Hauptstadtkongress

Wenn Wissenschaftler zu Politikberatern werden

Wie lässt sich das Zusammenspiel zwischen Ärzten, Wissenschaft und Politik verbessern? Auf dem Hauptstadtkongress rangen Medizinethiker und Ärzte um Antworten.

Christoph FuhrVon Christoph Fuhr Veröffentlicht:
Wissenschaft und Politik haben grundsätzlich eigenständige Aufgaben, mahnte Medizinethiker Professor Eckhard Nagel.

Wissenschaft und Politik haben grundsätzlich eigenständige Aufgaben, mahnte Medizinethiker Professor Eckhard Nagel.

© Illian

Berlin. Wenn Millionen Zuschauer abends zur besten Sendezeit ihren Fernseher einschalten um Neues über Corona zu erfahren, dann ist meist Talkshow-Zeit. In diesen „Möchtegern-Parlamenten“ diskutieren Experten und solche, die es gerne wären, über die Folgen der Pandemie – oft mit eher bescheidenen neuen Erkenntnissen. Professor Urban Wiesing, Medizinethiker an der Universität Tübingen, skizzierte dieses Bild bei einer Veranstaltung zum Hauptstadtkongress, die sich mit der Frage beschäftigte, wie es gelingen kann, das Zusammenspiel zwischen Ärzten, Wissenschaft und Politik mit Blick auf die Pandemie zu verbessern. Im Fokus stand dabei auch die Frage, wie Erkenntnisse der Medizin und entsprechende politische Entscheidungen für die Bürger adäquat kommuniziert werden können.

Die Diskussionsteilnehmer waren sich einig: Da ist im vergangenen Jahr vieles schief gelaufen. Unmissverständlich formulierte Wiesing zunächst Grenzen, die niemals in Frage gestellt werden dürften: „Egal, in welchem Kontext Wissenschaftler Erkenntnisse kommunizieren: sie müssen stets an ihren Grundprinzipien festhalten – Offenheit, Ehrlichkeit und Transparenz.“ Auch Zweifel müssten immer artikuliert werden, forderte der Medizinethiker. Professorin Britta Siegmund, DFG-Vizepräsidentin und Direktorin der Medizinischen Klinik für Gastroenterologie, Infektiologie und Rheumatologie an der Charité, wies auf eine völlig neue Herausforderung hin, mit der sich manche Wissenschaftler in der Pandemie beschäftigen mussten: „Ihnen wurden Fragen zu ihrer Arbeit aus der Öffentlichkeit gestellt.“ Manche hätten darauf gut, andere schlecht reagiert. Siegmund: „Wie Wissenschaftler ihre Erkenntnisse verbal kommunizieren – das lernt man nicht, das wird in der Ausbildung leider nicht vermittelt.“

Wer sagt was und warum?

Der Soziologe Professor Armin Nassehi von der Ludwig-Maximilians-Universität München kam bei seiner Analyse der Situation mit Blick auf die Kommunikationsfähigkeit von Wissenschaftlern zu einem völlig anderen Ergebnis: „Es ist verführerisch für Wissenschaftler, zu Dingen gefragt zu werden, deren Existenz man womöglich erst im Moment der Frage mitbekommt – und danach trotzdem eine wunderbare Antwort mit mindestens zwei Nebensätzen formulieren kann.“

Dr. Pedram Emami, Präsident der Ärztekammer Hamburg, richtete den Fokus auf die Motive von Ärzten und Wissenschaftlern, die sich in der Pandemie öffentlich äußern: „Wer sagt in dieser Pandemie was und aus welchem Grund?“, fragte er. „Ist es die bescheidene persönliche wissenschaftliche Erkenntnis oder stehen andere Interessen dahinter?“ Hier sei Transparenz gefragt. Welche Verflechtungen gibt es, wer bezahlt wen? „Über die wahren Motive von einzelnen Akteuren haben wir in der Pandemie zu wenig erfahren“, sagte er. Emami meldete auch mit Blick auf einzelne Ärzte Kritik an: „Bei allem Respekt: Wie kann sich ein Intensivmediziner dazu äußern, wie die nächste Welle verläuft?“

Wissenschaftler können beraten, nicht politisch entscheiden

Urban Wiesing machte noch einmal das Spannungsfeld zwischen den Aufgaben der Politik und der Rolle der Wissenschaft vor dem Hintergrund der Pandemie deutlich: Die Medizin könne die Gefahr durch das Virus identifizieren und weitere Entwicklungen voraussagen. Sie könne auch die Auswirkungen möglicher Therapien prognostizieren. Doch damit sei eine Grenze erreicht. Wiesing: „Die Medizin kann nicht sagen, auf welchem politischen Weg man die Corona-Pandemie stoppen soll.“ Eine Einschätzung, die Professor Eckhard Nagel, Direktor des Instituts für Medizinmanagement und Gesundheitswissenschaften an der Uni Bayreuth als Moderator der Diskussion beim Hauptstadtkongress nicht anders sah: „Wissenschaft und Politik haben grundsätzlich eigenständige Aufgaben, die gerade bei Ereignissen wie einer Pandemie sorgsam von beiden Seiten unterschieden werden müssen.“

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