HINTERGRUND
"Engagierte Hausärzte und aufgeklärte Bürger - nur so kommen wir in Sachen Darmkrebs weiter!"
In Deutschland gibt es schon seit den 70er Jahren ein gesetzlich geregeltes Früherkennungsprogramm, das auch die Darmkrebs-Früherkennung einschließt. Die Aussagekraft des dafür benutzten Stuhlblut-Tests wurde jedoch von vielen in Frage gestellt; Bedenkenträger gewannen die Oberhand. Erst große, Mitte der 90er Jahre publizierte internationale Langzeitstudien haben gezeigt, wie erfolgreich dieser Test bei seiner mäßigen Sensitivität sein kann, wenn er konsequent über längere Zeit genutzt wird.
Öffentlichkeitsarbeit trägt Früchte
Die Vorsorge mit jährlichen Stuhlblut-Tests ab dem 45. Lebensjahr dümpelte jahrelang mehr oder weniger nur herum.
Nur 34 Prozent der in Frage kommenden Frauen und nur etwa 18 Prozent der Männer nutzen das Vorsorge-Angebot, bis durch ein Bayerisches Modellprojekt 1996 und 1997 gezeigt wurde, daß Öffentlichkeitsarbeit und damit die Mobilisierung der Ärzte und der Berechtigten die Teilnahmeraten deutlich verbessert: Sie stiegen bis auf 47 Prozent bei Frauen und bis auf 23 Prozent bei Männern. Das Modellprojekt fiel aber in sich zusammen, als seine Geldgeber sich zurückzogen.
Für das Ziel, eine kontinuierliche Aufmerksamkeit dem Thema Darmkrebs gegenüber zu erreichen, hat sich dann zunächst die 1998 als Bürgerinitiative gegründete Stiftung LebensBlicke engagiert, deren Symbol unter Mitwirkung der Burda-Medien entstanden ist. Später gesellte sich die Felix Burda Stiftung aufgrund persönlicher Betroffenheit hinzu und konnte mit dem Hintergrund eines großen Medienhauses eine enorme öffentliche Kampagne in Gang setzen.
Die Felix Burda Stiftung hat zusammen mit anderen Initiatoren vor fünf Jahren den Darmkrebsmonat März ausgerufen, analog eines Vorbildes in den USA. Ziel war, Kräfte in diesem Monat zu bündeln und dem Thema Darmkrebs in allen Medien Aufmerksamkeit zu schenken. Die Stiftung LebensBlicke hat inzwischen ein regionales Koordinatorennetz entwickelt, über das länderweit ganzjährig Veranstaltungen zum Thema organisiert werden. Dazu kann man entsprechendes Folienmaterial aus der Web-Seite der Stiftung herunterladen (www.fv-slb.de).
Alle Aktivitäten haben zu zahllosen Gesprächen mit Vertretern von Kassen und Politikern geführt, und so wurde letztlich erreicht, daß seit Oktober 2002 die Koloskopie eine gesetzlich geregelte Früherkennungs-Maßnahme für alle ab dem 56. Lebensjahr ist. Dafür kann man den Stuhlblut-Test erst ab dem 50. Lebensjahr einsetzen, nicht ab dem 45. wie vorher. Parallel wurde festgelegt, daß nur besonders qualifizierte Ärzte die präventiven Koloskopien machen dürfen. So war ein akzeptabler Sicherheitsstandard gegeben.
Sieht man sich die aktuellen Zahlen an, so kann man feststellen, daß inzwischen mehr als 1,5 Millionen Menschen präventiv untersucht worden sind, was zum Beispiel zur Aufdeckung von 10 000 bis 15 000 asymptomatischen Karzinomen geführt hat. Rechnet man diese Zahl allerdings um, so wird klar, daß dies nur 5 bis 7 Prozent der berechtigten Bevölkerung entspricht. Rechnet man hinzu, daß jährlich etwa eine Million Menschen die vorgesehene Altersgrenze erreichen, so wird deutlich, welch ein Potential vor sich hergeschoben wird.
Parallel zur Verstärkung der Koloskopie ist ein deutlicher Rückgang des Okkultblut-Screenings zu verzeichnen. Das ist bedauerlich, da damit die Zahl der Vorsorgewilligen insgesamt eher rückläufig ist, und das bei steigender Inzidenz des kolorektalen Karzinoms.
Unsere Erfahrungen aus dem Darmkrebsmonat zeigen, daß die Aktionsbündelung auf einen bestimmten Zeitraum unter Ausnutzung aller Medien immer wieder einen exzellenten Einstieg in die Materie darstellt. Sie verdeutlicht aber auch das Gesetz der Trägheit, daß nämlich alles wieder in sich zusammenbricht, wenn man nachläßt.
Aus diesem Grunde hat die Stiftung LebensBlicke außerhalb des Darmkrebsmonats viele Aktivitäten zusammen mit ihrem Förderverein entwickelt, etwa das Vorsorgetheater "Alarm im Darm" und Vorträge über das ganze Jahr. Ziel ist, das Thema Darmkrebs weiter zu enttabuisieren, was der Felix Burda Stiftung durch ihre öffentliche Kampagne ja schon sehr gut gelungen ist. Ziel ist ferner, trotz steigender Darmkrebs-Inzidenz die Sterblichkeitsrate weiter zu senken.
Mit welchen Maßnahmen überzeugt man Vorsorgemuffel?
Wir müssen uns verstärkt um alle diejenigen kümmern, die an der Vorsorge keinerlei Interesse haben. Hier gilt es, unkonventionelle Maßnahmen zu entwickeln, die vielleicht auch die Vorsorgemuffel überzeugen können. Die Koloskopie selbst muß von ihrer Angstaura befreit werden; eine schmerzhafte Untersuchung muß heute nicht mehr sein, wenn die Möglichkeiten der modernen Sedoanalgesie ausgenützt werden.
Im Darmkrebsmonat März - und auch danach - sollten deshalb Hausärzte ihren Patienten ab dem entsprechenden Alter ein Angebot machen, sie beraten und ihnen nötige Unterlagen mitgeben, die zum Beispiel über jede der Stiftungen zu beziehen sind. Genauso wichtig ist aber, das Vorsorgebewußtsein der Berechtigten zu verbessern, so daß die Menschen auf ihre Hausärzte zugehen und eine Vorsorgeuntersuchung nachfragen. Nur wenn beides funktioniert, kommen wir dem großen Ziel der deutlichen Reduktion der Darmkrebs-Sterblichkeitsrate entscheidend näher!
Zur Person
Professor Jürgen F. Riemann leitet die Med. Klinik C des Klinikums der Stadt Ludwigshafen. Riemann gehört zu den Gründern der Stiftung LebensBlicke. Die 1998 ins Leben gerufene Stiftung hat sich das Ziel gesetzt, die Zahl der Darmkrebs-Toten in Deutschland bis zum Jahr 2010 zu halbieren. Realisiert werden soll das etwa, indem mehr Menschen für Früherkennungs-Untersuchungen motiviert werden. "Für das Auto besteht eine gesetzliche Überprüfungspflicht; für die Menschen gibt es freiwillige Vorsorgepakete, die jedoch nur unzureichend in Anspruch genommen werden", sagt Riemann.