Bessere Notfallversorgung

Die Suche nach dem Königsweg

Patienten bei (vermeintlichen) Notfällen besser durch das Versorgungssystem zu steuern: das ist eine hochkomplexe Aufgabe, wie beim Hauptstadtkongress deutlich wurde.

Christoph FuhrVon Christoph Fuhr Veröffentlicht:
Debatte über bessere Notfallversorgung (von links): Kammerpräsident Dr. Theodor Windhorst (Westfalen-Lippe) , KV-Chefin Dr. Monika Schliffke (Schleswig-Holstein), Dr. Susanne Johna (Marburger Bund), Dr. Andreas Gassen (KBV-Chef) .

Debatte über bessere Notfallversorgung (von links): Kammerpräsident Dr. Theodor Windhorst (Westfalen-Lippe) , KV-Chefin Dr. Monika Schliffke (Schleswig-Holstein), Dr. Susanne Johna (Marburger Bund), Dr. Andreas Gassen (KBV-Chef) .

© Stephanie Pilick

BERLIN. Vater, Mutter und Kind stehen in der Klinik-Notaufnahme. "Die Kleine hat wohl Fieber", sagt die Mutter besorgt.

"Haben Sie denn Fieber gemessen?" fragt der Arzt. Die irritierte Antwort: "Gemessen? Thermometer? Nein, wir haben zu Hause keins."

KBV-Chef Dr. Andreas Gassen erzählte diese Geschichte beim Hauptstadtkongress als Beispiel dafür, dass das Basiswissen über den Umgang mit alltäglichen Gesundheitsproblemen in der Bevölkerung schlechter geworden ist.

Patienten-Ansprüche steigen

Dabei könnten vielen Patienten, die die Notaufnahmen der Krankenhäuser blockieren, vom ambulanten Notdienst oder ihrem Hausarzt behandelt werden, denn nicht wenige Patienten marschieren schnurstracks auch dann in die Klinik, wenn die Wartezimmertüren der Hausärzte sperrangelweit offen sind.

Susanne Johna vom Marburger Bund erläuterte Ergebnisse einer Befragung der Hessischen Krankenhausgesellschaft, die deutlich machen, wie komplex die Problematik ist: Danach hatten 61 Prozent der Patienten, die in Sprechstundenzeiten in der Klinik-Notaufnahme erschienen, vorher Kontakt zu ihrem Hausarzt oder einem anderen niedergelassenen Arzt.

KBV und Marburger Bund (MB) haben sich im vergangenen Jahr auf ein gemeinsames Konzept verständigt, um das wachsende Problem besser in den Griff zu bekommen.

Dabei spielt die gemeinsame Bereitschaftsnummer 116 117 der niedergelassenen Ärzte eine wichtige Rolle. Doch sie ist bei Patienten kaum bekannt.

Nur neun Prozent der Befragten konnten sie einer KBV-Studie zufolge konkret benennen – ein weitere Grund, dass insbesondere zu sprechstundenfreien Zeiten der Andrang in den Krankenhausambulanzen steigt. Gassen setzt dennoch auf eine Lenkfunktion dieser Nummer.

Werbeaktion für 116 117

Damit die 116 117 stärker im Bewusstsein der Bürger verankert wird, ist fürs kommende Jahr eine Werbeaktion geplant.

Ohnehin müsse die Nummer mit der des Rettungsdienstes (112) stärker vernetzt werden, so Gassen. Hier wird ein weiteres Problem deutlich: 112 hier –116 117 dort? Für viele Patienten sind die Strukturen der Versorgung vollkommen intransparent.

Ziel soll es laut Gassen letztlich sein, dass die Patienten bei dieser gemeinsamen medizinischen Anlaufstelle rund um die Uhr anrufen können und eine qualifizierte Ersteinschätzung bekommen, damit sie ohne Umwege in die für sie passende Versorgungsebene gelangen.

Susanne Johna definierte für den MB das Ziel einer Integrativen Notfallversorgung. Notwendig sei

»eine gemeinsame medizinische Anlaufstelle am Krankenhaus,

»die personelle und digitale Verknüpfung der "Sektoren", um doppelte Inanspruchnahmen vermeiden,

» eine gerechte Beteiligung aller Ärzte an der Notfallversorgung.

Die Vorsitzende der KV Schleswig-Holstein Dr. Monika Schliffke berichtete in der Veranstaltung über positive Erfahrungen mit Blick auf Portalpraxen an Krankenhäusern, die es im Norden bereits gibt. Insgesamt handelt es sich um 44 Praxen an 33 Standorten, die außerhalb der Praxisöffnungszeiten erreichbar sind.

Ein Tresen für alle reicht aus

»Patienten "gewöhnen" sich schnell an Praxen, die an Kliniken angebunden sind und nutzen sie zunehmend.

»Mit einer vorgeschalteten Praxis wird die Zentrale Notaufnahme frei für die "richtigen" Notfälle.

»Ein ambulanter Patient sollte in einer Klinik nur einen Anlaufpunkt haben. Das bedeutet konkret: Ein Tresen für alle reicht aus.

Die Führung der Patienten durch das Versorgungssystem müsse unbedingt reibungslos über die Bühne gehen, mahnte der Chef der Ärztekammer Westfalen-Lippe Dr. Theodor Windhorst.

Der Grund: "Reibung bedeutet Energie für Aggression". Dazu gehört für ihn auch eine kürzere Patienten-Wartezeit bei Telefonanfragen.

Ziel einer effektiven Notfallversorgung müsse es sein, Versorgungsqualität durch eine bessere Filterung der Patientenanfragen zu optimieren, sagt er. Windhorst: "Wir müssen es schaffen, Klinikambulanzen und Rettungsdienste wirksam zu entlasten."

Dieser Beitrag wurde geändert am 11.06.208 um 11:27 Uhr. Die erste Version des Artikels war viel kürzer.

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