Kassenfinanzen

Klotzen statt dämpfen! Wirken Investitionen gegen das Kassendefizit?

Die Gesetzliche Krankenversicherung ist notorisch unterfinanziert. Erwartet wird ein neues Kostendämpfungsgesetz. Wünschenswert sind aber wohl eher Strukturreformen. Kassen und Ärzte waren sich bei einer Diskussionsveranstaltung beim Hauptstadtkongress überraschend einig.

Anno FrickeVon Anno Fricke Veröffentlicht:
Zu Finanzzwängen und Reformbedarf diskutierten beim Hauptstadtkongress (von links) Dr. Günther Matheis, Moderator Wolfgang van den Bergh, Prof. Jürgen Wasem, Tino Sorge und Kai Senf.

Zu Finanzzwängen und Reformbedarf diskutierten beim Hauptstadtkongress (von links) Dr. Günther Matheis, Moderator Wolfgang van den Bergh, Prof. Jürgen Wasem, Tino Sorge und Kai Senf.

© Rolf Schulten

Berlin. Die Finanzlage des Gesundheitswesens treibt dessen Vertreter um. Mit wachsender Nervosität erwartet die Szene die Liste mit Einsparvorgaben aus dem Gesundheitsministerium, die derzeit in Gesetzesform gegossen wird. Die althergebrachten Instrumente der Kostendämpfung werden dabei zunehmend kritischer beäugt. Ins Blickfeld der Wissenschaft und der Vertreter des Gesundheitssystems rücken daher zunehmend Strukturreformen, zum Beispiel im stationären Sektor.

Die Diagnose von Professor Jürgen Wasem von der Universität Duisburg ist eindeutig: Das Gesundheitssystem ist in den Miesen und baut strukturell immer weiter Defizite auf. Es gebe seit Jahren eine aufwachsende primäre Unterdeckung, die 2022 die 50 Milliarden Euro-Grenze überschreiten werde, sagte Wasem bei einer Veranstaltung zur Gesundheitspolitik der Ampel. Und: Corona ist daran nicht schuld. Verantwortlich sei die expansive Ausgabenpolitik der großen Koalition in der abgelaufenen Legislatur. Die aktuell im Koalitionsvertrag von SPD, Grünen und FDP aufgeführten Reformvorhaben ließen sich auf keinen Fall mit der 40-Prozent-Sozialgarantie vereinbaren.

Wasem: Schluss mit „Ad-hocismus“

Die ad hoc-Bewältigungsstrategien der Politik müssten im Sinne der Planbarkeit des Systems ein Ende finden. Sie stießen regelhaft auf ein andauerndes strukturelles Problem, weswegen sie letztendlich nicht funktionieren könnten, so Wasem. Wirkung erzeugen ließe sich über strukturelle Veränderungen. Allerdings nicht im Handumdrehen.

Es sei naiv anzunehmen, dass sich zum Beispiel mit dem Schließen von 800 Kliniken in einer großen Krankenhausstrukturreform in den ersten fünf Geld sparen lasse, sagte Wasem.

Senf: Investieren, um zu sparen

Zustimmung erhielt Wasem von der Kassenseite. „Eigentlich müsste in den Umbau des Systems investiert werden“, sagte der Geschäftsführer Politik des AOK-Bundesverbandes Kai Senf. Eigentlich wolle zumindest sein Kassenverbund weniger Staat, sprich Bundeszuschüsse, im System. Systemkonformer sei das Anheben des allgemeinen Beitragssatzes. Zusätzlich sollte die gesetzliche Krankenversicherung von versicherungsfremden Leistungen entlastet werden. Dem regulären Bundeszuschuss von 14,5 Milliarden Euro ständen fehlallozierte Ausgaben der Kassen in Höhe von rund elf Milliarden Euro für die Krankenversicherung von ALG II-Empfängern und mehrere Milliarden für zu niedrig angesetzte Mehrwertsteuersätze im Gesundheitssystem gegenüber, rechnete Senf vor.

Die Pflegeversicherung lasse die Regierung konsequent ins Minus laufen. In diesem Jahr werde es keine Beitragserhöhung dort geben. Stattdessen habe man eine Kreditlinie für die Pflegeversicherung eröffnet. „Die Sozialversicherung läuft in die Schulden hinein“, warnte Senf.

Matheis: Breite Tore, von beiden Seiten begehbar

„Wir können nicht jedes Krankenhaus halten“, sagte auch der Vizepräsident der Bundesärztekammer Dr. Günther Matheis. Viele Grund- und Regelversorger seien in den roten Zahlen. Es gebe Doppelstrukturen. Dazu kämen Fremdkapitalgeber, die Renditen realisierten, die aus dem Gesundheitssystem abflössen. „Wir werden nicht darum herumkommen, Krankenhäuser in Gesundheitszentren für die ambulante Versorgung umzuwidmen“, sagte Matheis. Es müsse breite Tore zwischen den Sektoren geben, die von beiden Seiten begehbar seien.

Elemente von Eigenverantwortung der gesetzlich Versicherten in die Finanzierung einzubeziehen forderte wiederum Tino Sorge, gesundheitspolitischer Sprecher der größten Oppositionsfraktion CDU/CSU. (af)

Lesen sie auch

Hauptstadtkongress 2022 in Bildern

Spannende Gespräche, Debatten um Defizite im Gesundheitssystem und der Ukraine-Krieg, der als Thema alles überlagert: Die Branche der Gesundheitswirtschaft und politische Entscheidungsträger treffen sich beim Hauptstadtkongress erstmals wieder in Präsenz.
/
Überzeugt, dass der Hauptstadtkongress 2022 ein Erfolg wird: Kongresspräsident P...
Überzeugt, dass der Hauptstadtkongress 2022 ein Erfolg wird: Kongresspräsident Professor Karl Max Einhäupl im Gespräch mit Moderatorin Sandra Berndt.

© Rolf Schulten

Ließ keinen Zweifel daran, dass die Herausforderungen im Gesundheitswesen größer...
Ließ keinen Zweifel daran, dass die Herausforderungen im Gesundheitswesen größer werden: Wolfgang van den Bergh, Herausgeber der Ärzte Zeitung, und Moderatorin Sandra Berndt.

© Rolf Schulten

Welche Themen bestimmen in diesem Jahr den  Hauptstadtkongress?  Das Interesse b...
Welche Themen bestimmen in diesem Jahr den Hauptstadtkongress? Das Interesse bei der Eröffnungsveranstaltung war groß.

© Rolf Schulten

Interview am Stand von Springer Medizin:  Bernd Montag (Siemens Healthineers) im...
Interview am Stand von Springer Medizin: Bernd Montag (Siemens Healthineers) im Gespräch mit Denis Nößler, Chefredakteur der Ärzte Zeitung.

© Rolf Schulten

Wie funktionieren Operationsroboter? Am Stand von Intuitive Deutschland gibt es ...
Wie funktionieren Operationsroboter? Am Stand von Intuitive Deutschland gibt es Informationen.

© Rolf Schulten

Video-Botschaft: Bundesgesundheitsminister Professor Karl Lauterbach bekundet se...
Video-Botschaft: Bundesgesundheitsminister Professor Karl Lauterbach bekundet seine große Solidarität mit den Menschen in der Ukraine.

© Rolf Schulten

Innovation für den Versorgungsalltag am Stand von Sphaira Medical: ein Elektrofa...
Innovation für den Versorgungsalltag am Stand von Sphaira Medical: ein Elektrofahrzeug zum Transport infektiöser Patienten.

© Rolf Schulten

Jetzt abonnieren
Schlagworte:
Mehr zum Thema
Kommentare
Vorteile des Logins

Über unser kostenloses Login erhalten Ärzte und Ärztinnen sowie andere Mitarbeiter der Gesundheitsbranche Zugriff auf mehr Hintergründe, Interviews und Praxis-Tipps.

Haben Sie schon unsere Newsletter abonniert?

Von Diabetologie bis E-Health: Unsere praxisrelevanten Themen-Newsletter.

Jetzt neu jeden Montag: Der Newsletter „Allgemeinmedizin“ mit praxisnahen Berichten, Tipps und relevanten Neuigkeiten aus dem Spektrum der internistischen und hausärztlichen Medizin.

Top-Thema: Erhalten Sie besonders wichtige und praxisrelevante Beiträge und News direkt zugestellt!

Newsletter bestellen »

Top-Meldungen

Leitartikel

Datenschutz ist zugleich auch Praxisschutz

Netzwerk-Metaanalyse von 139 Studien

Gonarthrose: Viele Optionen, doch nur wenige funktionieren

Chronisches Kreuzweh

Studie: Rauchen lässt den Rücken schmerzen

Lesetipps
Schwindel kann viele unterschiedliche Ursachen haben. Mit den richtigen Fragen kommt man aber zur richtigen Diagnose.

© Andrey Popov / stock.adobe.com

BAM-Kongress 2025

Schwindel in der Hausarztpraxis: Fünf Fragen zur Ursachenfindung

Prophylaktische Maßnahmen sind der beste Weg, um Infektionen bei Krebspatientinnen und -patienten zu verhindern. Während und nach ihrer Chemotherapie sind sie dafür besonders anfällig. (Symbolbild)

© RFBSIP / stock.adobe.com

Vorbeugen ist besser als heilen

Wie die Infektionsprophylaxe bei Krebspatienten gelingt

Die Ärzte Zeitung hat jetzt auch einen WhatsApp-Kanal.

© prima91 / stock.adobe.com

News per Messenger

Neu: WhatsApp-Kanal der Ärzte Zeitung