Fitnessdaten auf dem Smartphone

Vom Bluthochdruck, der gar keiner ist

Apps können Fitnessdaten aufzeichnen und weitergeben. Versicherer werben für gute Werte mit dicken Boni. Doch Zweifel sind nicht nur beim Thema Datenschutz angebracht - sondern auch bei den Messwerten selbst.

Dr. Robert BublakVon Dr. Robert Bublak Veröffentlicht:
Wearables wie Smartwatches sollen zu mehr Bewegung motivieren - doch die Aussagekraft der Messwerte darf bezweifelt werden.

Wearables wie Smartwatches sollen zu mehr Bewegung motivieren - doch die Aussagekraft der Messwerte darf bezweifelt werden.

© TSUNG-LIN WU / fotolia.com

NEU-ISENBURG. "Du trainierst. Du kämpfst. Du belohnst dich und deinen Körper." - Was sich anhört wie ein Motivationsmantra für angehende Olympiasieger, richtet sich in Wahrheit an Versicherte der Allgemeinen Ortskrankenkasse Nordost.

Die können sich nämlich seit Mitte Januar am digitalen Prämienprogramm FitMit AOK beteiligen. Passend dazu gibt es eine App, die sich über Apple Health oder Google Fit mit anderen Fitness-Apps und Wearables - mobilen Fitnesstrackern, die am Körper getragen werden - verknüpfen lässt.

Das Versicherungsunternehmen Generali will Kunden ab Juli ein ähnliches Angebot namens Vitality unterbreiten, zunächst einmal für die Sparten Risikolebens- und Berufsunfähigkeitsversicherung. Die Krankenversicherung soll folgen.

Motivation für ein gesünderes Leben

Generali-Vorstandschef Giovanni Liverani wirbt für Vitality mit dem Hinweis, es motiviere die Menschen, gesünder und also besser zu leben. Liverani meint: "Ein Programm wie Vitality ist in jedermanns Interesse." Und Rabatte bei den Tarifen gibt es auch.

Seit die einschlägigen Pläne bekannt sind, gibt es eine Diskussion, die vorrangig um den Schutz der Gesundheitsdaten kreist. Das setzt voraus, dass die von den gängigen Fitness-Trackern und Wearables erhobenen Daten schützenswert sind, das heißt: dass die Fitness-relevanten Parameter gültig, zuverlässig und objektiv erhoben werden, die Fitness also zutreffend wiedergeben.

Doch so ausgeprägt das Misstrauen ist, das dem Datenschutz gegenüber herrscht, so groß scheint eigenartigerweise das Vertrauen zu sein, dass die gesammelten Daten korrekt sind.

Die Korrektheit der Daten ist aber nicht selbstverständlich. Das zeigt zum Beispiel eine Studie, deren Ergebnisse japanische Wissenschaftler vorgelegt haben (JAMA Intern Med 2016; online 21. März). Getestet wurden Wearables, die den Energieumsatz messen.

An der Studie waren 19 Gesunde zwischen 21 und 50 Jahren beteiligt, die nicht adipös und so fit waren, dass sie jeweils das Tagesprogramm durchhalten konnten. Jeder Proband trug zwölf Minicomputer gleichzeitig, die nach dem Zufallsprinzip verteilt am Handgelenk, an der Hüfte und am Thorax getragen wurden. Vier der zwölf getesteten Minicomputer werden sogar in der Forschung genutzt.

Energieumsatz nicht korrekt kalkuliert

Als Vergleich dienten standardisierte Messungen des Energieverbrauchs in der metabolischen Kammer und nach der DLW("Doubly Labeled Water")Methode, bei der über die Isotopenanreicherung im Urin nach Gabe von markiertem Wasser die CO2-Produktion berechnet werden kann.

Die kalorimetrische Messung in der Kammer lief über 24 Stunden. Bei der DLW-Methode sollten die Teilnehmer Urinproben sammeln, um dann nach 15 Tagen insgesamt einen durchschnittlichen Energieumsatz kalkulieren zu können.

Die gemittelten Messwerte der zwölf Minicomputer lagen am Ende des Versuchs zwischen 278 kcal/Tag unter und bis 204 kcal/Tag über dem in der metabolischen Kammer gemessenen Wert (im Schnitt 2093 kcal/Tag).

Im Vergleich mit der DLW-Methode reichte die Spanne von 590 bis 69 kcal/Tag unter dem DLW-Durchschnittswert (2314 kcal/Tag). Offenbar können die Wearables also bei der Messung des Energieumsatzes mit den Goldstandard-Methoden nicht recht mithalten.

Freilich ist der Energieumsatz eine relativ komplex zu messende Größe. Doch auch bei simpleren Parametern wie dem Blutdruck schneiden die mobilen Messknechte im Vergleich zur herkömmlichen Messung am Oberarm nicht unbedingt beeindruckend ab.

Im Test einer Smartphone-App zur Blutdruckmessung - mehr als 150 Tage lang unter den 50 meistverkauften iPhone-Apps - mit 85 Probanden erreichte die App eine Sensitivität von gerade einmal 22 Prozent. Die Spezifität lag bei 92 Prozent. Somit würden acht von 100 Gesunden von der App als Hypertoniker, hingegen 78 von 100 Hypertonikern als gesund identifiziert.

Die beteiligten Forscher äußerten mit Blick auf diese Ergebnisse die Sorge, Benutzer könnten die App tatsächlich für ihr Blutdruckmanagement nutzen und womöglich die Therapie damit steuern (JAMA Intern Med 2016, online 2. März).

Kein Gütesiegel für die Qualität der Apps

Ein anerkanntes Gütesiegel für die Qualität von Gesundheits-Apps gibt es in Deutschland nicht.Darauf zu hoffen, scheint gewagt, falls die von der Bayerischen Telemedallianz genannten Zahlen stimmen. Hiernach wächst das Angebot auf diesem Gebiet monatlich um circa 1000 Apps.

Wenn sie so zuverlässig sind wie die untersuchten, fragt sich, ob Fitnessprogramme, die ihre Messergebnisse verwenden, wirklich in jedermanns Interesse sind. Selbst für Unternehmen, die mit Policen für Risiko-Lebensversicherungen handeln, könnte das Fehlerrisiko höher liegen, als es der Sicherheit des Geschäfts zuträglich ist.

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