"Bald stellte sich ein Wohlbefinden ein, wenn ich nur ans Malen dachte"

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Von Thomas Meißner

Plötzlich die Diagnose: Krebs! Das ist wie vor einer steilen Bergwand zu stehen: Man hat keine Perspektive mehr, scheint es. Kunsttherapeuten versuchen, Krebskranken wieder eine Perspektive zu geben, etwa durch das Malen von Bildern.

Blicke über eine Landschaft, Wege, die sich am Horizont verlieren - das sind häufige Motive in Kunsttherapie-Sitzungen. Die Tiefenperspektive ist ein Anblick, der erfreut. Sie ist es, die Aussichtspunkte so beliebt macht. "Das Erleben von Weitblick, Tiefe und schöner Aussicht beim Malen sowie die Tatsache, daß man diese selber geschaffen hat, kann in einer Krisensituation, in der jegliche Perspektive und Aussicht fehlen, hilfreich sein", sagt die Kunsttherapeutin Dr. Florica Marian von der Universität Bern.

Indem Gefühle und Stimmungen mehr oder weniger bewußt zu Papier gebracht werden, tritt der malende kranke Mensch sich selbst gegenüber und wird in die Lage versetzt, die eigene Situation zu reflektieren. "Malen ist meine Heilung", schrieb die 1997 an Krebs gestorbene Malerin Elke Borchert, obwohl sie zunehmend von der Krankheit verzehrt wurde.

Ein Magenkrebs-Patient, der an der Uniklinik Ulm zur Malerei gekommen ist, meint: "Bei intensiver Beschäftigung mit dem Malen eines Bildes bemerkte ich mit Freude, daß bestimmte Schmerzen gar nicht mehr zu spüren waren. Nach einiger Zeit stellte sich bereits ein Wohlbefinden ein, wenn ich nur ans Malen dachte."

Mag anfangs die Ablenkung oder der willkommene Zeitvertreib für viele Krebskranke der Grund sein, sich an der Maltherapie zu beteiligen, wird später mehr und mehr deutlich, daß das Malen zu einer aktiven Auseinandersetzung mit der Krankheit führt. Gerade Krebspatienten brächten eine hohe Bereitschaft zur Maltherapie mit, selbst wenn sie bislang nichts mit Kunst zu tun gehabt hätten, sagt Marian.

Bei ihnen bestehe ein großes Bedürfnis, Gefühle wie Angst, Verzweiflung oder Wut auszudrücken. Das Bild dient dabei als Projektionsfläche. Gerade in Phasen, in denen eine gesprächsbasierte Psychotherapie von Patienten als zu belastend abgelehnt wird, kann das hilfreich sein.

Die künstlerische Tätigkeit wird im weiteren Verlauf durch einen Reflexionsprozeß ergänzt, der viele Gemeinsamkeiten mit einer verbalen psychotherapeutischen Aufarbeitung hat. Eigene Stärken werden gemeinsam mit dem Therapeuten erschlossen.

Es bestehe die Möglichkeit, an Themen anzuknüpfen, die vor der Erkrankung wichtig waren, so Marian, etwa Orte und Situationen darzustellen, die mit Freude verbunden sind. In der Besprechung der Bilder spiegelt sich das eigene Denken und Verhalten wider, Veränderungen und Lösungsansätze werden angedacht.

Damit verläßt der Krebspatient seine passive Rolle als Person, mit der einfach nur "etwas gemacht" wird, was auch mit dem Gefühl von Kontrollverlust einher geht. Die körperliche Aktivierung des Malens bewirkt optimalerweise auch ein aktives Umgehen mit der Krankheit und der neuen Lebenssituation.

"Ich kann aber nicht malen!" - Anfangs haben manche Patienten Schwierigkeiten, ganz ohne Leistungsgedanken Farbe und Formen aufs Papier zu bringen. Es gehe nicht darum, Kunst zu produzieren, betont Dr. Harald Gruber von der Klinik für Tumorbiologie in Freiburg/Breisgau.

"Nichts können zu müssen, einfach nur spielen zu dürfen, das ist sehr ungewohnt für Erwachsene", sagt Gruber. "Ich stelle anfangs den Patienten Farbe und Papier zur Verfügung, zeige, wie man verdünnt und mischt und sage: Versuchen Sie, nicht gegenständlich zu malen, bleiben Sie im Abstrakten!" Mit der Farbe solle so umgegangen werden, daß mehr ein Stimmungsausdruck entsteht. "Das ist ein Einstieg, der bislang jedem Patienten gelungen ist", so der Kunsttherapeut.

Was da entsteht, sagt Gruber, scheine zufällig zu sein. Doch im nächsten Schritt nähmen die Patienten in der Regel wahr, daß sich etwas ausgedrückt hat, was mit ihrem momentanen Erleben zu tun hat.

Für eine erfolgreiche Krankheitsbewältigung müßten zwei Seiten zusammenwirken, sagt Professor Gerd Nagel, ehemaliger wissenschaftlicher Direktor der Klinik für Tumorbiologie: die kompetente Medizin und der kompetente Patient. Kunsttherapien förderten in einzigartiger Weise die Patientenkompetenz.

Weitere Infos im Internet unter www.kunsttherapieforschung.de

Kunsttherapie ist in Deutschland weit verbreitet

Ist die klassische Medizin und Psychotherapie weitgehend auf das Beseitigen einer Krankheit gerichtet, so sollen künstlerische Therapien aktivierend und auf die Gesundheit anregend wirken. In Deutschland sind Kunsttherapie-Angebote sowohl in der klinischen und ambulanten Medizin als auch in der Rehabilitation relativ weit verbreitet.

Das gilt nicht nur für die Onkologie, sondern auch für Frauenheilkunde, Pädiatrie, Innere Medizin, Geriatrie und Intensivmedizin. So werden in der Intensivmedizin komatöse Patienten teilweise von Musiktherapeuten behandelt. Kaum eine Rehabilitationsklinik könne es sich leisten, so Professor Peter Petersen aus Hannover, neben klassischen Rehabiliationsformen auf Musik-, Kunst- oder Bewegungstherapie zu verzichten.

In Europa und Nordamerika gibt es Schulen, die Therapeuten mit den Abschlüssen Master of Arts, Diplom-Musiktherapeut oder Diplom-Kunsttherapeut ausbilden. Dabei handelt es sich sowohl um staatliche Fachhochschulen oder Universitäten als auch um private Institute.

Während in Europa auf die vertiefte Ausbildung in einer Disziplin Wert gelegt wird, also nur Musik, Tanz oder Malerei, strebt man in Nordamerika eine breite Ausbildung in mehreren Disziplinen an. Die Berufsbezeichnung Kunsttherapeut ist nicht geschützt. Damit kann sich jeder, der sich berufen fühlt, so nennen. (ner)

Lesen Sie dazu auch: Kunsttherapie in der Onkologie

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