfrage nahmen insgesamt 1420 Ärzte aus den Generationen Baby-Boomer (Geburtsjahrgänge 1946 - 1964 ), Generation X (1965 - 1979 ) und Generation Y (ab 1980 ) teil – darunter auch rund zehn Prozent niedergelassene und knapp drei Prozent in MVZ tätige Chirurgen.

Silver Worker als Entlastung in der Praxis

Op-Tisch also statt Golfplatz und Leistungsdruck statt wohl verdienten Ruhestands? Welche Motivation haben die Ärzte, auch nach Renteneintrittsalter weiter zu praktizieren?

Es sind vor allem nicht-monetäre Gründe, die die deutschen Chirurgen zur Weiterarbeit motivieren: Knapp 77 Prozent der Befragten geben in der Umfrage an, nach der Rente weiterarbeiten zu wollen, um ihren Selbstwert zu erhalten. Nur unwesentlich weniger (ca. 74 Prozent) suchten in einer Weiterbeschäftigung Wertschätzung oder schätzen das Gefühl, gebraucht zu werden (ca. 62 Prozent).

So sind es auch flexible Beschäftigungsformen und Einsatzmöglichkeiten, die von arbeitenden Senioren bevorzug werden. Die Studienteilnehmer können sich nach Renteneintritt insbesondere eine Tätigkeit als Lehrkraft (71 Prozent), als Arzt in Teilzeit (70 Prozent) oder im Mentoring (68 Prozent) vorstellen. Die ärztliche Tätigkeit in Teilzeit – könnte Potenzial bieten für Praxisinhaber. Nämlich dann, wenn sie Entlastung im stressigen Berufsalltag oder eine Urlaubsvertretung suchen.

„Besonders attraktiv für Silver Worker ist die 20-Stunden-Woche beziehungsweise das Modell, einen Tag pro Woche zu arbeiten“, blickt Geiger auf die Ergebnisse. Immerhin jeweils über 50 Prozent der Befragten könnten sich eines dieser Arbeitszeitmodelle vorstellen. „Unentgeltlich möchte jedoch nur ein verschwindend geringer Anteil der Ärzte arbeiten. 84 Prozent wünschen eine Bezahlung mit Tagessatz“, so Geiger.

Zwei Seiten einer Medaille

„Die Stärken der Ärzte im Rentenalter werden maßgeblich an ihrem hohen Erfahrungswissen, ihrer selbstständigen Arbeitsweise und ihrem hohen Qualitätsbewusstsein gesehen“, heißt es in einer Mitteilung des BDC. Doch, das zeigt die Umfrage deutlich, diese potenziellen Stärken spiegeln nur eine Seite der Medaille wider.

Denn der zunehmende Anteil betagter Ärzte führt auf der anderen Seite zu Generationenkonflikten. In die alten Strukturen drängt eine neue Generation junger Mediziner. Jungen Ärzten stehen die älteren Kollegen laut Umfrage insbesondere mit Blick auf Karrierefortschritte kritisch gegenüber: Immerhin rund 38 Prozent der Generation Y und 36 Prozent der Generation X glauben demnach, dass ältere Ärzte ihren beruflichen Aufstieg verhindern.

Dabei könnten die Jungen an eben dieser Stelle auch von den Alten profitieren, etwa wenn es darum geht, sich in für Neuzulassungen gesperrten Planungsbereichen niederzulassen. Jobsharing heißt hier ein Zauberwort: Zwei Ärzte – beispielsweise ein alter und ein junger – teilen sich einen Arztsitz und nach einer Übergangsphase erhält der Nachwuchsmediziner meist den gewünschten Kassensitz.

Noch im hohen Alter zu praktizieren bedeutet für die Ärzte jedoch auch, sich medizinischen und technischen Weiterentwicklungen einerseits und Selbsteinschätzungen andererseits zu stellen. Das wissen die Senioren: Die Mehrheit der Befragten (55 Prozent) würde sich ab dem 60. Lebensjahr einem sogenannten Self Assessment unterziehen, um ihre operative Leistungsfähigkeit überprüfen zu lassen.

Besonders in der Generation Y werden Ärzte im Rentenalter geschätzt: Rund 90 Prozent von ihnen haben ihnen gegenüber eine hohe Akzeptanz, auch wenn sie deren häufig zu autoritären Umgangston kritisieren. Und in einem sind sich alle einig: Altersgemischte Teams sind erfolgreicher als andere Teamkonstellationen. Über alle befragten Generationen hinweg waren immerhin rund zwei Drittel der Befragten dieser Meinung.

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