Onkologie

Die Zukunft liegt in der Kombitherapie

Mehr Qualität in der Früherkennung, ein sinnvollerer Einsatz von Ressourcen, Therapien nach Maß statt von der Stange - im Gespräch mit Dr. Georg Ralle und Günter Löffelmann vom Netzwerk gegen Darmkrebs erläutert Professor Otmar D. Wiestler vom DKFZ, wie die Onkologie künftig aussehen könnte.

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Das Interview führen Dr. Georg Ralle und Günter Löffelmann

Prof. Dr. Dr. h.c. Otmar D. Wiestler

Die Zukunft liegt in der Kombitherapie

© DKFZ

Aktuelle Position: Seit 2004 Vorsitzender und wissenschaftliches Mitglied des Stiftungsvorstands des Deutschen Krebsforschungszentrum in Heidelberg (DKFZ) und Vorsitzender des Beirats und Mitglied im Vorstand der Deutschen Krebshilfe.

Ausbildung: Studium Medizin an der Universität Freiburg, 1984 Promotion.

Werdegang: 1984 bis 1987 Forschungsaufenthalt in den USA an der University of California, San Diego. 1987 Wechsel an das Institut für Pathologie der Universität Zürich. 1990 Habilitation. 1992 bis 2003 Leiter des Instituts für Neuropathologie der Universität Bonn. Dort war er auch Leiter des Deutschen Hirntumorreferenzzentrums, Sprecher des Sonderforschungsbereichs 400 sowie medizinischer Geschäftsführer der LIFE&BRAIN GmbH.

Herr Professor Wiestler, in kaum einem Bereich der Medizin wurde zuletzt so viel über die Grundlagen der Krankheitsentstehung herausgefunden, wie in der Onkologie. Was davon wird in näherer Zukunft auch in der Praxis eine Rolle spielen?

Professor Dr. Otmar Wiestler: Die größten Fortschritte erhoffe ich mir von der Sequenzierung der Tumorgenome bei einzelnen Patienten. Sie erlaubt es uns, die Erkrankungen viel differenzierter als bisher zu beurteilen. Und wir können besser abschätzen, welche therapeutischen Ansätze Erfolg versprechen und wie der einzelne Patient darauf ansprechen wird.

Darüber hinaus verspreche ich mir viel von den Erkenntnissen zur Immunologie der Krebserkrankungen. Wir verstehen zunehmend, wie sich Tumoren gegen das Immunsystem wehren, und identifizieren laufend neue tumorspezifische Antigene, die potenzielle Ziele für das Immunsystem sind. Wir können dadurch Medikamente entwickeln, die den Tumor für das Immunsystem zugänglicher machen oder eine Immunantwort wie bei einer Impfung induzieren.

Wie funktioniert der Wissens- und Technologietransfer in die Praxis?

Am DKFZ investieren wir dazu viel in die Zusammenarbeit mit klinischen Einrichtungen. Ein Beispiel dafür ist das Nationale Centrum für Tumorerkrankungen NCT Heidelberg, in dem wir mit unseren Kollegen vom Universitätsklinikum Heidelberg zusammen arbeiten. Im Deutschen Konsortium für translationale Krebsforschung arbeiten seit kurzem onkologische Zentren in ganz Deutschland gemeinsam mit DKFZ-Forschern daran, Forschungsergebnisse aus den Labors in die Klinik zu übertragen.

Können Sie Beispiele nennen, woran Sie konkret arbeiten?

Wir evaluieren neue immuntherapeutische und strahlentherapeutische Ansätze, versuchen, neue Biomarker zur Anwendungsreife zu bringen, und entwickeln neue Verfahren der Bildgebung. International einmalig ist etwa ein Projekt, in dem wir uns Kindern mit bisher nicht behandelbaren Krebserkrankungen widmen. Wir erfassen das gesamte Erbgut ihrer Krebszellen, um zu lernen, warum die Erkrankung bei ihnen so einen schweren Verlauf nimmt. Anschließend versuchen wir, Zielstrukturen für eine gezielt wirksame Therapie zu identifizieren.

In einem anderen Projekt untersuchen wir, warum manche Karzinome im Gastrointestinaltrakt eine günstige Prognose haben, andere eine sehr schlechte. So haben Patienten, bei denen ein metastatischer Tumor das Immunsystem aktiviert, einen günstigeren Verlauf und sprechen auch besser auf eine Chemotherapie an. Ob wir damit einen Marker gefunden haben, muss nun in größeren Patientenkollektiven getestet werden.

Darüber hinaus wollen wir aufklären, was hinter diesem Zusammenhang steckt. Möglicherweise können wir dann dem Immunsystem einen Zugang zu den Metastasen verschaffen oder die Immunantwort durch eine Impfung verstärken.

Welche Rolle spielt die Industrie bei Ihren Projekten?

Wir sind in erster Linie von der wissenschaftlichen Neugier getrieben, die Industrie sucht nach Anwendungsmöglichkeiten. Sie bekommt dafür von der Forschung die notwendigen Targets und kann sie weiterentwickeln.

Derzeit arbeiten wir mit fünf Unternehmen im Rahmen strategischer Allianzen zusammen. Mit Siemens entwickeln wir neue Verfahren der Bildgebung und der Strahlentherapie, mit Bayer HealthCare identifizieren wir aussichtsreiche Entwicklungsprojekte für zielgerichtete Therapien.

Mit Roche prüfen wir neue Substanzen, deren Anwendung eine Genomdiagnostik, ein Monitoring des Immunsystems und eine hohe Qualität in der Bildgebung erfordern. Dabei fallen enorme Datenmengen an. Deswegen sind SAP und Molecular Health weitere Partner, mit denen wir ein Data warehouse für die Erfassung von Patienten- und Forschungsdaten sowie für Analysemethoden in der individuellen Krebsmedizin entwickeln.

Wo sehen Sie Hindernisse auf dem Weg zur individualisierten Medizin?

Das größte Problem ist aus meiner Sicht der Umgang mit den gewaltigen Datenmengen. Darüber hinaus benötigen wir neue Studienansätze, denn wenn sich ein Patientenkollektiv in immer mehr Subgruppen unterteilt, wird man nicht mehr so viele Studienteilnehmer finden, wie sie Statistiker heute noch fordern. Und schließlich sträuben sich manche Arzneimittelhersteller noch dagegen, dass ihre Produkte mit denen anderer Hersteller kombiniert werden. Meiner Meinung nach liegt die Zukunft aber in einer sinnvollen Kombination verschiedener Ansätze und nicht in Monotherapien.

In den Kosten sehen Sie kein Hindernis für eine individualisierte Medizin?

Nein, denn es ist viel Kapital im System vorhanden. Wir müssen es nur intelligenter einsetzen und die Behandlung effizienter machen. Dazu ein Beispiel: Wir bestrahlen heute nahezu alle Lungenkrebspatienten, obwohl wir wissen, dass bis zu 80 Prozent von ihnen nicht profitieren werden.

Es gibt also enorme Einsparpotenziale, die wir über eine Stratifizierung nutzen können. Sollte das System dennoch an seine Grenzen stoßen wird man eine Diskussion darüber führen müssen, was der Gesellschaft diese Medizin wert ist.

Das Netzwerk gegen Darmkrebs setzt sich unter anderem für eine verbesserte Früherkennung des kolorektalen Karzinoms ein. Welche Entwicklungen zeichnen sich bei dieser Indikation ab?

Wir haben am DKFZ mehrere Gruppen, die sich intensiv mit der Vorsorge und Früherkennung beim kolorektalen Karzinom beschäftigen. Sie konnten beispielsweise zeigen, dass der immunologische Stuhltest sehr viel empfindlicher ist, als der bisher verbreitete Test auf okkultes Blut.

Abgesehen davon hoffe ich, dass wir noch andere Ansätze für die Früherkennung finden, seien es Tumor-DNA oder Tumorzellen im Blut oder Marker im Stuhl. Am NCT untersuchen wir nun auch das Potenzial von ASS zur Chemoprävention, denn es gibt Hinweise, wonach eine langfristige Behandlung mit niedrigen Dosen die Inzidenz des kolorektalen Karzinoms senkt. Aber auch hier gilt: Wir müssen jene identifizieren, die davon profitieren.

Und schließlich bieten wir Menschen, deren Angehörige ersten Grades ein kolorektales Karzinom hatten, ein gezieltes Vorsorgeprogramm an. Nicht zuletzt hoffen wir, damit auch den Nutzen einer vorgezogenen Früherkennung bei Patienten mit familiär erhöhtem Darmkrebsrisiko zu belegen.

Insgesamt lässt die Teilnahme an den Maßnahmen zur Darmkrebsfrüherkennung noch zu wünschen übrig. Wie könnte man die Resonanz verbessern?

Wir müssen uns fragen, ob wir genug tun, um die Menschen vom Nutzen zu überzeugen. Man könnte rund 70% aller Darmkrebsfälle verhindern, wenn alle zur Vorsorge gingen, , das hat eine Studie aus dem DKFZ gezeigt. Um das zu erreichen, müssen die Früherkennungsmaßnahmen aber auch in der gebotenen Qualität angeboten werden.

Ich habe da - ebenso wie beim Brustkrebs- und beim Gebärmutterhalskrebs-Screening - meine Zweifel. Wir sollten uns vielleicht auf eine gewisse Zahl an Zentren konzentrieren, die belegen können, dass sie leistungsfähig sind, dass sie hohe Standards haben, und dass sie ein gewisses Volumen bewältigen. Qualität würde so zu einem Mittel, um die Bevölkerung zu gewinnen.

Das DKFZ feiert 2014 sein 50-jähriges Bestehen. Was haben Sie für das Jubiläum geplant?

Wir haben eine Serie von Veranstaltungen vorgesehen, die sich über das ganze Jahr verteilen. Darüber hinaus wird es eine Fundraising-Kampagne mit Prominenten geben. Zum Geburtstag im Oktober ist eine wissenschaftliche Tagung mit zehn Nobelpreisträgern geplant. Und schließlich möchten wir das Jahr nutzen, um das Zentrum stärker ins Bewusstsein der Öffentlichkeit zu bringen.

Mit unserer Bilanz können wir uns sehen lassen, aber sie kann trotzdem noch besser werden. Das ist der Anspruch. Unser Motto lautet: DKFZ - 50 Jahre Forschen für ein Leben ohne Krebs

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